Kolonialgeschichte

Toxischer Besitz: Wer fürchtet sich vor der Entkolonialisierung?

Afrikaner erheben im Humboldt-Forum stolz Ansprüche, im Schloss Charlottenburg fürchtet sich die Ausstellung „Schlösser.Preußen.Kolonial.“ vor sich selbst

Das in der Ausstellung in Charlottenburg gezeigte Gemälde von Antoine Pesne, „Prinz Friedrich Ludwig in Preußen (1707–1708) im Gartenwagen mit schwarzem Kammerdiener“, entstand 1711.
Das in der Ausstellung in Charlottenburg gezeigte Gemälde von Antoine Pesne, „Prinz Friedrich Ludwig in Preußen (1707–1708) im Gartenwagen mit schwarzem Kammerdiener“, entstand 1711.Jörg P. Anders/SPSG

Ein König fährt am Schloss in Berlin-Mitte vor. Es ist der 11. Juni 2023, als der schwarze Mann dem Wagen entsteigt. Hunderte in afrikanische Gewänder gekleidete Menschen, Frauen, Männer, Kinder jubeln. Die paar Bleichgesichter mittenmang gehen fast unter in der heiter-aufgeregten Menge schwarzer Menschen.

Der Herr im vollen Königsornat fährt im Humboldt-Forum unter Jubel die Rolltreppe hinauf bis zum Ethnologischen Museum, betritt den Kamerunsaal und setzt sich auf das herrlichste Objekt der ganzen Sammlung, den im Zentrum stehenden Thron mit dem Namen Mandu Yenu („reich an Perlen“). Die Begeisterung der umstehenden Menge kennt kaum Grenzen.

Der König von Bamun sitzt wieder auf dem Thron, der einst seinem Vorfahren König Nsangou gehört hat. Der deutsche Kolonialgouverneur hatte ihn dessen Sohn, König Njoya, im Jahre 1908 abgeschwatzt, abgenötigt, abgepresst – es gibt abweichende Beschreibungen des Vorgangs. Es sollte ein Geburtstagsgeschenk für Kaiser Wilhelm II. sein, damals wohnhaft im Berliner Schloss. Im Tausch bekam der König von Bamun eine preußische Uniform und einen Musikapparat, der im kamerunischen Grasland bald den Geist aufgab.

Bamun-König Muhammad-Nabil Mbombo Njoya im Kamerunsaal des Ethnologischen Museums im Humboldt-Forum auf dem Thron seiner Vorfahren. Der Thron Mandu Yenu gehört zu den Prachtstücken des Museums.
Bamun-König Muhammad-Nabil Mbombo Njoya im Kamerunsaal des Ethnologischen Museums im Humboldt-Forum auf dem Thron seiner Vorfahren. Der Thron Mandu Yenu gehört zu den Prachtstücken des Museums.Screenshot/Video Kamerun Haus

Dass es sich um ein Objekt deutscher Begierde handelt, kann man nachvollziehen: ein Wunderwerk, kunstvoll mit bunten Glasperlen und Kaurimuscheln bestickt. Auch die beiden Ahnenfiguren, die an der Sitzfläche im Rücken des Königs stehen, ihn beschützen und die vor den Thron Tretenden mit festem Blick aus dunklen Perlenaugen anschauen, sind so gestaltet. Ein herrlicher Thron.

Die körperliche Wiederinanspruchnahme im Humboldt-Forum ist der konkreteste, unmittelbarste und eindrucksvollste Akt von Entkolonialisierung, den die ehemalige Hauptstadt des deutschen Kolonialreiches bis dato erlebte. Noch verhandelt eine von der Regierung Kameruns eingesetzte Kommission mit den deutschen Partnern. Restitution – Rückgabe – ist das Wort der Stunde.

Im Vergleich zu diesem Akt aktiver Entkolonialisierung wirkt der Versuch in gleicher Sache, den die soeben eröffnete Ausstellung „Schlösser.Preußen.Kolonial.“ im Schloss Charlottenburg unternimmt, eher bescheiden. Vorsichtig, geradezu scheu, gewissermaßen mit spitzen Fingern nähert sich die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (SPSG) ihren Beständen und prüft sie auf koloniale Spuren.

