Görlitzer Park

Nach der Gruppenvergewaltigung: Wie sicher fühlt man sich im Görlitzer Park?

Das Stimmungsbild von Anwohnern ist gemischt. Die einen wollen wegziehen, die anderen bezeichnen die Berichterstattung als Propaganda.

Görlitzer Park war es am Donnerstag gespenstisch leer.
Görlitzer Park war es am Donnerstag gespenstisch leer.Sabine Gudath

Am Donnerstagmorgen ist der Görlitzer Park kein Ort, an dem sich viele Menschen gern aufhalten. Es ist schon fast gespenstisch leer. Wie sonst auch stehen vereinzelt Männer in den Ecken und vor den Büschen des Parks, doch die Wiesenflächen sind jetzt leer. Das Wetter könnte besser sein, Menschen, die den Park durchqueren, laufen schnellen Schrittes ihres Weges.

Vor knapp zwei Monaten, Anfang Juni, wurde im Görlitzer Park eine Frau von mehreren Männern vergewaltigt, wie die B.Z. nun zuerst berichtete. Zuvor war der Vorfall nicht der Öffentlichkeit bekannt geworden, denn eine Pressemitteilung der Polizei gab es bis dahin nicht. Laut der B.Z. hat die Zeitung durch eigene Recherchen von der Vergewaltigung erfahren. In den frühen Morgenstunden soll im Juni ein Pärchen von einer „Gruppe Dealer zunächst überfallen und ausgeraubt“ worden sein. Danach habe ihr Begleiter miterleben müssen, wie seine Freundin vergewaltigt wurde. Die Täter seien anschließend geflohen.

Dass die Öffentlichkeit nun erst viele Wochen später von der Gruppenvergewaltigung erfährt, stößt vielen bitter auf. Redakteur Axel Lier wirft in der B.Z. den Berliner Behörden „unfassbares Schweigen“ vor und schreibt in einem Kommentar: „Warum Polizei und Staatsanwaltschaft nichts zu den Vorfällen sagen (wollen) und somit verhindern, dass weitere Menschen möglicherweise Opfer an diesen Orten werden, ist unbegreiflich.“

Selina Menzel, die wir heute morgen an den Pforten des Parks antreffen, hört von der Vergewaltigung, als sie von der Berliner Zeitung darauf angesprochen wird, „zum ersten Mal“. Die 34-Jährige wohnt direkt am Görlitzer Park, hat einen fünfjährigen Sohn und ein zwölf Monate altes Baby. Ihre größte Sorge ist allerdings nicht ihre Sicherheit, sondern die vom Park ausgehende „Drogenproblematik“. Erst heute morgen habe sie für kurze Zeit den Kinderwagen vor ihrer Haustür außer Acht gelassen und zu spät gemerkt, dass plötzlich die Babydecke fehlte. „Eine Frau, die kurz davor war, sich in meinem Treppenhaus einen Schuss zu setzen, hatte sie sich genommen“, sagt Menzel.

Die Art des Konsums habe sich verändert

Laut Menzel habe sich die Art des Konsums in den vergangenen Jahren in eine bedenkliche Richtung entwickelt. „Seit der Pandemie wird im Park nicht nur gekifft, sondern es sind viel härtere Drogen im Spiel.“ Dadurch treffe sie dauernd Menschen an, die völlig zugedröhnt oder aggressiv wirkten. Selten habe sie richtige Angst, trotzdem würde sie das sehr belasten. „Man tritt aus der Haustür und denkt, man ist nur von Zombies umgeben.“ Sie hätte sich gewünscht, von der Vergewaltigung eher zu erfahren. „Ich finde es besonders heftig, dass das Opfer noch nicht mal alleine war. Alleine wäre ich nachts nicht durch den Park gelaufen, mit einer Begleitung unter Umständen schon.“

Selina Menzel belastet besonders die Konfrontation mit drogenabhängigen Menschen direkt vor ihrer Haustür.
Selina Menzel belastet besonders die Konfrontation mit drogenabhängigen Menschen direkt vor ihrer Haustür.Sabine Gudath

Vor dem alten Bahnhofsgebäude, mitten auf dem Gelände des Görlis, sitzt eine Frau. Sie ist Sozialarbeiterin und zu Besuch im OpenSpace von Gangway e.V. Ihren Namen will sie nicht nennen. Auf die Frage, wie sie sich im Görlitzer Park fühle, antwortet sie mit „normal“. So normal, wie man sich auf einer Parkanlage in der Großstadt fühlen könne.

