Es muss ein furchtbares Gefühl sein, hinter sich zwei der mutmaßlichen Mörder seiner eigenen Mutter zu wissen. An diesem Dienstag sitzen die Tochter und der Sohn von Ilona S. als Nebenkläger im Schwurgerichtssaal 700 des Moabiter Kriminalgerichts. Ihre Stühle stehen vor dem Tisch der Verteidiger und der Bank, auf der zwei der fünf Angeklagten hinter Panzerglas sitzen.
Als Staatsanwalt Johannes Jost die Anklage verliest und zu der Tat kommt, bei der die 67-jährige Ilona S. getötet wurde, muss sich die Tochter der Seniorin immer wieder die Tränen aus den Augen wischen. Zu schrecklich sind die Details des Todes der Mutter.
Mit unbeteiligter Miene verfolgen die vier angeklagten Männer den Ausführungen des Staatsanwalts. Manuel F., Valentino K., David S. und Marko R. sind 23 bis 38 Jahre alt. Als einzige Frau sitzt die 35-jährige Alexandra K. auf der Anklagebank. Sie ist mit dem Angeklagten Valentino K. verheiratet, hat mit ihm sieben Kinder und bricht immer wieder in Tränen aus. Sie müssen sich wegen zweier heimtückisch und aus Habgier begangener Raubmorde und mehrerer Raubüberfälle auf wehrlose Senioren, die sie in Sachsen-Anhalt und Berlin ausgespäht haben sollen, verantworten.
Zwischen Juli und September vergangenen Jahres sollen die Angeklagten, teils als Bande organisiert, die meist betagten Frauen und Männer zu Hause überfallen, sie gefesselt und geknebelt haben, um die Häuser und Wohnungen in aller Ruhe nach Wertsachen durchwühlen zu können. Dabei erlitten die Opfer laut Anklage schwere Verletzungen. Zwei der Überfallenen überlebten die Raubüberfälle nicht. Die Staatsanwaltschaft geht von insgesamt sechs Taten aus.
Laut Anklage hatten sich die mutmaßlichen Täter stets unter einem Vorwand Zutritt zu den Wohnungen verschafft. Mal traten sie als Lieferanten auf, mal gaben sie an, den Stromverbrauch ablesen zu wollen. Die Raubserie begann nach Angaben des Staatsanwalts in Berlin.
Einer der Täter fragte den 81-jährigen Geschädigten, wo das Geld sei. Zu einem der weiteren Täter sagte er: Gib mal das Messer. Ich mach ihn kalt.
Am 1. Juli sollen der 38-jährige Valentino K. und weitere bisher unbekannte Mittäter in die seniorengerechte Wohnung eines alten Paares am Wilhelmsruher Damm in Reinickendorf eingedrungen sein. Die Täter fesselten die 87-jährige Frau und den 81-jährigen Mann und klebten ihnen die Mund zu. Wo das Geld sei, habe einer der Täter von dem Mann wissen wollen, sagt Jost. Anschließend sei der Senior geschlagen und mit den Worten „Gib mal das Messer. Ich mache ihn kalt“ bedroht worden.
Aus Angst habe der 81-Jährige das Versteck einer Geldkassette mitgeteilt, in der sich 4000 bis 5000 Euro befunden haben sollen. Mit dem Geld, einer Bernsteinkette und einer Uhr im Wert von 100 Euro sollen die Täter geflohen sein und ihre verletzten Opfer zurück gelassen haben. Die Frau, so sagt es Jost, habe Todesangst erlitten.
Der zweite Raubüberfall soll am 25. Juli begangen worden sein. Dabei machte Valentino K. selbst vor einem Nachbarn nicht halt. Gegen 13 Uhr soll er an der Wohnungstür des 82-Jährigen im Haus an der Finsterwalder Straße geklingelt haben, in dem auch er mit seiner Familie lebte. Wieder wurde das Opfer überwältigt und mit dem Tode bedroht. Rund 1000 Euro sollen die mutmaßlichen Täter ebenso mitgenommen haben wie ein Portemonnaie, eine Bankkarte, den Personalausweis und den Sparstrumpf des Seniors sowie zwei Kisten mit Elektrobohrmaschinen und eine Casio-Armbanduhr im Wert von 226,80 Euro. Der Rentner konnte sich selbst befreien und die Polizei alarmieren.
