Halloween ist vorbei – aber in Berlin ist eigentlich jeden Tag Gruselfest. Man muss ja nicht gleich ins Social-Media-Kommentatoren-Sprech vom „Kalkutta an der Spree“ verfallen, doch es gibt Orte in dieser Stadt, da kann es einem vergehen.
Manchmal sind es einzelne Plätze oder Parks, dann wieder ganze Stadtteile, die uns das Fürchten lehren. Weil sie heruntergekommen sind oder überlaufen, weil sie symptomatisch sind für eine Stadt, in der das Zusammenleben schwieriger wird. In der Streit, Randale, Dreck und Frust zuzunehmen scheinen, das alltägliche Miteinander roher wird. Diese Orte stehen dafür exemplarisch.
Der Neuköllner Hermannplatz: Scheußlich und nicht mal ein richtiger Platz
Sicherlich der Klassiker unter den Orten, die von vielen Menschen in Berlin spätestens mit Anbruch der Dunkelheit gemieden werden: der Neuköllner Hermannplatz, der eigentlich nicht mal ein Platz ist, sondern genau genommen nur eine Kreuzung.
Was der Hermannplatz im Norden des Bezirks aber sicher ist: ein bemerkenswert lieblos gestalteter innenstädtischer Raum, eine Art Deckel auf dem (architektonisch schönen) U-Bahnhof selben Namens, auf dem es immer wieder zu Gewalt- und anderen Verbrechen kommt. Böse Zungen behaupten, dass dies nicht zuletzt das Ergebnis einer menschenfeindlichen Gestaltung des öffentlichen Raums sein.
Der Ruf der Platzes erreichte den absoluten Tiefpunkt, als eine Berliner Firma vor ein paar Jahren T-Shirts mit dem Aufdruck „Du hast Angst vorm Hermannplatz“ auf den Markt brachte. Da wussten dann auch Kevin und Annika aus Münster, wie krass kriminell Berlin doch ist. Viel gebessert hat sich seitdem nicht. Marcus Weingärtner

Schauplatz Unterführung: S-Bahnhof Greifswalder Straße
Man hat sofort diese „Tatort“-Assoziation, wenn man die Unterführung am S-Bahnhof Greifswalder Straße benutzen muss – besonders zu später Stunde, wenn hier nicht mehr viel los ist. Gleich wird von vorn so ein Typ ankommen, ganz in Schwarz gekleidet, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen. Und dann passiert etwas Schreckliches, ein Verbrechen.
Zwar gehört die Gegend rund um den Bahnhof nicht zu den ganz großen Kriminalitäts-Hotspots in Berlin, aber wohl fühlt man sich hier trotzdem nicht. Während andernorts in der Stadt Fußgängertunnel zugeschüttet wurden (Karl-Liebknecht-Straße) oder trotz aller Schmuddeligkeit noch als irgendwie ikonisch gelten dürfen (ICC), ist der 1986 eröffnete Tunnel direkt vor dem Eingang des S-Bahnhofs in Prenzlauer Berg, der auch als Durchgang zur Tram-Haltestelle dient, einfach nur verkommen. Ein Ort des Grauens.

Die Wände sind über und über beschmiert mit hässlichen Kritzeleien, von der viel zu flachen Decke blättert großflächig der Putz, die Lampen geben ein scheußliches Licht. Dazu der Geruch – kein Wunder, dass hier jeder seine FFP2-Maske aufbehält. Oder gleich zur Ampelkreuzung weiter vorn an der Straße ausweicht.
Dabei ist es oben auch nicht viel angenehmer. Viel Verkehr, viele Menschen, eine Verkehrsplanung aus der Hölle. Der Radweg verläuft auf dem Bürgersteig, zwischen aus der S-Bahn strömendem Fußvolk und den straßenseitig am Geländer nestelnden Fahrrad-Anschließern darf man sich als Radfahrer daran versuchen, nicht auf Kollisionskurs zu geraten. Viel Spaß auch! Anne Vorbringer
Tripadvisors Albtraum: der Görlitzer Park in Kreuzberg
Nur ein paar Autominuten vom Hermannplatz entfernt befindet sich der Görlitzer Park. Wobei die Bezeichnung Park ein echter Euphemismus ist. Denn genau genommen ist das Areal ein begrünter Trichter, um den herum sich Anwohner, Touristen und Kleinkriminelle den öffentlichen Raum teilen.
Parks in Metropolen sind oft Orte, an denen gedealt wird. So auch im Görlitzer Park. Dort aber seit Jahren so penetrant und mit oft hohem Aggressionspotenzial, dass sich ähnliche Areale wie die Neuköllner Hasenheide geradezu lieblich ausnehmen.
Seit ewigen Zeiten sorgt das Problem immer wieder für Schlagzeilen. Anwohner beklagen, dass sie sich nicht sicher fühlen würden. Immer wieder kommt es zu Polizeieinsätzen und ab und an auch zu medienwirksamen Besuchen von oberen Verbrechensbekämpfern und Senatoren. Am Ende steht dann das zumeist markige Versprechen, den Park zu befrieden und nun aber wirklich mal scharf in den Blick zu nehmen.
Geändert hat sich bislang in vielen Jahren so wenig, dass man sich des Gefühls nicht erwehren kann, dass eigentlich gar keine echte Lösung gewünscht ist. Dass man den Park irgendwie aufgegeben hat, vielleicht mit dem Hintergrund, das Kreuzberger Problem so nicht in andere Stadtteile zu verschieben. Marcus Weingärtner

