Prozess um Totschlag

Kind fand schwer verletzte Anissa: „Mama, ich glaube, da liegt das Mädchen“

Im Prozess um den gewaltsamen Tod eines fünfjährigen Mädchens im Berliner Bürgerpark sagen weitere Zeugen aus – auch die Mutter, deren Kind Anissa fand.

Nach dem gewaltsamen Tod der kleinen Anissa legten viele Menschen im Bürgerpark Blumen ab und zündeten Kerzen an.
Nach dem gewaltsamen Tod der kleinen Anissa legten viele Menschen im Bürgerpark Blumen ab und zündeten Kerzen an.Volkmar Otto

Als Corinna K. am Donnerstag als Zeugin im Gerichtssaal erzählt, wie sie und ihre Tochter die fünfjährige Anissa im Bürgerpark fanden, fängt Anissas Mutter lautstark an zu weinen. Auch die Zeugin, eine 40-jährige Grundschullehrerin, bricht in Tränen aus. Corinna K. ist selbst Mutter von drei Kindern.

Die Pädagogin hatte sich am frühen Abend des 21. Februar dieses Jahres mit ihrer großen Tochter und ihrem Hund an der Suche nach der vermissten Anissa beteiligt. Ihr Hund sei frei gelaufen. Gegen 17.30 Uhr sei ihre zwölfjährige Tochter dem Hund in ein Gebüsch hinterhergelaufen, um ihn wieder an die Leine zu nehmen. Plötzlich sei ihre Tochter wie erstarrt stehengeblieben und habe gerufen: „Mama, ich glaube, da liegt das Mädchen.“

Corinna K. schildert, wie sie ihre Tochter weggezogen und selbst nachgeschaut habe. „Das Kind lag auf dem Rücken im Laub. Davor war eine Art Schleifspur. Die Kleine war sehr blass“, erinnert sie sich mit stockender Stimme. Ihr sei klar gewesen, dass etwas Schreckliches passiert sei.

Corinna K. nahm ihre Tochter in den Arm und rief die Polizei. Danach schrie sie um Hilfe, sprach Passanten an, weil sie keinen der Polizisten sah, die seit drei Stunden nach Anissa suchten. Wenig später war ein Beamter am Fundort des Kindes. Er trug das Mädchen auf eine Wiese, begann mit der Reanimation.

Staatsanwaltschaft geht von sieben Stichverletzungen in Brust und Bauch aus

Auch die Mutter und der Angeklagte Gökdeniz A. seien angelaufen gekommen, sagt Corinna K. Der junge Mann habe in einem Tonfall, der ihr unangebracht erschien, gerufen: „Ist sie das, ist sie das? Ist sie tot, ist sie tot?“ „Es war irgendwas in der Stimme des Mannes, das nicht ehrlich klang“, erinnert sich Corinna K. Später habe sie noch gesehen, wie dem Mann Handschellen angelegt wurden. Sie selbst habe nach diesem Erlebnis wochenlang nicht arbeiten können. 

Ich finde es schon normal, wenn jeder ein Messer hat.

Victoria C., Anissas Tante

Gökdeniz A. muss sich wegen Totschlags vor einer Jugendkammer verantworten. Der 20-Jährige, ein Freund von Anissas Familie, soll am Tattag auf das Mädchen und dessen drei jüngere Schwestern auf einem Spielplatz aufgepasst haben. Am Nachmittag verschwand er mit der fünfjährigen Anissa, weil das Kind zur Toilette musste. Er kam wenig später allein zurück, erklärte, er habe das Mädchen aus den Augen verloren.

Die Staatsanwältin geht davon aus, dass Gökdeniz A. dem Kind im Bürgerpark mit einem Messer sieben Stichverletzungen im Brust- und Bauchbereich zugefügt hat. In Tötungsabsicht, wie es in der Anklage heißt. Das kleine Mädchen starb in einem Krankenhaus an ihren Verletzungen. Ein Motiv ist unklar, der Angeklagte hat zu den Vorwürfen bisher geschwiegen.

Sieben Zeugen werden an diesem zweiten Verhandlungstag gehört. Neben der Grundschullehrerin auch Anissas Tante, die Schwester der Kindesmutter. Die 22-jährige Victoria C. sagt, dass sie Gökdeniz A. seit ihrer Grundschule kenne. Sie sei ihm drei-, vier- oder vielleicht auch fünfmal in der Wohnung ihrer Schwester in einem betreuten Mutter-Kind-Projekt in Pankow begegnet. Mehrmals habe sie ihn aus der Wohnung geschmissen, weil er enervierend und sehr aufdringlich gewesen sei.

Was sie mit aufdringlich meine, will der Vorsitzende Richter wissen. „Wenn er was wollte, hat er hundertmal angerufen“, antwortet Anissas Tante. Sie erzählt, dass die vier Kinder ihrer Schwester Gökdeniz A. nicht gemocht hätten, besonders Anissa nicht. Trotzdem habe er öfter auf die Mädchen aufpassen dürfen. „Er hat sich aber nicht mit den Kindern beschäftigt, hat nur dagesessen, gegessen und geraucht“, erinnert sich die Zeugin.

Gökdeniz A. war für Kindesmutter wie ein Bruder

Victoria C. erzählt dem Gericht von zwei Vorfällen. Einmal habe Gökdeniz A. Anissa beim Duschen mit heißen Wasser verbrüht. Ein anderes Mal habe der Angeklagte Anissas jüngere Schwester in einen Koffer gesperrt. Victoria C. berichtet aber auch, dass die Kinder ab und an bestraft worden seien – von der Kindesmutter und deren Freund. Sie hätten dann auf einem Bein mit dem Gesicht zur Wand stehen müssen.

Anissas Mutter ist in dem Prozess Nebenkläger. Am ersten Verhandlungstag hatte die 25-Jährige unter Tränen berichtet, dass Gökdeniz A. wie ein Bruder für sie gewesen sei. Zu Hause, bei den Eltern, habe er Ärger gehabt. Aus Mitleid habe sie sich um ihn gekümmert.

Sowohl die Kindesmutter als auch die Tante erinnern sich daran, dass Gökdeniz A. ihnen am Abend vor Anissas Tod ein Messer zeigte. Er benötige es, um sich gegen seine gewalttätigen Eltern zur Wehr setzen zu können, soll er erklärt haben. „Ich finde es schon normal, wenn jeder ein Messer hat“, sagt Victoria C. dazu.