Mitten auf der Straße des 17. Juni taucht plötzlich ein Mann auf einem Rennrad neben mir auf, schaut mich an und ruft: „Hey! Lust auf ein Rennen?“ „Nein!“, schreie ich gegen den Fahrtwind zurück und schüttele den Kopf. In meinem Rucksack befindet sich schließlich gerade fragiles Gut. Und das muss ich irgendwie auf dem Rad heil nach Hause bringen, mein Magen knurrt schon.
Mittlerweile ist es fast schon Mittagszeit und ich komme gerade von meiner allerersten Too-Good-To-Go-Abholung. Warum? Weil ich versuchen möchte, mich in Berlin einen Tag mit 20 Euro zu ernähren. Das, was ich noch im Kühlschrank habe, rühre ich nicht an.
Schon beim Frühstück Gutes tun
Too Good To Go hat sich als Ziel gesetzt, Lebensmittel zu retten, die weggeworfen werden sollen. Mithilfe der Too-Good-To-Go-App können Personen bei Läden, Restaurants, Cafés oder Hotels überschüssige Lebensmittel zu einem günstigeren Preis abholen. Durch Lebensmittelverschwendung entsteht pro Kopf und Jahr knapp eine halbe Tonne Treibhausgase. Das entspricht circa vier Prozent der jährlichen Gesamtemissionen von Deutschland.
Ich kann also Gutes tun und Geld sparen! Dafür habe ich direkt am frühen Morgen nach dem Aufstehen in die App geschaut und mir eine „Überraschungsbox“ in einem bekannten Berliner Hotel auf der Friedrichstraße für 4,50 Euro reserviert. Ich habe hohe Erwartungen, so ein gutes Frühstücksbüfett in einem Hotel lässt schließlich selten Wünsche offen. Weil bei Too Good To Go ja übrig gebliebene Reste abgeholt werden können, beginnt der dreißigminütige Zeitslot zum Abholen meiner Box nach dem Ende der offiziellen Frühstückszeit im Hotel. Um Punkt 10.30 Uhr laufe ich also in die große Eingangshalle und melde mich bei der Rezeption, die mich zum Speisesaal schickt. Ich steige eine glamouröse Treppe hinauf und fühle mich in meiner Regenjacke und mit meinem Fahrradhelm in der Hand ein wenig fehl am Platz.

Vor dem Raum stehe ich dann ein paar Minuten etwas unschlüssig herum, drinnen sitzen noch Hotelgäste und weit und breit ist niemand zu sehen, den ich fragen könnte. Dann aber kommen noch drei andere junge Menschen, die leere Tupperdosen in der Hand halten. Natürlich wollen auch sie Lebensmittel retten, wie ich es vorhabe. Als wir ins Gespräch kommen, erzählt einer von ihnen, er mache das regelmäßig und fahre sogar mehrere Hotels ab, um eine große Ausbeute zu haben. Zu viert trauen wir uns dann, einfach in den Speiseraum zu spazieren. Wir geben dem Hotelpersonal Bescheid, zeigen unsere QR-Codes in der App vor – und endlich kann ich mir alle möglichen Köstlichkeiten einpacken!
Das Büfett ist noch gut gefüllt. Klar, ich merke, dass ich nicht die Erste dort bin, aber ich kann aus allem auswählen: Oliven, hausgemachtes Basilikumpesto, verschiedene Brot- und Brötchensorten, Rührei, Käse, Obst und Gemüse … Nachdem ein Lebensmittelretter darauf hingewiesen wurde, auch ja nicht zu viel einzupacken, traue ich mich nicht, so richtig zuzuschlagen, und packe mir gerade so viel ein, dass ich satt werden könnte. Ich verstaue alles in meiner Tupperdose, weshalb ich dann ganz vorsichtig mit dem Rad auf dem Rückweg bin, damit sich nicht am Ende alles miteinander vermischt.
Günstig Burger essen mit Aussicht
Kurz vor 12 Uhr esse ich dann also endlich etwas, bin aber direkt schon wieder auf dem Sprung, um mich auf den Weg zur Skyline-Mensa der TU Berlin am Ernst-Reuter-Platz zu machen. Ich habe schon viel Gutes über die vegetarischen und veganen Burger dort gehört – und vom Ausblick über ganz Berlin! Und weil es sich schließlich um eine Studierendenmensa handelt, bei der auch Gäste essen dürfen, hoffe ich auf ein kostengünstiges Mittagsmahl.
Mit dem Aufzug geht es hoch in den 20. Stock und als Erstes lese ich den Hinweis, dass nur Leute, die die MensaCard besitzen, hier essen dürfen. Hier also endet schon meine Hoffnung auf ein Mittagessen, denke ich. Dann aber sehe ich einen MensaCard-Automaten, wo ich mir auch als Gast – ich bin nämlich keine Studentin in Berlin oder an einer der Partneruniversitäten – eine Karte machen kann. Mit zehn Euro lade ich diese auf, davon geht Pfand ab, und für etwas unter sechs Euro bekomme ich dann einen vor meinen Augen frisch zubereiteten Edamame-Minze-Burger. Mit einer Portion Pommes liege ich bei insgesamt 7,70 Euro. Auf Ketchup, Salat, Dessert und Getränk verzichte ich. Das kostet alles extra.

