Berlin/Mitte-Die rund 50 Bewohnerinnen und Bewohner, die im Januar in einen Wohnblock in der Habersaathstraße 40–48 in Mitte eingezogen sind, dürfen nun doch vorerst bleiben. „Die Schlüsselabgabe ist vom Tisch“, sagt Valentina Hauser von der Initiative „Leerstand-Hab-ich-Saath“ am Freitagnachmittag. Eben hat sie an einem Gespräch mit Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) teilgenommen. Von Dassel war für Gespräche in den Wohnblock gekommen.
Die Lage vor Ort schien heikel, nachdem die Hausverwaltung des Gebäudes am Mittwoch den Auszug aller Menschen gefordert hatte, die erst seit Jahresbeginn dort leben. Es handelt sich um ehemalige Obdachlose, sie waren nach einer Vereinbarung zwischen Bezirk und Eigentümer des Gebäudes eingezogen. Nun wollte der offenbar lieber Flüchtlinge aus der Ukraine in den Wohnungen unterbringen.
Die neuen Bewohner dürfen bis zum Abriss bleiben
Am Freitagvormittag hängen ein paar Leute noch Transparente an der grau-gelben Fassade auf. Die Haltung der Bewohner soll deutlich lesbar sein – wer weiß, was bei dem Gespräch mit dem Bürgermeister gleich herauskommt. Zwei Männer lehnen aus Fenstern im dritten oder vierten Stock und ziehen ein pinkes Tuch fest, auf dem mit großen Buchstaben steht: „Diese Häuser stehen (noch), weil Mieter*innen kämpfen“. Von der Straße versperren Kastenwägen die Sicht. Das ZDF dreht eine Serie. „Seit sechs Wochen“, sagt Daniel Diekmann und seufzt. Er ist einer der verbleibenden Altmieter in der Habersaathstraße.
Bevor von Dassel kommt, führt Diekmann durch die Häuser und den Hof, zeigt eine bezugsfertige Wohnung, in der zwei rote Schlafsofas stehen und kistenweise frische Wäsche, eine Spende von einem Hotel, sagt er. Er zeigt die neuen Armaturen, den neuen Spülkasten im Bad, Reparaturen, die er mit anderen Bewohnern vorgenommen hat. Im Hof zirpen Vögel, es blühen Tulpen, „unsere Bienenwiese“, sagt Diekmann, ein Handy klingelt, er scheint gleich mehrere dabei zu haben.
Im Januar einigten sich Bezirk und Eigentümer: Die neuen Bewohner dürfen bleiben, bis die Häuser abgerissen werden. Denn das ist der Plan der Arcadia Estate GmbH, der die Immobilie gehört. Nach dem Abriss soll ein Neubau hin. Diekmann kennt die Baupläne: Sieben Stockwerke, mit Penthouse oben drauf, die Bienenwiese wäre dann ein Betonfundament.
In einem Brief drohte die Hausverwaltung mit dem Rauswurf
Neben den 50 ehemaligen obdachlosen Menschen wohnen in den vier Häusern noch etwa acht Mietparteien mit alten Verträgen. An ihrer Seite kämpft auch der Berliner Mieterverein gegen eine Räumung, die für einen Abriss nötig wäre. Teile der Häuser 40 und 42 pachtet ein Unternehmen als Hotel, in dem vor allem ukrainische Arbeiter wohnen.
Diekmann sagt, in den anderen Wohnungen Geflüchtete unterzubringen, wäre Zweckentfremdung. Denn die freien Wohnungen sind Mietbestand. Mit den Bewohnern des Hotels habe man allerdings einen guten Draht, einige hätten seit Kriegsausbruch Familienmitglieder zu sich geholt, auch Kinder. In einer Nische des Innenhofs haben die Bewohner ihnen einen Spielplatz eingerichtet.
Früher als erwartet hatte nun jedoch ein Brief der Hausverwaltung die Bewohner aufgeschreckt. In dem Brief, über den die Berliner Zeitung berichtete, bedankte man sich für den Einsatz für eine „temporäre Obdachlosenhilfe für die Winterzeit“. Die solle zum 30. April ein Ende finden. „Die geänderten Umstände in Europa und die Flüchtlingslage in Berlin gebieten aus unserer Sicht eine sofortige Hilfe“, schrieb die Hausverwaltung weiter. Die Eigentümerin plane, ukrainische Flüchtlinge im Haus unterzubringen.
Sofort kündigten Bewohner und die Initiative „Leerstand-Hab-ich-Saath“ Widerstand an. Auch das Bezirksamt Mitte sprach sich nach Informationen von RBB24 gegen einen Tausch von ehemals Obdachlosen gegen Geflüchtete aus.
Zum Termin am Freitag ließ von Dassel keine Journalistinnen zu. Das Gespräch, zu dem der Grüne Bezirksbürgermeister mit dem Fahrrad anrollte, fand zwischen der Initiative, dem Sozialamt und dem Verein „Neue Chance“ e.V. statt, der in einem Büro mit Sozialarbeitern im Block vertreten ist. Von Dassel habe versichert, der Eigentümer sehe von einem Rauswurf der Bewohner ab, berichtete Sprecherin Valentina Hauser der Berliner Zeitung nach dem Gespräch.
Nun gehe es wieder – wie seit Januar – um den Erhalt des sozialen Wohnprojekts bis zum Abriss. Und nun? Erleichterung? „Wir wären sowieso nicht rausgegangen“, sagt Hauser. Doch gerade für die Bewohnerinnen, die oft lange Jahre keine eigene Wohnung gehabt hatten, seien die letzten Tage besonders aufreibend gewesen. „Sie brauchen das Gefühl, mal irgendwo anzukommen“, sagte Hauser. Die meisten von ihnen wären im Falle einer Räumung vermutlich wieder auf der Straße gelandet.
Das sagt der Eigentümer der Habersaathstraße 40–48
Ein dauerhaftes Bleiberecht scheint jedoch noch lange nicht gesichert – im Gegenteil.
Der Eigentümer der Häuser, die Arcadia Estate GmbH, teilt der Berliner Zeitung am Freitag auf Anfrage mit, nach ihrer „Interpretation der Gespräche mit dem Bezirk im Dezember 2021 sollte die Unterbringung ab 24.12.2021 nur als Kältehilfe für die 50 Obdachlosen sein“. Bis Mitte April sollte es eine Einigung mit dem Bezirk über Abriss und Neubau geben. „Nun haben wir Ende April …“, schreibt der Sprecher weiter.
Nun scheint sich die Sache hinzuziehen. Bis zur „Erteilung einer Abrissgenehmigung bzw. bis zum Beginn des Abrisses“ könnten nach Ansicht des Eigentümers deshalb Flüchtlinge in die Wohnungen ziehen. „Dies ist eine dringende Bitte und Idee des Mieters des Hotels, der aus der Ukraine stammt und persönlich durch mehrere Verwandte durch den Krieg in der Ukraine betroffen ist. Obendrein ‚leidet‘ die Belegung seines Hotel mit Gästen unter den Obdachlosen“. Was damit gemeint ist, führt der Sprecher nicht weiter aus.