Friedrichshain: Eine Mischung aus Übergentrifizierung und Überdosis
Warum man Friedrichshain meiden sollte? Wegen seines Gesamtkonzepts einer unverbesserlichen Doppelmoral gepaart mit hohem Drogenkonsum. Friedrichshain ist der Stadtteil, der alle Stereotype vereint, die gemeint sind, wenn der Satz „Das ist so Berlin“ fällt. Alle sind woke, vegan und links. Die Bibel der Friedrichshainer Studenten ist „Das Kapital“ von Marx, alle sitzen in den Cafés am Boxhagener Platz und schlürfen Cappuccino mit Hafermilch für 6,50 Euro, essen Avocado-Brot für 16,90 Euro. Anschließend geht es zum Klimastreik oder zur „Genug ist Genug“-Rallye.

Dass der Stadtteil von alternativen Hipstern beherrscht wird, zeigt sich in a nutshell am Shisha-Café Luft und Liebe in der Simon-Dach-Straße. Dort nennt man sich, vermutlich aus ästhetischen Gründen, nicht Shisha-Bar, sondern „Duft-Bar“, serviert werden keine einfachen Shishas, sondern „Duftpfeifen“ mit allerlei Früchtesorten im Wassertank. Dazu gibt es Cocktails und Sushi. Kenner einer traditionellen Shisha-Bar in Neukölln würden hier vermutlich einen Herzinfarkt kriegen. Bei der gesamten Simon-Dach-Straße, deren Idee mit Bar an Bar ganz nett klingt, fragt man sich abends nach dem dritten Bier, ob man nicht doch am Ballermann und nicht in Berlin gelandet ist.
Von der My-body-is-my-temple-Mentalität, die hier drei Tage unter der Woche herrscht und bei der jeder vorbildlich auf Rohrzucker und tierische Produkte verzichtet und Matchatee trinkt, ist am viertägigen Wochenende nichts mehr zu spüren.
Schließlich hilft auch die tollste Saftkur nichts, wenn man an einem Wochenende eine Drehtabakpackung nach der anderen inhaliert und nach 48 Stunden im Berghain immer noch wach auf der Tanzfläche stampft. Die bittere Realität zeigt sich, wenn die Clubs gegen Anfang der Woche schließen und der Tag auf der Warschauer Straße und dem RAW-Gelände stark an eine Episode von „The Walking Dead“ erinnert. Franka Klaproth
Kreisverkehr mit Gruselfaktor: das Kottbusser Tor
Von jeher einer der problematischsten Orte des Stadtteils Kreuzberg ist das Kottbusser Tor mit seinem markanten Gebäuderiegel, dem Zentrum Kreuzberg, kurz NKZ. Das Kottbusser Tor ist ein U-Bahnhof, hier aber Station der Hochbahn und eigentlich kein uncharmanter Ort. Ein typischer Großstadtknotenpunkt, mehrere Linien treffen hier aufeinander, oberirdisch und unterirdisch, und unterirdisch ist leider auch die Kriminalitätsbelastung dieses Ortes.
Es gibt viel Dealerei am Kotti, viele Junkies und Alkis haben hier seit Jahrzehnten ihre festen Treffpunkte und treffen tagtäglich auf viele Tausend Menschen, auf Anwohner, Touristen und Umsteiger. Da ist der Ärger schon programmiert, und spätestens zum 1. Mai dann ist der Kotti auch bundesweit wieder in den Schlagzeilen, wenn die alljährliche Randale zwischen Linksautonomen und Polizei über die Bühne geht.