Was man da alles falsch machen kann! Ständig muss man Ärger von Aktivisten befürchten, die mangelnde Sensibilität in Sprache, Bild, Anordnung, Darstellung, Einordnung erspüren könnten. Die Veranstalter warnen vor „rassistischen und stereotypen Bildern, Darstellungen rassistischer und sexualisierter Gewalt“ und anderem potenziellen Unheil. Ängstlich weicht man in komplizierte, verwickelte Formulierungen aus, gedacht als sensible Sprache. Für das nicht mit dem einschlägigen Blasen-Sprech vertraute Publikum bringt das Verständnisprobleme mit sich.

Zwischenstand in einem Lernprozess zur Kolonialgeschichte

Es ist schwierig. Aber es ist notwendig. Die deutsche Kolonialgeschichte bedarf dringend weiterer Beleuchtung – und zwar mit klarem, hellem Licht, in deutlicher, allgemein zugänglicher Sprache, anhand wissenschaftlicher Kriterien. Die Ausstellungsmacher verstehen ihre Arbeit als Anfang, als Lernprozess. Man habe die der Stiftung anvertrauten Bestände untersucht und auf neu gestellte Fragen neue Antworten gefunden, wie Professor Martin Vogtherr, der Generaldirektor der SPSG, sagte: „ein Zwischenstand“.

Es sei eine Entwarnung gewagt: Die Ausstellung birgt keine Horrorshow. Sie zeigt Objekte aus einer anderen Zeit – einer Zeit, in der preußische Europäer versuchten, sich mit weit weniger präziser Information als heute verfügbar ein Bild von fernen Welten zu machen: Man sieht Gemälde von schwarzen Kindern und Männern, die in aufwendiger, meist exotischer Kleidung den Damen, Herren oder Kindern vom Hofe zu Diensten sind.

Porzellanobjekte mit stereotypen Darstellungen schwarzer Menschen aus der neuen Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg zur Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ihrer Sammlungen.
Porzellanobjekte mit stereotypen Darstellungen schwarzer Menschen aus der neuen Ausstellung der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg zur Auseinandersetzung mit dem kolonialen Erbe ihrer Sammlungen.Juergen Blume/epd

Man sieht einen Stuhl aus Elfenbein, der aus Brasilien an den Hof kam. Man sieht Porzellan mit Motiven, die dienende Menschen zeigen. Tatsächlich finden die gängigen Stereotype immer wieder Anwendung. Sie wandern als in die Vorstellungen eingebrannte Motive durch die Jahrhunderte.

Diese Fortschreibungen sind auch gemeint, wenn in der Ausstellung von „kolonialen Kontinuitäten“ die Rede ist – nicht etwa die damals wie heute als gemeinsames interkontinentales Projekt praktizierte koloniale Ausbeutung. War denn die rücksichtslose Ausplünderung von Menschen und Ressourcen Afrikas im Dienste des europäischen Wohlstands jemals intensiver als heute? Solche kolonialen Kontinuitäten thematisiert die Ausstellung nicht; sie hat mit Brandenburg-Preußen genug zu tun.

Eingehegt von künstlerischen Interventionen finden die Besucher Informationen, die möglichst viele als Bereicherung ihres Weltbilds aufnehmen sollten. Behandelt werden die Geschichte der Brandenburgisch-Afrikanischen Compagnie (BAC), der ersten deutschen Aktiengesellschaft sowie der Versuch, eine kurbrandenburgische Marine aufzubauen. Besondere Aufmerksamkeit verdienen die mit viel Mühe erarbeiteten, dennoch nur fragmentarischen Biografien von Menschen, die aus Afrika an den Brandenburgischen Hof kamen.

Nur für einen Fall gilt als weitgehend gesichert, dass der Betreffende direkt aus der Kolonie Groß Friedrichsburg, heute Ghana, nach Berlin kam, die meisten erwarb der Hof auf den einschlägigen Märkten der Zeit in Antwerpen oder London. Sie fungierten meist als Diener oder Musiker. Das Wissen über ihr Leben ist beschränkt: In der Regel beginnt es mit dem Taufeintrag. Sind die Menschen verschleppt worden? Wenn ja, wie? Es gibt keine Kunde davon. Gleichwohl ist immer von Verschleppen die Rede, als bestünde nicht die Möglichkeit, dass afrikanische Familien im Glauben, Gutes zu tun oder Brückenbauer zu entsenden, Angehörige an den Hof gaben.

