Mobilität

Gewalt im Nahverkehr: Ein „lieber Kerl“ misshandelt einen Busfahrer

Die Zahl der Attacken auf Personal der BVG ist weiter zurückgegangen. Trotzdem kommt es immer wieder zu Angriffen. Nun wurde ein Täter in Berlin verurteilt.

Ein BVG-Bus der Linie 240 unterwegs auf der Warschauer Straße.
Ein BVG-Bus der Linie 240 unterwegs auf der Warschauer Straße.Sabine Gudath

Bier, Cola mit Wodka – und dann noch Tabletten. Alprazolam, ein Beruhigungsmittel, das zur Behandlung von Angst- und Panikstörungen eingesetzt wird. Ein toxischer Cocktail, der Thomas K., Busfahrer der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG), zum Verhängnis wurde. Junge Leute aus Berlin, die sich damit berauscht hatten, misshandelten K., nachdem er sie an der Endhaltestelle in Lichtenberg wegen einer kaputten Bierflasche angesprochen hatte. Jetzt hat das Amtsgericht Tiergarten einen der Täter verurteilt. Ebenfalls am Donnerstag gab die BVG neue Zahlen bekannt, wie oft ihr Personal attackiert wird.

Wenn Kevin E. nüchtern ist, sei er ein „lieber Kerl, ein Unschuldslamm“, sagt ein Nachbar aus dem Hellersdorfer Plattenbau, in dem E. mit seiner Mutter und den drei Halbgeschwistern gelebt hat, am Donnerstag im Saal B228 des größten deutschen Amtsgerichts. „Doch wenn er Alkohol getrunken hat, ist die Hemmschwelle niedrig.“

„Wer macht jetzt die Sauerei weg?“

So war es in der Nacht zum 13. März 2021. Kevin E., damals 19 Jahre alt, fuhr mit einer Gruppe von Jugendlichen und Heranwachsenden im Bus N56 durch den Osten Berlins. „Sie saßen im hinteren Bereich“, berichtete Busfahrer K. dem Richter. Und sie tranken. Später ermittelte die Polizei, dass E. 0,78 Promille Alkohol im Blut hatte.

Am U-Bahnhof Magdalenenstraße endete die Fahrt, und die jungen Fahrgäste stiegen aus. Noch im Nachtbus ging eine Flasche zu Bruch. Der Fahrer fragte: „Wer macht jetzt die Sauerei weg?“ Die beiden jungen Frauen hätten sich sofort entschuldigt. Doch den „Herren“, wie K. die jungen Männer vor Gericht nannte, war eher nach Gewalt zumute. Sie gingen zum Fahrer, brüllten ihn an, traten auf ihn ein, schlugen ihn ins Gesicht. Zwei Faustschläge habe Kevin E. beigesteuert, so der Vorsitzende Richter der Abteilung 394.

2021 registrierte die Polizei 4202 Körperverletzungen im Berliner Nahverkehr

Dem BVG-Mitarbeiter fiel die Brille von der Nase. Später wurden bei ihm Blutergüsse und Prellungen festgestellt. „Im Gesicht, auf der Brust, am Rücken war alles grün und blau“, gab der Busfahrer am Donnerstag als Zeuge vor Gericht zu Protokoll. K. wurde für zwei Wochen krankgeschrieben. „Ich habe lange gegrübelt, ob ich auch anders hätte reagieren können“, sagte er. Zuvor habe er ohne Angst Nachtbusse gesteuert. Er habe sich nicht bei jedem Fahrgast gefragt, ob vielleicht „ein Schläger einsteigt“. Jetzt werde er nicht mehr in den Nachtstunden eingesetzt, so der 52-Jährige.

Die Tat habe in einem „empfindlichen Raum“ stattgefunden, sagte die Staatsanwältin. In der Öffentlichkeit, in der sich alle Bürger sicher fühlen sollten. Das müsse bei der Strafzumessung eine Rolle spielen, forderte sie.

Es ist ein sensibles Thema, obwohl der Nahverkehr in Berlin als sicher gilt – auch wenn manche Berliner anders darüber denken. Im vergangenen Jahr registrierte die Berliner Polizei 4202 Körperverletzungen in diesem Bereich. Zusammen mit sieben anderen Deliktarten summierten sich die Straftaten im Nahverkehr auf 23.844 Fälle, so die Kriminalstatistik. Zum Vergleich: Ebenfalls im vergangenen Jahr wurden die Verkehrsmittel der BVG für rund 728 Millionen Fahrten genutzt.

Doch wenn etwas passiert, wirkt dies umso gravierender. Wenn BVG-Personal zum Opfer wird, führt das oft zu Krankschreibungen und damit zu Ausfällen. Im Nahverkehr wird jeder Beschäftigte gebraucht. Nach dem Ende der Pandemie steigen die Fahrgastzahlen wieder an.

Jetzt gab die BVG neue Daten bekannt. Danach ist die Zahl der Delikte, bei denen Personal der BVG und ihrer Dienstleister zum Opfer fielen, gesunken – was sicher auch damit zusammenhängt, dass in der Pandemie Busse und Bahnen seltener genutzt wurden.

„Lassen Sie die Finger von Alkohol und Drogen“

2019 wurden insgesamt noch rund 530 Straftaten dieser Art registriert, sagte Markus Falkner, Sprecher des Landesunternehmens. Im Jahr 2020 waren es circa 420, im vergangenen Jahr noch ungefähr 320 Straftaten. Betrachtet man als Teilmenge die Zahl der Körperverletzungen, stieg die Zahl zunächst von 230 im Jahr 2019 auf 240 im Jahr 2020. Im vergangenen Jahr waren es 150 – ebenfalls eine gerundete Zahl der BVG.

Kevin E. entschuldigte sich im Gerichtssaal mit Handschlag bei dem Fahrer. Das wurde positiv gewertet. Doch am Donnerstag ging es auch um seine Graffiti-Schmierereien und einen tätlichen Angriff auf seinen Nachbarn. Der 70-Jährige sprach davon, dass E. und seine Clique die Bewohner des Plattenbaus seit Jahren terrorisiert hätten. Im Strafregister von E., der mit 13 Jahren damit begonnen hatte, Haschisch zu rauchen, und eine dreijährige Tochter hat, stehen schon fünf Einträge. Im Juni war er bereits wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden.

Ihm müssten „schädliche Neigungen“ unterstellt werden, stellte der Richter fest. Auch wenn E. gelobt habe, dass er mit dem Konsum von Tabletten und Alkohol aufgehört habe – von „ein paar Bierchen ab und zu“, wie der Angeklagte zu Protokoll gab, mal abgesehen. Das Gericht verurteilte Kevin E. wegen gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und anderer Delikte zu einer Jugendstrafe von einem Jahr, die zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde, sowie zu 80 Stunden Freizeitarbeit. „Lassen Sie die Finger von Alkohol und Drogen“, warnte der Richter. „Das nächste Mal geht es ins Gefängnis.“