Nun soll eine Polizeiwache, wohl auf recht einsamen Wunsch der Senatorin für Inneres, Iris Spranger, am Kotti gebaut werden. Ob das was bringt, ist fraglich. Eine Tatsache ist hingegen, dass die Kosten für die geplante Wache im NKZ jetzt schon um ein Vielfaches gestiegen sind – von rund einer Viertelmillion Euro auf fast vier Millionen. Befürworter dieser Idee findet man wenige. Und ob das den Kotti zu einem sicheren Ort macht, ist mehr als fragwürdig. Marcus Weingärtner
Vernachlässigt und verwahrlost: der Volkspark Prenzlauer Berg
Früher einmal muss es hier schön gewesen sein. Als wir noch kleine Kinder waren, gingen meine Eltern gern mit uns in den Volkspark Prenzlauer Berg zum Rodeln oder Drachen steigen lassen. Auch heute noch schwärmt so mancher von einem Kleinod, einem wilden, aber schönen Stück Grün im Schatten des deutlich bekannteren und stark frequentierten Volksparks Friedrichshain.
„Ein Park für das ganze Jahr“, titelt etwa das Reiseportal visitBerlin über den in den 1960er-Jahren auf einem Trümmerberg angelegten Volkspark Prenzlauer Berg und schreibt von einer „idealen Möglichkeit, der Großstadt zu entfliehen“. Ein bekanntes Stadtmagazin dichtet: „Pappeln, Eschen und Ahorn, Robinien und Weiden schmiegen sich an den Hügel im Park, über die Wege in Serpentinen den Berg hoch ziehen.“

Nun ja, als ich vor ein paar Tagen mal wieder in dem von Einfamilienhäusern, Plattenbauten und Kleingartenanlagen umgebenen Park ganz im Osten des Stadtteils war, schmiegten sich eher Sperrmüll und ausrangierte Matratzen an die Bäume. Keine Ahnung, wann dort zuletzt ein Grünflächenamt vorbeigeschaut hat, aber der Wildwuchs hatte in meinen Augen so gar nichts Romantisches. Eines der Aussichtsplateaus ist derart überwuchert, dass man außer Ästen, Wurzeln und Sträuchern nichts mehr sieht.
Abgesehen von ein paar einsamen Gestalten, die sich in den Büschen herumdrücken und dort was auch immer tun. Schon am helllichten Tag sucht man hier als Frau lieber schnell das Weite. Bei Einbruch der Dunkelheit möchte man sich diese Grünanlage besser gar nicht vorstellen. Schade drum! Anne Vorbringer
Touris und Taschendiebe: rund um den Alexanderplatz
Das Wahrzeichen Berlins, mindestens genauso, vielleicht sogar noch bekannter als das Brandenburger Tor, ist der Fernsehturm. Und gegen den ist auch nichts einzuwenden, er macht die Skyline der Stadt unverwechselbar. Jedes Mal überkommt einen ein kleiner Rausch, wenn man ihn durch die Lücken der Straßen durchspitzeln sieht, weil er daran erinnert, dass man in der Hauptstadt Deutschlands wohnt. Doch je näher man dem Fernsehturm kommt, desto schrecklicher wird es. Die Umgebung, der er entsprießt, ist nämlich alles andere als schön. Der Rausch, der einem dort widerfährt, ist der Schreck, wenn die Tasche oder das Handy plötzlich weg sind.
Die Touris, die die meiste Zeit nur nach oben starren, sind für Taschendiebe eine leichte Beute. Ansonsten gibt es rund um den Alexanderplatz, so lange man nicht seinen Nacken verrenkt, um die Kugel des Turms zu bestaunen, nichts, was auch nur ansatzweise einem schönen Anblick gleichkommt. Die Weltzeituhr steht traurig inmitten des grauen Platzes, irgendwo hämmert ein Presslufthammer, man wird fast von der Tram umgefahren, die einmal quer über den Platz fährt. Die rote Schrift, in der in Großbuchstaben „STOP WARS“ auf dem kargen Haus der Statistik geschrieben steht, trägt auch nicht dazu bei, das Areal weniger trostlos aussehen zu lassen.






