Die Letzte Generation hatte angekündigt, dass sie Berlin ab dem 19. April „lahmlegen“ will. Die ersten beiden Protesttage starteten eher gemäßigt, von einem Stillstand ist die Stadt weit entfernt.
Pressesprecher Jakob Beyer erklärt im Interview, warum die Aktivisten so vorgehen und äußert sich zur Kritik an der Bewegung.
Berliner Zeitung: Wie laufen die ersten Tage des Protests?
Jakob Beyer: Wir haben mit Protestmärschen angefangen. Das ist für uns eine neue Protestform und soll den Menschen einen leichteren Einstieg ermöglichen. Sie sind auf der Straße und nicht angemeldet, aber der Konfrontationsmoment ist nicht ganz so stark, weil die Menschen sich fortbewegen. Es sind viele neue Mitglieder dabei, die sich das dann vielleicht eher zutrauen. Wir sind mit so vielen Menschen wie noch nie auf den Straßen, über tausend Menschen haben sich auf der Website angemeldet. Zahlen dazu, wie viele wirklich da sind, habe ich nicht. Es sind die letzten zwei Tage auf jeden Fall mehrere Hundert auf der Straße gewesen. Bisher haben alle Aktionen geklappt, ich bin ganz zufrieden. Aber das reicht natürlich noch nicht.
Davon, dass Berlin lahmgelegt ist, kann man ja nicht gerade sprechen.
Die tatsächliche Störung ist ab Montag geplant. Wir wollen an so vielen Stellen blockieren, dass wir es wirklich schaffen, große Teile des Berliner Verkehrs zum Stillstand zu bringen, damit die Regierung sich bewegt. Die Regierung muss endlich in den Notfallmodus schalten und auf den Boden der Verfassung zurückkehren.
Was müsste die Regierung tun, damit die Proteste aufhören?
Wir fordern die Einberufung eines Gesellschaftsrats, der unter der Fragestellung zusammenkommt, wie wir sozial gerecht bis 2030 aus der Nutzung fossiler Rohstoffe aussteigen. Das ist eine Erweiterung der Forderung, weil wir gesehen haben, dass die Bundesregierung nach über einem Jahr Protest nicht bereit ist, auf ganz einfache Forderungen einzugehen, wie das 9-Euro-Ticket und ein Tempolimit. Wir brauchen große Veränderungen und die Regierung ist nicht einmal bereit, diese Minischritte zu gehen. Das zeigt, dass sie die Situation einfach nicht im Griff hat und sich von der Gesellschaft unter die Arme greifen lassen muss. Das Prinzip von gelosten Gesellschaftsräten wurde schon oft erprobt und hat immer wieder fortschrittliche Ergebnisse erzielt. Dieser Gesellschaftsrat sollte medial begleitet werden, damit er einen großen gesellschaftlichen Druck erzeugt.
Wie finanziert die Letzte Generation ihre Aktionen?
Menschen, die es sich leisten können, kommen selbst dafür auf. Wir haben aber auch so viele Spendengelder, dass wir Unterkünfte in Berlin anbieten oder einen Teil der Kosten übernehmen konnten. Bei Strafen ist das etwas anderes. Das funktioniert rechtlich nicht. Die Gebühr für das Loslösen haben wir in der Vergangenheit aber schon über Spenden finanziert.
Der zivile Ungehorsam soll sich dieses Mal vor allem auf das Regierungsviertel konzentrieren. Ist das eine Reaktion auf die Kritik der Autofahrer?
Wir können das Argument nachvollziehen, dass wir die Regierung adressieren müssen. Das haben wir aber über die vergangenen Jahre auch gemacht und immer wieder gesehen, dass es einfach ignoriert wird. Wir werden weiter dort protestieren, weil dort die Verantwortlichen sitzen. Der Protest muss aber in der Mitte der Gesellschaft stattfinden, er muss stören.
Warum ist ziviler Ungehorsam wirksamer als Demonstrationen, die vielleicht mehr Menschen aus der Mitte der Gesellschaft mitnehmen würden?
Das ist die Frage. Warum reichen 1,5 Millionen Menschen an einem einzigen Tag nicht, die für Fridays for Future auf den Straßen waren? Ich würde mir wünschen, dass es anders ist, ich weiß nicht, warum die Politik darauf nicht hört. In der Geschichte waren große soziale Errungenschaften immer von zivilem Widerstand begleitet. Sei es beim Frauenwahlrecht, bei der Bürgerrechtsbewegung in den USA oder der Freiheitsbewegung in Indien. Wir versuchen, eine Störung zu kreieren, damit unser Protest nicht ignoriert werden kann.