Ein Brief, eine Leihgabe aus dem Geheimen Staatsarchiv, gibt Kunde von einem Pauker bei Hofe, der sich an den König wendet mit der Bitte, heiraten zu dürfen. Seine Auserwählte ist eine mit nennenswerter Mitgift ausgestattete Cottbusserin. Im Brief äußert der Bräutigam, er hoffe auf gesellschaftlichen Aufstieg. Er darf heiraten. Offenbar stand der Verbindung kein rassistisches Ressentiment im Wege. Das sollte sich später ändern.

Erläutert wird auch die unklare Rechtslage: Im Preußen des 18. Jahrhunderts existierten keine Regeln für die Sklavenhaltung. Bekannt ist die tiefe Verachtung, die Friedrich II. gegen Sklaverei hegte. Man behandelte jeden Fall, jedes Freiheitsbegehren extra. Den Unterschied zwischen dem Status des Sklaven und dem des Leibeigenen (in dem die Mehrheit der Bevölkerung Brandenburgs feststeckte) sieht die Kuratorin Carolin Alff hauptsächlich in der Hautfarbe: Sklave = schwarz, Leibeigener = weiß.

Weitere Segmente der Ausstellung setzten sich mit dem Sklavenhandel auseinander, dem Wandel der Verhältnisse im 19. Jahrhundert, als das Deutsche Reich dann tatsächlich Kolonialmacht wurde (1884–1919), und schließlich mit der Sammelpraxis der Könige und Fürsten, die ihre „Kunstkammer“ bestückten, die später im heutigen Ethnologischen Museum aufging.

Versuch zur Entkolonialisierung Berlins

Von Maritta Adam-Tkalec

19.08.2020

Bekannt ist, dass der Brandenburgische Hof unter Kurfürst Friedrich Wilhelm, genannt der Große Kurfürst (der die Hugenotten ins Land rief), am transatlantischen Sklavenhandel mitverdienen wollte. Brandenburger erwarben an der afrikanischen Küste von afrikanischen oder arabischen Händlern Menschen und transportieren etwa 20.000 von ihnen über den Ozean – teils unter brandenburgischer Flagge, häufig unter anderen Flaggen. Sklaven galten als „Finanzware“. Für die eigenen höfischen Bedürfnisse erwarb man Menschen über die wichtigsten Sklavenhandelszentren jener Zeit in Holland oder Großbritannien.

Konzentration auf den Berliner Hof, so lautet die Erklärung dafür, dass das System des afrikanischen Sklavenhandels und der sehr kleine Anteil Preußens daran nicht zur Einordnung der Vorgänge herangezogen werden. Daher beanspruchte man auch keine wissenschaftliche Begleitung durch Experten für die Geschichte Afrikas. Merkwürdigerweise verzichtete man auch darauf, in Deutschland, gar im Berliner Umland lebende Nachfahren von jenen Menschen, um die es hier geht, zu kontaktieren und einzubeziehen.

„Weiße“ Sichtweisen werden ergänzt

Da sich die Ausstellungsmacher offenkundig auf unsicherem Grund fühlten, haben sie Stützen in die Ausstellung eingezogen – künstlerische Interventionen von Expertinnen und Experten mit afrikanischem Hintergrund, die ihre eigenen Sichtweisen beitragen. Ihre Beiträge sollen in einen Dialog mit den als heikel empfundenen Exponaten treten und „weiße“ Sichtweisen ergänzen.

Die auffälligste Intervention begegnet dem Besucher schon bevor er die Schlossräume betritt: Das berühmte Reiterstandbild des Großen Kurfürsten (1620–1688), das einst auf der Langen Brücke stand und jetzt den Fixpunkt des Ehrenhofes von Schloss Charlottenburg bildet, ist für die Dauer der Ausstellung von vier rot-schwarzen Holzstelen umstellt, die in einer Gitterstruktur aufragen.

