Ein Mann nimmt zwei Pappkartons und steckt sie ineinander. Die Kamera entfernt sich ein paar Meter von ihm, der Mann wirft die Kartons kräftig hinterher. „Die greifen mich an“, ruft Prince Ofori aufgeregt. Dann filmt er die Süßwaren, um die es in dem vorangegangen Streit ging: Eine Packung Schokoküsse.
Dieses Video aus einer Aldi-Filiale in Neukölln ging viral und hatte über acht Millionen Klicks. Im April 2021 ging Prince Ofori einkaufen. Er bemerkte einen älteren Mann, der seinen Sohn fragte, ob sie sich denn N***küsse gönnen sollten. Der Filialleiter mischte sich in die daran anknüpfende Diskussion ein und wies Ofori an, den Laden zu verlassen. In diesen Punkten stimmen die Zeugen überein. Ofori filmte daraufhin, wie sich eine Menschentraube um ihn bildete, der Filialleiter einen Karton in seine Richtung warf und die rassistische Fremdbezeichnung rechtfertigte.
Die Staatsanwältin vergräbt das Gesicht in ihren Händen. Der Verteidiger und der Anwalt der Nebenklage werfen sich zum wiederholten Mal gegenseitig vor, ihre Arbeit nicht richtig zu machen und ziehen die Verhandlung mit der ausufernden Ausführung ihrer Argumente in die Länge. Im Verfahren im Amtsgericht Tiergarten diskutierten die Beteiligten an vier Verhandlungstagen über Rassismus, die Veröffentlichung des Videos, manche Zeugen lügen offenbar.
Doch das alles scheint ins Urteil gar nicht einzufließen. Die Richterin fokussiert sich auf die Frage, ob der Pappkarton Prince Ofori verletzen konnte und spricht den ehemaligen Aldi-Filialleiter frei. Ob der Karton in Richtung Kopf flog, ließe sich anhand der Zeugenaussagen und dem Video nicht sagen. Auf den Tatvorwurf der Beleidigung ging sie bei ihrer Begründung nicht ein.
Staatsanwaltschaft: Rassistische Fremdbezeichnung „nicht böse gemeint“
„Dieses Verfahren ist eskaliert, genauso wie der Streit“, sagt sie. Sie sei froh, dass sie mit der Sache fertig ist und wünscht beiden Parteien mehr Selbstreflexion beim anhängigen Zivilverfahren, in der es um die Veröffentlichung des Videos geht.
Die Staatsanwaltschaft hatte 30 Tagessätze á 50 Euro beantragt. Sie sei überzeugt, dass die „Kurzschlussreaktion“ ein einmaliger Vorfall war und der alte Herr die Bezeichnung „nicht böse gemeint“ hätte. Oforis Anwalt Grimm zitiert in seinem Plädoyer aus verschiedenen Büchern, dass das N-Wort historisch gesehen schon immer abwertend genutzt worden sei.
„Noch mehr kann man nicht ranzoomen“, kommentiert Grimm das Urteil nach der Verhandlung. Er ist der Meinung, die Richterin hätte in Erwägung ziehen müssen, dass der Wurf auch eine Tätlichkeit sein könne. Es gebe entsprechende Rechtsprechungen für den Wurf eines Pappbechers, aus dem Flüssigkeit schwappt oder einen Eierwurf.