Die Medienberichterstattung, die bisher über die Vergewaltigung stattgefunden hat, bezeichnet sie als „aufgeheizte Propaganda“. Das nerve sie. „Wie viele Vergewaltigungen finden statt, und im Görlitzer Park ist es dann was Besonderes?“, fragt sie zurück. Sie ärgere die Stigmatisierung, die in der Debatte stattfinde, das Problem sei viel größer als der Görlitzer Park. „Ich will das nicht kleinreden, das, was hier passiert ist, ist groß und eklig“, sagt sie. „Aber wie viele Vergewaltigungen finden in Berlin täglich statt, die niemanden interessieren?“ Ob sie von der Polizei informiert worden wäre oder nicht, mache für sie keinen großen Unterschied.

Die Polizei wollte die Ermittlung und Opfer nicht gefährden

Eine Antwort der Generalstaatsanwaltschaft Berlin, die momentan in dem Fall ermittelt, steht noch aus. Der letzte Stand: Wegen laufender Ermittlung dürften keine weiteren Angaben gemacht werden. Auch ein offizielles Statement der Polizei dazu, warum die Vergewaltigung nicht publik wurde, steht noch aus. Bei einem Telefonat mit der Pressestelle der Polizei hieß es, die Meldung werde noch am selben Abend auf der Website der Polizei veröffentlicht.

Die Gewerkschaft der Polizei hat sich zwischenzeitlich bereits an die Medien gewandt. Landessprecher Stefan Lehr schreibt in einer Pressemitteilung: „Wir verstehen die Aufruhr, weil es natürlich von Bedeutung für die Menschen in der Stadt ist, wenn es an einem öffentlichen Ort zu einer Häufung an derart schweren Straftaten kommt. Aber die Polizei muss bei der Kommunikation auch immer daran denken, Ermittlungen nicht zu gefährden.“ Auch Opferanwältin Victoria Heßeler kann nachvollziehen, dass es taktische Nachteile für die Ermittlungen der Polizei haben kann, die Öffentlichkeit zu informieren: „Sobald eine Vergewaltigung öffentlich gemeldet wird, bekommen das womöglich auch die Tatverdächtigen mit.“

Stefan Lehr nennt noch einen weiteren Grund zur Geheimhaltung der Vergewaltigung: den Opferschutz. „Wer Opfer einer solchen Straftat wird, trägt auch massive psychische Verletzungen davon“, heißt es in der Pressemitteilung. „Durch Veröffentlichungen können zusätzliche traumatische Belastungen entstehen.“ Victoria Heßeler kann dieses Argument, als Expertin für Opferschutz, nicht wirklich nachvollziehen. Aus Datenschutzgründen würden keine Namen von Geschädigten genannt, das heißt, das Opfer bleibe von der Öffentlichkeit unerkannt.

 Isabel, 35, hat mit der Gegend um den Görlitzer Park abgeschlossen. Sie möchte mit ihrer Familie wegziehen.
Isabel, 35, hat mit der Gegend um den Görlitzer Park abgeschlossen. Sie möchte mit ihrer Familie wegziehen.Sabine Gudath

Aylin Caliören gehört zu den Passantinnen, die gerne schon im Juni Bescheid gewusst hätten, was im Park passiert ist. „Dann hätte ich mich von hier ferngehalten.“ CDrei Minuten nachdem sie das gesagt hat, spricht sie ein Mann an. „Hallo, alles gut?“, fragt er. Er ist noch in Begleitung von zwei weiteren Männern. Als sie nicht auf seine Frage eingeht, sagt er: „It’s okay, no problem“, und die Gruppe entfernt sich.

Isabel, eine weitere Passantin, will im Gegensatz zu Aylin nicht über die Vergewaltigung Bescheid wissen, sonst fühle sie sich nur noch unwohler, als sie es so schon tue. „Ich wusste nichts darüber, aber es wundert mich nicht.“ Den Park meide sie, sobald die Dämmerung eintrete. „Dann würde ich nicht mehr mit dem Fahrrad hier durchfahren.“ Ihr Plan ist es, von hier wegzuziehen. Die Tätowiererin hat einen Sohn im Kleinkindalter. „Ich kann nicht mein Kind am Kotti großziehen“, sagt sie kopfschüttelnd. „Momentan gehen wir einfach früh ins Bett.“