Wer einen QR-Code am Reiterstandbild des Großen Kurfürsten im Ehrenhof von Schloss Charlottenburg scannt, erfährt Augmented Reality: zeitgenössische Intervention des Künstlers Nando Nrumah.
Wer einen QR-Code am Reiterstandbild des Großen Kurfürsten im Ehrenhof von Schloss Charlottenburg scannt, erfährt Augmented Reality: zeitgenössische Intervention des Künstlers Nando Nrumah.Nando Nkrumah

Der deutsch-ghanaische Kölner Künstler Nando Nkrumah hat sie erschaffen. Jede Stele flankiert eine der allegorischen Figuren, die sich zu Füßen von Pferd und Reiter befinden: muskulöse in Ketten gelegte Männer, nach üblicher Interpretation die damaligen Gegner des Großen Kurfürsten darstellend – Schweden, Polen, Frankreich, Osmanisches Reich.

Die vier Stelen stehen stellvertretend für Einheit, Freiheit, Mut, Wahrheit. Werte, die der Künstler als „Grundvoraussetzungen für die Dekonstruktion kolonialer Kontinuitäten und der Schaffung von nachhaltigem Empowerment“ ansieht. So der nicht jedem verständliche Text dazu. Mithilfe per Handy einscanbarer QR-Codes erweitert sich die Welt der Interpretation.

Die Intervention am Denkmal soll Trauer und Schmerz verhandeln.

Nando Nrumah, bildender Künstler, Köln

Wie baut der Künstler die Brücke vom Jahr 1696, als Andreas Schlüter die Skulptur erschuf, zu Kolonialismus und Sklavenhandel? Er sagt: Als das Reiterstandbild entstand, versuchte der Brandenburgische Hof, Teilhabe an den Gewinnen des Sklavenhandels zu erlangen. Tatsächlich unterhielt Brandenburg die Niederlassung in Afrika ab 1683 in der Hoffnung, nach dem Dreißigjährigen Krieg durch Handel mit Menschen und Elfenbein nach holländischem Vorbild reich zu werden. Die Aktiengesellschaft wurde 1711 aufgelöst – die Einnahmen enttäuschten. Die Kolonie wurde sechs Jahre später aufgegeben.

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KPM
Die Ausstellung
Was: Schlösser.Preußen.Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus

Wo: Sonderausstellung im Schloss Charlottenburg – Neuer Flügel, Spandauer Damm 10–22

Wann: geöffnet täglich außer montags 10 bis 17.30 Uhr, letzter Einlass 17 Uhr, bis 31. Oktober

Begleitprogramm: u.a. rassismuskritischer Workshop, mehrere Termine im September, Anmeldung unter gruppenservise@spsg.de; „Mode à la Turc. Die Türkenmode in Berlin und im Schloss Charlottenburg“, Führung und Vortrag Dr. Stephan Theilig, am 13. Juli und 15. Oktober, jeweils 18 Uhr, tickets.spsg.de. Viele weitere Veranstaltungen unter https://www.spsg.de/aktuelles/ausstellung/schloesser-preussen-kolonial/

Und wie passt die Allegorie des Osmanischen Reiches, das zu jener Zeit als Kolonialmacht mit extremer Sklavenhalterpraxis seine größte Ausdehnung erreichte, in die Opferinterpretation? Gar nicht. Es gibt viele Gründe, sich mit der wichtigen Ausstellung auseinanderzusetzen. Der Versuch, die Interventionen der Künstler auf ihre Stimmigkeit zu prüfen, sollte dazugehören.

Den Hinweis des Ausstellungsteams, man erhebe keinen Anspruch auf letztgültige Interpretation, darf man getrost ernst nehmen. Am Eröffnungstag der Ausstellung stellte sich jedoch der Eindruck ein, dass die Entkolonialisierung durch Ereignisse wie den öffentlich völlig unbeachteten Auftritt des Königs von Bamun mit der massiven Präsenz von Afrikanern im Humboldt-Forum eine Dynamik gewinnt, die spitzfindige Debatten über Befindlichkeiten lokaler, in Europa lebender Decolonize-Aktivisten zu Schall und Rauch werden lässt.