Der nächste Raubüberfall im sachsen-anhaltinischen Annaburg endete tödlich. Am 18. August öffnete Ilona S., die allein in einem Einfamilienhaus lebte und sich als Zeitungszustellerin etwas zu ihrer kleinen Rente dazu verdient hatte, ihren mutmaßlichen Mördern arglos die Tür. Bei der Tat sollen die Angeklagten Manuel F., Valentino S., Marko R. und Alexandra K. dabei gewesen sein.
83-jähriger Senior erstickte, weil ihm der Mund verklebt worden war
Die 67-Jährige sei überrumpelt und an Händen und Füßen gefesselt worden, sagt Staatsanwalt Jost. Anschließend habe sie einer der Täter so stark gewürgt, dass sie an den Folgen der Gewalt gestorben sei. Mit einen Geldbetrag in unbekannter Höhe, drei goldenen Ringen, einer Schleifmaschine sowie vier dazu passenden Akkus verließen die Täter das Haus.
Vermutlich nur einen Tag später starb das zweite Opfer der mutmaßlichen Räuberbande: der 83-jährige Heinz S. Er hatte die Wohnungstür geöffnet – vermutlich in der Annahme, ein Paket geliefert zu bekommen. Stattdessen soll er überwältigt, gefesselt und geschlagen worden sein. Durch das Verkleben des Mundes bekam der Senior keine Luft mehr. Er erstickte. Vermutlich mit einer größeren Bargeldsumme entkamen die Täter.
Zu der nächsten Tat soll es am 25. August in Moabit gekommen sein. Vier Männer, darunter wohl auch der angeklagte Manuel F., hätten an der Wohnungstür eines 78-jährigen Mannes geklopft, der ihnen daraufhin geöffnet habe. Das Opfer sei von dem Angeklagten so gefesselt worden, dass es hocken musste. Nach 30 bis 45 Minuten hätten die Täter die Wohnung mit bis zu 1200 Euro, der EC-Karte, der Schlüssel für die Wohnung und das Auto verlassen.
Ihren letzten Raubzug begingen drei der Angeklagten am 1. September. Ihr Opfer: eine 80 Jahre alte Frau im Rollstuhl, die sie seit einiger Zeit ausgespäht haben sollen. Der angeklagte Manuel F. habe sich als Paketbote ausgegeben und sich und seinen Komplizen so Zutritt zu der Wohnung in der Tiefenseer Straße im Märkischen Viertel verschafft, ist Staatsanwalt Jost überzeugt. Die Frau sei zu Boden gebracht worden, ihr seien Mund und Nase zugehalten und Hände und Füße mit Klebeband gefesselt worden. Die Täter hätten sie geschlagen und sie aufgefordert, den Blick auf den Boden gerichtet zu halten.
Rund 45 Minuten sollen sie nach Wertsachen gesucht haben und, um Druck aufzubauen, gedroht haben, zunächst den Hund der Frau und dann das Opfer selbst zu töten. Die Täter sollen sich die Beute aus dieser Tat geteilt haben. Jeder habe 320 Euro bekommen, erklärt der Staatsanwalt.
Nur zwei Tage nach dem letzten Raubüberfall konnten Manuel F., Valentino K. und David S. festgenommen werden. Die aus Serbien stammenden Männer sitzen seitdem in Untersuchungshaft. Alexandra K., in Berlin geboren und aufgewachsen, kam Ende Oktober in Untersuchungshaft. Auch sie muss sich wegen Mordes an Ilona S. in Annaburg verantworten. Der fünfte Angeklagte, Marko R., konnte Mitte Januar dieses Jahres gefasst werden. Sie waren bisher nur wegen geringerer Delikte aufgefallen und schweigen an diesem ersten Prozesstag zu den Vorwürfen.



