Edisher J. hat als Angeklagter das letzte Wort. Er steht auf, sagt dann mit tränenerstickter Stimme: „Ich fühle mich schuldig, ich bereue es.“ Dann schluchzt er hemmungslos, hält ein Foto hoch, das seine sechsjährige Tochter zeigt. Seine Worte, die die Dolmetscherin übersetzen muss, überschlagen sich. Er wolle sein Kind wiedersehen.
90 Minuten später spricht die Schwurgerichtskammer ihr Urteil über den 51-jährigen Georgier. Die Richter sehen es als erwiesen an, dass Edisher J. seine ukrainische Ehefrau Olena mit einem Stich ins Herz getötet hat. Sie verurteilen den Angeklagten wegen Totschlags im minderschweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren.
Edisher J. habe im Affekt gehandelt, als er am 1. Oktober vergangenen Jahres zum Messer gegriffen und seine Ehefrau vor den Augen der Kinder mit einem Stich tödlich verletzt habe, sagt Matthias Schertz, der Vorsitzende Richter, in der Urteilsbegründung. Dafür spreche auch, dass der Angeklagte bei der Messerattacke einen Tunnelblick gehabt und die Anwesenheit der Kinder ausgeblendet habe. „Welcher Vater macht das schon vor den Augen der Kinder: die Mutter umbringen?“, fragt Schertz.
Im Prozess hatte Edisher J. ein Geständnis abgelegt, die Tat bereut, jedoch auch erklärt, an den Messerstich keine Erinnerung zu haben. Ein psychiatrischer Sachverständiger hielt die Erklärung für nachvollziehbar, sprach von einer Affekttat und einer daraus resultierenden verminderten Steuerungsfähigkeit.
Laut Schertz habe die Beweisaufnahme erbracht, dass der Angeklagte von seiner Frau in Berlin drangsaliert und gedemütigt wurde, als er um Geld regelrecht betteln musste. Es habe immer wiederkehrende Beleidigungen gegeben. Auch Nachbarn hätten das Verhalten der Ehefrau vor Gericht bestätigt, sagt der Richter.
Die Familie lebte nach der Flucht aus der Ukraine beengt in einer Gemeinschaftsunterkunft. Dort sei es schwierig gewesen, sich in Konfliktsituationen aus dem Weg zu gehen, erklärt Schertz. War Edisher J. in der Ukraine derjenige, der das Geld nach Hause brachte, so gab es in Berlin einen Rollentausch. Olena J. bekam als Ukrainerin das Geld auf ihr Konto, der Angeklagte musste fragen, wenn er sich ein Bier kaufen oder zum Friseur gehen wollte.
Edisher J. stammt aus Georgien. 1992 hatte er seine Frau in der Ukraine kennengelernt. Sie sei seine Jugendliebe gewesen, hatte er zum Auftakt des Prozesses erklärt. Dann habe man sich aus den Augen verloren. 2014, Olena J. hatte bereits eine Tochter, fand sie Edisher J. über das Internet wieder. Er zog zu ihr nach Charkiw, sie heirateten, 2016 kam die gemeinsame Tochter zur Welt. Der Familie sei es gut gegangen, erzählte der Angeklagte im Prozess.
Als Fernfahrer verdiente Edisher J. gutes Geld, bestritt den Unterhalt der Familie. „Er wurde damit seinem Rollenverständnis gerecht“, sagt Schertz. In der Ukraine habe der Angeklagte die Hosen angehabt, wenn es um Geldangelegenheiten ging.
Welcher Vater macht das schon vor den Augen der Kinder: die Mutter umbringen?
Dann lag sein Vater in Georgien im Sterben. Als Edisher J. deswegen in seiner Heimat weilte, begann Russland den Krieg gegen die Ukraine. Der Angeklagte riet seiner Frau und den Kindern zur Flucht. Im Juli 2022 traf die Familie in Warschau wieder zusammen, reiste mit dem Zug weiter nach Berlin.
Hier organisierte die 44-jährige Olena J. alles Notwendige. Sie kümmerte sich um einen Kitaplatz für die jüngere Tochter, eröffnete ein Konto. Edisher J. kam in Berlin nicht klar, war zunehmend überfordert. Immer wieder kam es zum Streit. Edisher J. beschloss eine Auszeit, wollte nach Georgien zurückkehren. Am Tattag verlangte er für seine Reise Geld, seine Frau verwehrte es ihm, beleidigte ihn. Dies sei der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht habe, sagt der Richter.
Mit seiner Entscheidung blieb die Kammer weit unter der Forderung der Anklagevertretung. Staatsanwältin Henrike Hillmann hatte verlangt, Edisher J. wegen Totschlags schuldig zu sprechen und ihn zu einer Haftstrafe von zehn Jahren zu verurteilen. Ehssan Khazaeli, der Verteidiger des Angeklagten, plädierte dafür, seinen Mandanten wegen Totschlags im minderschweren Fall und verminderter Schuldfähigkeit zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zwei Monaten zu verurteilen.




