Als ich vor etwa einem Jahr am Ufer der Spree entlanglief, Richtung Oberbaumbrücke, hielt ein Mann mich am Oberarm fest. Es war ein warmer Sommerabend, ich weiß noch, dass ich nur ein T-Shirt anhatte, keine Jacke. Ich drehte meinen Arm aus seinem Griff und lief schnell weiter, auf die Brücke, auf der wie immer viele Menschen waren. Der Mann rief mir etwas hinterher, es klang nicht freundlich.
Ich fühlte mich unwohl. Bisher hatten die Männer in meinem Viertel mich nur angesprochen, mir hinterhergerufen, mich angezischt. Anfassen war eine neue Stufe der Übergriffigkeit. Der Mann war viel kräftiger als ich, was, wenn er fester zugepackt und nicht losgelassen hätte? Zugleich wusste ich nicht, ob und wie ich darüber reden oder schreiben sollte. Die Männer im Viertel, vor denen ich zunehmend Angst bekam, waren Dealer aus dem Görlitzer Park.
Daran musste ich denken, als ich las, dass Politiker der CDU jetzt fordern, den Görlitzer Park nachts abzusperren und tagsüber mit Video zu überwachen. Es gab im Juni einen schrecklichen Überfall auf ein Paar, beide wurden in den frühen Morgenstunden ausgeraubt, die Frau von mehreren Männern vergewaltigt. Die Tat wurde erst bekannt, als die BZ und Die Welt darüber berichteten. Die Berliner Polizei, die sonst auch Handtaschendiebe der Presse meldet, hatte die Tat nicht öffentlich gemacht.
Der Fall verstärkt meine Angst. Trotzdem frage ich mich, was es bringen soll, den Park nachts abzuschließen – und ob das die Lage im Viertel nicht noch unsicherer macht.
Schon lange werden Drogen auch auf den Straßen rund um den Park verkauft. Am Görlitzer Bahnhof, in der Wiener Straße, in der Schlesischen Straße, am Spreeufer gegenüber der East Side Gallery, an dem ich an diesem Abend entlanggegangen war. Vor allem, seit die Polizei angefangen hat, im Park regelmäßig Streife zu fahren, dort die Kontrollen verschärft worden sind, sind die Drogendealer und ihre Kunden auf die Umgebung ausgewichen, scheint mir. Vielleicht sind es auch viel mehr geworden.
Polizisten im Park machten mich entspannter
Seit fast 20 Jahren wohne ich im Viertel am Schlesischen Tor, SO36, Wrangelkiez. Ich mag die zentrale Lage, die Nähe zur Spree. Als ich herzog, mochte ich auch den Görlitzer Park. Immerhin etwas Grün in der Nähe. Von einem Hügel hat man einen weiten Blick über Kreuzberg, es gibt einen versteckten kleinen Teich. Ich mochte es, dort laufen zu gehen.
Damit habe ich schon vor Jahren aufgehört. Erst hatte ich versucht, lange Sportkleidung zu tragen, um dadurch den Rufen zu entgehen, „Hey Baby, what’s your name“ und so weiter. Ich mied die Strecke am versteckten Teich. Dann fing ich an, um den Park herum zu laufen. Irgendwann meldete ich mich in einem Fitnessstudio an.
Im Görli ging ich nur noch ab und an spazieren, tagsüber natürlich, auf den Hauptwegen. Schon vor Jahren war der Bruder eines Freundes überfallen worden, als er nachts mit dem Rad durch den Park fuhr. In den vergangenen Jahren sah ich oft Polizisten im Park. Ich fühlte mich dann entspannter. Andere Leute macht die Polizei wütend. In vielen Straßen hängen Anti-Polizei-Plakate. Überall lese ich die Losung: Stop Racial Profiling! Keine Kontrollen von Menschen, nur weil sie schwarz sind.
Auch ich möchte nicht, dass Menschen kontrolliert werden, nur weil sie schwarz sind. Ich hoffe, die Polizisten durchsuchen Menschen mit einem begründeten Verdacht. Die Männer, die mir im Park und in der Umgebung Drogen angeboten haben, waren bisher immer, wirklich immer, aus Afrika.
Vor kurzem sah ich eine Dokumentation in der Mediathek des RBB. Darin geht es um einen Mann namens Pape Diop, der vor drei Jahren tot im Kanal an der Schlesischen Brücke gefunden wurde. Gleich um die Ecke vom Görlitzer Park. Wie er ums Leben kam, ist bis heute nicht genau geklärt. Diop war ein Einwanderer aus dem Senegal. Er hatte in Berlin zwei Brüder, eine Freundin aus Kanada, viele Bekannte, er ging gern feiern. Ein fröhlicher, von vielen geliebter Mensch, der aber keine Papiere hatte. Und Drogen verkaufte. Auch das gehört zu seiner Geschichte. Der Film zeigt die Lebensumstände von Männern, die im Park dealen.
Die Dealer wirken selbst zugedröhnt
Es kamen auch Nachbarn zu Wort, die sich gegen die Polizei im Park und im Viertel richten. Sie klangen, als sei die Polizei das eigentliche Problem im Wrangelkiez. Wie kann man es sich nur so verdammt einfach machen, dachte ich. Andere Nachbarn hatten die Journalisten nicht gesucht oder nicht gefunden.
Auch außerhalb des Parks ist mein Unsicherheitsgefühl in den letzten Jahren gewachsen, kann ich nur sagen. Die Dealer wirken mitunter, als ob sie selbst viel zu viel von den eigenen Substanzen zu sich nehmen würden. Sie haben einen wirren Blick, bewegen sich unkontrolliert, reden vor sich hin. Das war mir früher nie aufgefallen. Vielleicht war auch der Mann, der mich am Arm festgehalten hat, zugedröhnt.
Es wird überhaupt mehr konsumiert, draußen. Auf den zwei Treppenstufen, die zur Tür des Mietshauses führen, in dem ich wohne, sitzt seit diesem Sommer abends oft ein Mann, der sich auf einem Löffel etwas aufkocht. Oder auf altem Zeitungspapier in großen Buchstaben wild herumschreibt. Er sieht blass aus, eingefallen. Auch im U-Bahnhof habe ich schon mehr als einmal Menschen Crack rauchen sehen. Als ich vor kurzem eine Gruppe von Leuten, die in ihrer Freizeit den Müll der Stadt aufsammeln, in den Görlitzer Park begleitete, fand einer von ihnen in einem einzigen Gebüsch mehr als 300 benutzte Spritzen. Und eine Gruppe von vier Männern, die sich alle gerade in diesem Gebüsch einen Schuss gesetzt hatten.
Wenn der Park nachts abgesperrt wird, wo gehen die Leute dann hin, die dort jetzt sind? Einen Park kann ich meiden. Aber mein ganzes Viertel?
Als ich vor zwei Jahren in einer Kolumne über die Dealer und die Süchtigen im Wrangelkiez schrieb, meldeten sich Menschen bei mir, die auch hier wohnen. Sie schrieben, wie unwohl sie sich inzwischen oft in den Straßen fühlen. Eine Frau hatte eine Gruppe gegründet und sich mehrmals an den Bezirk gewendet, aber dort interessierte man sich nicht für ihre Sorgen, schien ihr.




