Am Sonntag geht die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen zu Ende – doch wenn der Schlusspfiff der Partie zwischen England und Spanien ertönt, wird im Kreuzberger Willy-Kressmann-Stadion immer noch eine WM stattfinden. Gewissermaßen. Dort findet seit Mittwoch das Discover Football Festival statt, wo junge Spielerinnen aus Berlin und aller Welt sich zu fünf Tagen voller Spiel, Teamwork und internationaler Freundschaften treffen – aber eben auch, um ernste Themen wie Diskriminierung im Frauenfußball und Menschenrechte zu besprechen.
Alle zwei Jahre findet das Festival in Berlin statt, dazwischen bieten seine Organisatorinnen auch Projekte im Ausland an, etwa in Indien, Libanon oder Argentinien. Mehr als 100 junge Fußballspielerinnen, zusammen mit Trainerinnen und Schiedsrichterinnen, sind für das diesjährige Festival angereist. Auch ein Berliner Team ist dabei, Champions ohne Grenzen. Der Verein setzt sich auch für eine starke Willkommenskultur für Geflüchtete in Deutschland ein. Im eigenen Turnier spielen die Mannschaften allerdings nicht gegeneinander, die Spielerinnen werden stattdessen durcheinander gemischt. Am Ende gibt es dann sechs Teams mit Spielerinnen aus allen teilnehmenden Ländern.
Die Gründungsidee für das Festival stammt aus dem Jahr 2006, als die Kreuzberger Mannschaft Al Dersimspor nach Teheran reiste, um gegen das iranische Frauen-Nationalteam zu spielen – bei dessen erstem öffentlichen Spiel seit der Revolution 1979. „In solchen Momenten wird einem klar, wieviel mehr Fußball ist als nur ein Spiel, und wie politisch gerade der Frauenfußball ist“, erinnert sich Sonja Klümper, Projektleiterin des Festivals, an die Partie. Sie sieht Frauenfußball als Spiegel der Gesellschaft – weswegen zum Festival bewusst Teams aus Ländern eingeladen werden, in denen es Frauensport und Menschenrechte besonders schwer haben.
Projektleiterin: Durch Sichtbarkeit wird Frauenfußball normalisiert
Das fällt beim Anschauen der Liste der teilnehmenden Ländern beim diesjährigen Festival auf: Die Ukraine, die Türkei, Südsudan, Kolombien, Georgien, Afghanistan und der Irak. Etwa die afghanische Mannschaft „Girl Power FC“ ist nicht von ihrem Heimatland aus nach Berlin gereist: Im August 2021 wurden die jungen Spielerinnen aus Afghanistan evakuiert, nun leben und spielen sie in Großbritannien. Vor dem Hintergrund solcher Erfahrungen ist es das Ziel des Festivals, so Sonja Klümper, den Frauenfußball selbst, sowie die Diskriminierung und Unterdrückung, denen die Spielerinnen oft ausgesetzt sind, sichtbarer zu machen. So erklärt sie den Sinn hinter dem Slogan des Festivals, „Unseen Game“ – unsichtbares Spiel.

Für den Verein bedeutet Sichtbarkeit allerdings auch, dass man nicht vergessen darf, was etwa aktuell in Teilnehmerländern wie Afghanistan und der Ukraine passiert. Dafür will das Festival mit einem aufschlussreichen Podiumsprogramm sorgen. Am Samstagabend gibt es etwa ein Gespräch mit der ehemaligen iranischen Nationalspielerin Hamide Hamidi über die aktuelle Situation in ihrem Heimatland. Bei anderen Panels ging es etwa um queere Rechte in der Türkei oder den Krieg in der Ukraine; am Donnerstagabend besprachen die Spielerinnen der Mannschaft FC Legion aus Luzk das Thema Fußball in Kriegszeiten.
Und, wie es zu einem Fußball-Festival während einer Fußball-WM gehören müsste, gibt es auch Public Viewings. Bereits die Halbfinals am Mittwoch zwischen England und Australien wurde auf einer großen LED-Leinwand auf dem Gelände des Willy-Kressmann-Stadions gezeigt, nun werden am Wochenende auch das Spiel um Platz 3 zwischen Australien und Schweden am Samstag und das Finale selbst am Sonntag gezeigt. Auch die Öffentlichkeit ist eingeladen: Der Eintritt ist kostenlos, und Sonja Klümper verspricht ein Familienfest mit Kinderprogramm und Festival-Gefühl. Sie hofft auf regen Besuch aus der Berliner Bevölkerung – damit auch das Finalspiel des Discover Football-Turniers im Anschluss an das WM-Finale kräftig angefeuert wird.
Danach blickt Discover Football nach vorne: Nächstes Jahr veranstaltet es ein weiteres Fußballprojekt, das mit der Europameisterschaft des Männerfußballs in Deutschland zusammenfällt. Dabei soll es Aktionen in Flüchtlingsunterkünften geben. Geflüchtete Frauen mit einem Interesse an Fußball sollen die Möglichkeit haben, als Trainerinnen ausgebildet zu werden.
Noch Fortschritt gebraucht: „So was würde es bei den Männern niemals geben“
Für Sonja Klümper war die diesjährige WM in vielerlei Hinsicht erfreulich. Sogar dem frühen Ausscheiden der deutschen Nationalelf entnimmt sie ein positives Fazit. „Früher gab es sehr dominante Nationen im Frauenfußball, wie Deutschland oder die USA“, sagte sie. „Die sind jetzt alle früh rausgeflogen – und das ist ein tolles Zeichen dafür, wie der Frauenfußball in vielen Ländern viel besser gefördert wird, und damit wird auch die Konkurrenz viel größer. Das finde ich super.“ Aber die Debatte in Deutschland darum, ob die Spiele überhaupt im Fernsehen gezeigt werden konnten, habe gezeigt, dass noch mehr Fortschritt bei der Wahrnehmung des Frauenfußballs gebraucht ist. „So was würde es bei den Männern niemals geben“, so Klümper.
Was das Thema Sichtbarkeit im Frauenfußball betrifft, hat Klümper einige Wünsche. „Wir kämpfen dafür, dass die Fifa das afghanische Nationalteam im Exil anerkennt“, sagt sie. Auch auf Basisebene in Städten wie Berlin gebe es noch einiges zu tun. „Es ist natürlich wichtig, dass wenn Vereine Männer- und Frauenteams haben, dass dann nicht nur die Männermannschaft die guten Trainingszeiten bekommt, die Teams sollten auch finanziell gleich unterstützt werden“, sagt sie. Das hätte als Folge, dass es immer normaler würde, Frauen und Flinta-Personen beim Fußballspielen im Park oder am Strand zu sehen. „So wird der Frauenfußball gesellschaftlich normalisiert – Sichtbarkeit ist ein Schlüssel.“