Weil ich nach dem noch nicht so lange zurückliegenden Frühstück noch gar nicht wieder Hunger habe, die Mensa in den Semesterferien aber einfach nicht so lange geöffnet hat, genieße ich die Aussicht, mache Fotos für Instagram – und packe dann meinen Burger und die Pommes in eine mitgebrachte Tupperdose. Das wird sich im Tagesverlauf übrigens noch als eine sehr gute Idee herausstellen.
Den umgezogenen Thaimarkt ausprobieren
Nach dem Arbeiten will ich jetzt meine Westberliner Gegend für den Abend noch einmal so richtig verlassen und radle nach Kreuzberg in den Gleisdreieckpark. Der Thaimarkt, der eigentlich immer in meinem Bezirk Charlottenburg im Preußenpark stattfand, ist nämlich gerade dorthin umgezogen. Und wie das immer so ist, schaffte ich es nicht zum Markt, als er noch ganz in meiner Nähe war. Es brauchte den Umzug an das gefühlt andere Ende der Stadt, um mich als Gast gewinnen zu können. Im Kopf überschlage ich meine bisherigen Kosten und stelle fest, dass mir noch etwa fünf Euro zur Verfügung bleiben. Kein Problem, denke ich. Auf einem Markt kann ich mich dafür sicherlich ein bisschen durch die thailändischen Spezialitäten probieren und neue Geschmäcker kennenlernen.

Zuerst bin ich überrascht von den langen Schlangen vor den wenigen Ständen. Aber okay, es ist eben ein lauer Augustabend, an dem es mal nicht regnet. Und dann bin ich überrascht von den Preisen. Für mein Budget gibt es, abgesehen von ein paar Getränken, genau eine kleine Sache: ein Dessert. Die Qual der Wahl habe ich also nicht mehr. Ich stelle mich da an, wo es für vier Euro Klebreis, schwarze Bohnen, Kokosmilch und etwas Zucker und Salz in einem Bambusrohr gibt. Weil es mir vor Ort viel zu voll ist und ich im Eifer des Gefechts nicht sofort verstanden habe, wie ich das jetzt eigentlich essen soll, fahre ich mit meinem gefüllten Bambusrohr wieder nach Charlottenburg, um mir dort das Dessert näher anzuschauen. Ich breche das Holz auf und löffle den relativ festen Reisbrei heraus. Es schmeckt nach genau dem, was drin ist, noch einmal hole ich mir das nicht.

Mein Budget habe ich nach dem Ausflug zum Markt jetzt aufgebraucht, ein paar Cent sind noch übrig. Und so richtig satt fühle ich mich irgendwie nicht. Von dem Burger, den ich mir mittags ja eingepackt hatte, ist auch nicht mehr ganz so viel übrig – im Tagesverlauf snackte ich dann immer mal wieder ein Stückchen davon oder aß noch eine Pommes.
Foodsharing: kostenlose Lebensmittel überall in Berlin
Eine Notlösung habe ich aber noch im Hinterkopf: die sogenannten Fairteiler von Foodsharing. 43 Fairteiler gibt es in Berlin, in Charlottenburg-Wilmersdorf stehen drei davon. Auch Foodsharing möchte einen Beitrag gegen Lebensmittelverschwendung leisten – unter anderem mit öffentlich zugänglichen Kühlschränken, in die Menschen Lebensmittel bringen und kostenlos von dort auch mitnehmen können.

Online kann ich auf den jeweiligen Standort klicken und im Forum nachlesen, was wann zuletzt dort hingebracht wurde. Unglücklicherweise bin ich zu spät dran: Wegen der fortgeschrittenen Uhrzeit mag ich nicht noch ewig weit durch die Stadt spazieren, und der Fairteiler, der näher dran ist, ist leider bereits geschlossen.






