Mobilität

Neuer Senat stoppt Verkehrsprojekte: Berlin steuert in den Stillstand

Dass mit Manja Schreiner eine Christdemokratin Senatorin geworden ist, kann auch Vorteile bringen. Doch auf wichtigen Politikfeldern droht Agonie. Ein Kommentar.

Bedrohtes Idyll: Ende Januar wurde die Friedrichstraße zwischen der Französischen und der Leipziger Straße wieder für Fußgänger geöffnet. Doch das Grün wird im Juli wieder verschwinden.
Bedrohtes Idyll: Ende Januar wurde die Friedrichstraße zwischen der Französischen und der Leipziger Straße wieder für Fußgänger geöffnet. Doch das Grün wird im Juli wieder verschwinden.Markus Wächter/Friedrichstraße

Wie ruhig es ist! Und wie entspannt die Menschen wirken. Wo bis Ende Januar Autos fuhren, stehen Pflanzkübel mit Blumen und kleinen Bäumen. Auf Bänken genießen Angestellte ihre Mittagspause. Mit Stühlen und Tischen haben sich Cafés auf die einstige  Fahrbahn, über der keine Abgase mehr wabern, ausgedehnt.

Eigentlich könnte der autofreie Teil der Friedrichstraße in Mitte als Lehrbuchbeispiel dafür dienen, wie die Mobilitätswende Städte verändern sollte. Doch vom 1. Juli an dürfen zwischen der Leipziger und der Französischen Straße wieder Autos rollen. Berlins neue Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU), seit Ende April im Amt, hat das angeordnet. Und viele Berliner finden das gut. Die Blumen und Bänke haben sie offenbar provoziert.

Schon lange ist in Berlin fast keine vernünftige Diskussion über Mobilitätspolitik mehr möglich. Wer auf die jahrzehntelange Dominanz des Autos im Stadtbild hinweist, sieht sich sofort dem Vorwurf ausgesetzt, er würde gegen die Autofahrer „polarisieren“. Während in Paris, New York und anderswo Straßenraum beherzt umverteilt wird, sehen Berliner selbst die wenigen homöopathischen Änderungen in ihrer Stadt als Angriff auf ihr Lebensmodell an. Das populistisch verstärkte große Nein, das fast überall um sich gegriffen hat, verengt auch bei dem Thema Mobilität den Debattenraum.

Plädoyer für weniger Autos hat CDU-Parteifreunde verärgert

Der Ton ist gesetzt. Deshalb darf sich die große Koalition zu Recht dazu ermutigt fühlen, in der Mobilitätspolitik einen neuen Kurs zu fahren. Seitdem sie am Ruder ist, zeichnet sich ab, dass das Auto auch anderswo in Berlin wieder das Maß der Dinge wird. Sollten Radfahrer und Fußgänger zuletzt bewusst bevorzugt werden, beschwört der neue Senat ein „Miteinander“. Dabei ist die Macht auf den Straßen ungleich verteilt. Die einen sind in tonnenschweren Vehikeln unterwegs – die anderen ungeschützt, ohne Knautschzone.

Ein BVG-Bus am Potsdamer Platz. Der neue Senat möchte auch in den Berliner Außenbezirken einen dichten Fahrplantakt anbieten. Doch schon die Besetzung der jetzigen Schichten stößt auf Schwierigkeiten.
Ein BVG-Bus am Potsdamer Platz. Der neue Senat möchte auch in den Berliner Außenbezirken einen dichten Fahrplantakt anbieten. Doch schon die Besetzung der jetzigen Schichten stößt auf Schwierigkeiten.Emanuele Contini/imago

Klar ist aber auch, dass es Vorteile haben kann, dass mit Manja Schreiner eine Christdemokratin Verkehrssenatorin geworden ist. Wenn an einer Maßnahme nicht das Etikett Grüne, sondern CDU klebt, könnte das Beißreflexe hemmen. Dass diese Partei nicht nur Rollback kann, zeigte sich in den 1990er-Jahren, als das Straßenbahnnetz unter CDU-Ägide so stark wuchs wie seitdem nicht mehr. In Pankow hat nun eine CDU-Stadträtin Pläne zum Ausbau das Radverkehrsnetzes bekannt gegeben, und Senatorin Schreiner möchte mehr sichere Kreuzungen und Zebrastreifen, und zwar schnell.

Zumindest einige Anzeichen gibt es, dass sie und ihr Leitungsteam wissen, in welche Richtung die Reise gehen sollte. Manja Schreiners Einschätzung, dass die Zahl der Autos in Berlin sinken muss, hat CDU-Parteifreunde verärgert. Zwar passt ihr Plädoyer, den Straßen- und Autobahnring um die Innenstadt langfristig zu schließen, nicht dazu. Aber das Ziel ist richtig – auch wenn die Senatorin weder Anzahl noch Datum nennen mag.

Eine Verschwendung von Zeit, Arbeitskraft und Steuergeld

Anderes lässt dagegen nichts Gutes oder zumindest Stillstand erwarten. Wenn Radverkehrs- und Straßenbahnprojekte daraufhin geprüft werden, ob dadurch der Autoverkehr gestört wird, kann das zur Folge haben, dass jahrelange Vorbereitungen plötzlich für die Katz sind. Es wäre eine große Verschwendung von Zeit, Arbeitskraft und Steuergeld. Noch fataler wäre das Signal an Planer, die neue Projekte in Angriff nehmen wollten: Sie werden jetzt erst einmal die Finger davon lassen. Die Gefahr besteht, dass sich auf vielen Feldern bis zum Ende der Wahlperiode 2026 fast nichts mehr tun wird.

Wie schnell der neue Senat angekündigte Langzeitprojekte pragmatisch nach hinten schieben muss, wird sich beim Thema U-Bahn-Ausbau zeigen. Abgesehen von der Verlängerung der U3 zum Mexikoplatz wird es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis auch nur ein weiteres Neubauprojekt in Gang kommt. Die Tunnelhavarien unter dem Alexanderplatz lassen ahnen, wie viel Kraft das bestehende Bahnnetz noch kosten wird.

Auch bei dem Ziel, den Busverkehr in den Außenbezirken zu verdichten, ist eine Kollision mit der Realität absehbar: Schon für das jetzige Fahrplanangebot gelingt es der BVG nicht, genug Fahrpersonal zu rekrutieren.

Der Berliner Mobilitätspolitik droht ein Schlingerkurs. Auch wenn CDU und SPD anderes verheißen: Am Ende dieser Wahlperiode werden die Autofahrer bestenfalls so glücklich und zufrieden sein wie derzeit – nämlich gar nicht. Schließlich sind ihre größten Feinde die anderen Autofahrer, deren Zahl mutmaßlich weiter steigen wird. Noch mehr müssen sich Nahverkehrsnutzer, Radfahrer und Fußgänger auf Enttäuschungen einstellen. Die neue Senatorin muss aufpassen, dass sie Berlin nicht in den Stillstand steuert.