Eine Vertreterin von FFF hatte ja gesagt, dass wir „gesamtgesellschaftliche Lösungen nicht finden können, indem wir Menschen im Alltag gegeneinander aufbringen“. Was würden Sie entgegnen?
Sie hat das im Nachhinein relativiert. Wir sind überzeugt, dass wir gesamtgesellschaftliche Lösungen brauchen. Dass wir demokratische Lösungen brauchen. Deshalb fordern wir auch die Einberufung eines Gesellschaftsrats. Der funktioniert so, dass Menschen zusammenkommen, eine Art Mini-Deutschland repräsentativ abbilden und nach dem Input von Experten gemeinsam Lösungen erarbeiten. Fridays for Future hat es geschafft, große Aufmerksamkeit zu erzeugen und zu zeigen, dass Mehrheiten für Klimaschutz sind. Es hat aber bisher nicht die nötigen Reaktionen in der Politik gebracht. In der Klimabewegung kämpfen alle für eine gemeinsame Sache und wir brauchen den vielfältigen Protest. Uns geht es nicht darum, uns als Gruppe beliebt zu machen, sondern dass sich diese Mehrheit auch in tatsächlichen Maßnahmen widerspiegelt. Wir brauchen Druck, den man nicht ignorieren kann und den erzeugen wir.
Nach einer Umfrage des Statista Research Department im Jahr 2022 halten 81 Prozent der Befragten die Aktionen der Letzten Generation für falsch. Erzeugt gerade dieser Gegenwind die notwendige Aufmerksamkeit?
Bei den jüngeren Menschen bis 25 Jahre haben wir deutlich höhere Zustimmungswerte, teilweise über 50 Prozent. Unter den Menschen, die von dieser Katastrophe noch lange betroffen sein werden, können es viele verstehen – seit Jahren passiert nichts, die Regierung bricht die Verfassung und sie verstehen, dass wir das nicht hinnehmen können und ein störender Protest gerechtfertigt ist.
Nutzt es der Letzten Generation, dass sich so viele Menschen aufregen?
So würde ich das nicht unbedingt sagen. Die Aufregung rührt daher, dass sich die Menschen an unserem Protest positionieren müssen. Auf der Straße gibt es natürlich Leute, die uns mit Gewalt begegnen, genauso aber auch Menschen, die uns danken und unterstützen. Wir bleiben in jedem Fall friedlich und gewaltfrei und das sehen die Menschen, auch wenn uns Gewalt entgegenschlägt oder Überreaktionen des Staates folgen. Als wir in Bayern ins Gefängnis gekommen sind, haben wir so viel Zulauf und Spenden wie noch nie bekommen, das kann uns als Gruppe helfen. Am Ende braucht aber die ganze Gesellschaft den Willen die Katastrophe abzuwenden und da brauchen wir eher Unterstützung als Gegenwind.
Die Klimabewegung wird insgesamt auch oft als elitär kritisiert.
Damit kann ich wenig anfangen. Privilegiert würde ich gar nicht bestreiten. Ich hab schon das Gefühl, ich hatte alles was ich brauchte und dadurch die Möglichkeit mir Gedanken zu machen, wohin sich die Gesellschaft entwickeln sollte und mich einzubringen. Ich habe die Chance, auf die Straße zu gehen und deshalb mache ich das, die Lösungen soll am Ende aber ein Gesellschaftsrat diskutieren und beschließen.
Wie lange geht der Protest in Berlin, womit müssen die Autofahrer rechnen?
Wir haben kein festgelegtes Ende geplant und haben vor, den Druck so aufzubauen, dass die Regierung in eine Situation kommt, in der sie auf uns reagieren muss. Dann würden wir den Protest beenden. Wir sind auch bereit, die Aktionen zu unterbrechen, um über eine Lösung ins Gespräch zu kommen. Als Protestform werden wir das weiterführen, wofür wir bekannt sind: Straßenblockaden und Protestmärsche. Es wird aber auch vereinzelte symbolische Aktionen im Regierungsviertel geben.
Gibt es nach den Aktionen Zusammenkünfte, bei denen die Teilnehmer reflektieren und auftanken können?
Es gibt eine Küche für alle, wo die Menschen etwas Warmes zu essen bekommen und sich austauschen können. Es ist anstrengend und es gehört mehr dazu als man denkt. Auf der Straße sitzen sieht einfach aus, aber es ist eine psychische Anstrengung, gerade die Ablehnung und Gewalt.




