Mieterin Sylvia P. ist enttäuscht. „Es ist zum Verzweifeln“, sagt sie. Noch immer gibt es nach den zum Jahresbeginn erklärten Mieterhöhungen in den Sozialwohnungen in der Konrad-Wolf-Straße 62–64 in Lichtenberg keine Lösung für die betroffenen Haushalte. Stattdessen steigt die ohnehin schon hohe finanzielle Belastung der Mieter noch weiter an – wegen höherer Nebenkostenvorauszahlungen.
So sollen die 73-jährige Sylvia P. und ihr Mann vom 1. Mai an eine Warmmiete von 1082 Euro für ihre 63 Quadratmeter große Wohnung bezahlen, also mehr als 17 Euro pro Quadratmeter. Ein Grund für die höheren Nebenkostenvorauszahlungen sind die gestiegenen Energiekosten. Das Problem: Schon zum Jahresanfang war die Miete für die Wohnung von 780 auf rund 990 Euro erhöht worden. Bereits diese Mieterhöhung hatte zur Folge, dass die beiden die Hälfte ihres Renteneinkommens für die Miete ausgeben müssen.
So wie Sylvia P. und ihrem Mann geht es vielen der 136 Mieter-Haushalte in der Anlage des alten sozialen Wohnungsbaus. Die Miete ist hier zum Jahresanfang – ganz legal – von bisher rund 8,80 Euro je Quadratmeter auf mehr als 12 Euro je Quadratmeter kalt gestiegen, also um mehr als 30 Prozent. Dass ausgerechnet die Wohnungen des alten sozialen Wohnungsbaus von solch drastischen Mieterhöhungen betroffen sind, hat einen politischen Grund: Um nach der hohen Verschuldung Berlins im Zuge der Bankenkrise den Landeshaushalt zu entlasten, beschloss der Senat im Jahr 2003, dass es nach dem Ablauf einer 15-jährigen Wohnungsbauförderung keine Förderung über weitere 15 Jahre geben solle, wie bis dahin üblich.
Der Mietspiegel gilt nicht für Sozialwohnungen
Die Eigentümer erhielten damit das Recht, die Miete in den Wohnungen auf die sogenannte Kostenmiete anzuheben, also auf die Miete, die sich nach Anrechnung aller Ausgaben für die Wohnungen ergibt. Wichtig hierbei: Der Mietspiegel, der Mietsteigerungen im freien Markt beschränkt, gilt für geförderte Wohnungen nicht. Deswegen sind für Sozialwohnungen solche starken Erhöhungen möglich.
Rund 28.000 Wohnungen waren vom Ausstieg aus der Anschlussförderung betroffen. Die Folgen sind bis heute spürbar. Denn mancher Eigentümer macht erst jetzt von der Möglichkeit Gebrauch, die Miete anzuheben. Drastische Mieterhöhungen wie den Bewohnern in der Konrad-Wolf-Straße drohen damit theoretisch Tausenden anderen Mietern in Berlin, für deren Wohnung ebenfalls keine Anschlussförderung gewährt wurde. So beläuft sich die Zahl der Unterkünfte ohne Anschlussförderung nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung auf 10.775 mit Stand vom 15. Januar 2022.
Wie berichtet, halten sich die meisten Eigentümer zwar bisher mit Erhöhungen auf die Kostenmiete zurück. Bei fünf Prozent der Wohnungen ohne Anschlussförderung verlangten die Eigentümer im Jahr 2020 aber die Kostenmiete. Wenn es nach den Versprechen der rot-rot-grünen Koalition zu Beginn der vergangenen Legislaturperiode gegangen wäre, hätte es das Problem für die Mieter eigentlich gar nicht mehr geben dürfen. R2G hatte eine Reform des alten sozialen Wohnungsbaues zugesagt, zu der auch eine Regelung für die Wohnungen ohne Anschlussförderung gehören sollte. Doch dazu war es nicht gekommen. Der Grund: Die Koalition konnte sich zwischen zwei konkurrierenden Modellen nicht auf eines verständigen.
Staatssekretärin traf sich mit den Bewohnern
Die Mieter der Konrad-Wolf-Straße baten gleich nach Amtsantritt der neuen Landesregierung Stadtentwicklungssenator Andreas Geisel (SPD) um Hilfe. Dieser reichte die Aufgabe an die für den Mieterschutz zuständige Staatssekretärin Ülker Radziwill (SPD) weiter. Radziwill traf am 28. Januar die Mieter vor Ort.
Und das Ergebnis? „Die Staatssekretärin nimmt die Probleme der vom Wegfall der Anschlussförderung betroffenen Mieterinnen und Mieter sehr ernst“, teilte Behördensprecherin Petra Rohland auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. „Bei dem Treffen hat sie ausführlich den komplexen Sachstand dargestellt, insbesondere auch die Hintergründe, wie es zum Wegfall der Anschlussförderung kam.“ Dabei habe Radziwill „zugesagt, Lösungsmöglichkeiten zu prüfen, um Haushalten im sozialen Wohnungsbau ohne Anschlussförderung zu helfen“, so die Sprecherin. „Diese Prüfung läuft noch.“
Nachdem der Vermieter der Wohnungen in der Konrad-Wolf-Straße die höhere Betriebskostenvorauszahlung ankündigt hatte, wandte sich Sylvia P. noch einmal an die Staatssekretärin für Mieterschutz. Die ließ über einen Mitarbeiter zum Gesamtproblem erklären, dass die Erhöhung der Miete auf die Kostenmiete zulässig sei. Falls es zum Streit über die Betriebskosten komme, gebe es für die Mieter eine kostenfreie Beratung im Bezirk. Zugleich verwies der Mitarbeiter der Staatssekretärin auf einen Mietzuschuss für bedürftige Haushalte.
Der Mietzuschuss bringt Sylvia P. und ihrem Mann allerdings keine weitere Entlastung. Sie erhielten schon zur alten Miete von 780 Euro einen Mietzuschuss in Höhe von 165 Euro. Einen höheren Zuschuss bekommen sie nicht – auch wenn die Miete weiter steigt.

