Kurz vor 12 Uhr am Sonntag sitzt Maxin Joya im Schatten unter einem Pavillon, direkt am Spielfeldrand des Kreuzberger Willy-Kressmann-Stadions. Vor ihr steht ein großer LED-Bildschirm, auf dem das Finale der Weltmeisterschaft der Fußballerinnen 2023 zwischen England und Spanien in Kürze übertragen werden soll.
Hier wird der letzte Tag des parallel zur WM laufenden internationalen Fußballfestivals „Discover Football“ unter anderem mit einem großen Public Viewing begangen – und es verspricht, ein spannendes Spiel zu werden. Beide Mannschaften stehen zum ersten Mal im Finale – und man braucht Joya nicht zu fragen, wen sie unterstützt.
„Ich bin sehr gespannt – natürlich will ich, dass mein Team heute gewinnt“, sagt die 27-jährige Spanierin, die ein Trikot des Vereins FC Villareal trägt. „England hat ja bereits die Europameisterschaft gewonnen – also ich denke, wir haben diesen Titel schon verdient.“
Maxin Joya ist Trainerin für die 7er-Mannschaft im Verein DFC Kreuzberg, sie hat also die Kontroverse rund um den spanischen Trainer, Jorge Vilda, gut mitbekommen: Im September 2022 hatten 15 Spielerinnen einen Protestbrief gegen den Trainer unterschrieben; sie sahen ihre physische und emotionale Gesundheit durch seine Trainingsmethoden gefährdet.
Der spanische Fußballverband hielt zu Vilda: Er durfte als Trainer bleiben, nur drei der „Rebellinnen“ sind schließlich mit zur WM in Australien und Neuseeland gereist. Dass die Spanierinnen mit ihrem Trainer offenbar unzufrieden sind, wurde medial immer wieder thematisiert – auch die Moderatoren im ZDF sprechen die Kontroverse vor dem Spiel an. Vor diesem Hintergrund, sagt Maxin Joya, fände sie es dann doch nicht so schade, wenn England gewinnen würde. Die Lionesses, so der Spitzname der Engländerinnen, waren schließlich das letzte Team im Turnier, das mit Sarina Wiegman eine weibliche Trainerin hat.
Hoffnung auf mehr Gleichberechtigung in der Presse und von Investoren
Maxin Joya zeigt auf ihrem Handy die Titelseiten der größten spanischen Sportzeitschriften in der Woche vor diesem Finalspiel – die nur Vilda abbilden. „So ist halt unsere Fußballpresse“, sagt sie. Die WM habe jedoch gezeigt, was mit größeren Investitionen im Frauenfußball erreicht werden könne – wie der größere Wettbewerb, der Mannschaften wie jene aus Deutschland und den USA so früh habe ausscheiden lassen. Sie hofft nur, dieser Trend werde sich auch nach dem Finalspiel weiter fortsetzen.

Als um 12 Uhr angepfiffen wird, ist die Menge um Joya auf mehrere Hundert begeisterte Zuschauerinnen und Zuschauer angewachsen. Man sieht Trikots von Nationalmannschaften von Nicaragua bis Kamerun – und natürlich auch die der Finalistinnen. Immer mehr Menschen strömen in den Zuschauerbereich, sowohl leidenschaftliche Fußballfans als auch Familien mit kleinen Kindern – in der heißen Mittagssonne sind die Sitzplätze unter den Pavillons heiß begehrt.
Aber die Hitze scheint die Stimmung nicht zu trüben: Wahlweise der Jubel oder das Stöhnen der Enttäuschung scheinen auf spanischer wie englischer Seite gleich laut zu sein – Hauptsache, das Spiel bleibt spannend. Zur Halbzeit führen die Spanierinnen mit 1:0 und die Zusehenden können auf eine spannende und hart umkämpfte erste Halbzeit zurückblicken – wie auf die gesamte WM.
„Das war ein sehr spannendes Turnier mit vielen überraschenden Ergebnissen“, sagt Fußballfan Anja Neudert. Dass die deutsche Nationalelf die Gruppenphase nicht überstanden hatte, gehört für sie allerdings nicht zu den Überraschungen. „Es waren immer wieder die falschen Leute falsch aufgestellt, und mit der falschen Taktik“, ordnet die 44-Jährige ein.
Sie hoffe auf ein besseres Abschneiden Deutschlands beim nächsten Turnier, so Neudert – und auf mehr Gleichberechtigung bei der Übertragung von Männer- und Frauenfußball im Fernsehen, auch, was die Spiele der Bundesliga angehe. Zu dem Zeitpunkt, zu dem Neudert das erzählt, ist sie nach wie vor davon überzeugt, wie das Finalspiel ausgehen wird. „Spanien gewinnt, und zwar nicht in der Verlängerung“, sagt sie mit Zuversicht.

Anders sieht das Alexander Cabot – er sitzt in der ersten Bankreihe vor der Leinwand und trägt ein englisches Fußballtrikot aus den 90ern, dazu Shorts von Hertha BSC. Der 35-Jährige ist seit 1998 großer England-Fan – und er ist vor allem ein erklärter Fan des Frauenfußballs. „Sie spielen sauberer, es gibt nicht so viele Fouls“, so Cabot. „Es hat mich immer geärgert, dass es nicht mehr Unterstützung für den Frauenfußball gibt, weder von den Fans noch von den Investoren – daher ist es wirklich toll, Public Viewings wie dieses zu sehen.“
Obwohl seine Favoritinnen in Rückstand geraten sind, glaubt Cabot noch, dass sie das Spiel drehen können – und tippt auf einen 2:1-Sieg der Engländerinnen. „Frau Wiegman muss sie nur mit ihrer Art etwas motivieren und auf den richtigen Weg bringen“, sagt er. „Die Chancen sind auf jeden Fall noch da.“

Achtjährige Zuschauerin: „Wenn ich groß bin, will ich Fußballerin werden“
Am Ende können die Engländerinnen es aber doch nicht schaffen und Spanien wird WM-Sieger 2023. Maxin Joya und andere junge Spanierinnen und Spanier singen, tanzen und schwenken ihre Fahnen in der Luft. Es bleibt abzuwarten, sagt Joya, ob der spanische Fußballverband den Sieg zum Anlass nimmt, weiterhin mit dem Trainer Vilda zu arbeiten. Oder ob die Spielerinnen nun ihren Sieg als Druckmittel nutzen können, um ihre Forderungen durchzusetzen. „Schließlich haben sie das Spiel gewonnen, nicht er“, sagt Joya. Aber die Zeit dafür wird kommen, jetzt können die Mannschaft und ihre Anhänger erst einmal richtig feiern.

Noch begeisterter vom spanischen Sieg scheint allerdings der junge Fan Madeline Lazar zu sein. „Das war der Hammer“, sagt die 10-Jährige, die während des Spiels Spanien die Daumen gedrückt hatte. „Wir haben so viel gejubelt, mir tun jetzt ein bisschen die Ohren weh.“ Ihre 8-jährige Freundin Anika stimmt ihr zu.
„Wenn ich groß bin, will ich Fußballerin werden“, sagt sie mit strahlenden Augen – auch wenn sie sich wünsche, dass sich bis dahin noch einiges ändert. „Es kann schwer sein, als Mädchen Fußball zu spielen – mein Papa hat mir gesagt, die Frauen bekommen nicht so viel Geld wie die Männer“, fügt sie hinzu. „Das finde ich wirklich schlecht.“




