Ukraine-Flüchtlinge

Flüchtlinge in Berlin: Tegel wird zum zentralen Zufluchtsort für Ukrainer

Der Zustrom aus dem Kriegsgebiet hält an. Berlin stellt zahlreiche Feldbetten auf. Doch solange der Status der Menschen ungeklärt ist, bleibt es  kompliziert.

Geflüchtete Frauen aus der Ukraine
Geflüchtete Frauen aus der Ukrainedpa/Karl-Josef Hildenbrand

Der ehemalige Flughafen Tegel wird der zentrale Zufluchtsort für Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Berlin. Stand dort in der Nacht zu Sonntag erstmals eine Notunterkunft mit 500 Betten zur Verfügung, sollen nach Wunsch des Senats in den früheren Gate- und Lounge-Bereichen in den kommenden Tagen Schlafmöglichkeiten und sanitäre Einrichtungen für bis zu 3000 Menschen geschaffen werden. Weitere Betten im unteren vierstelligen Bereich sollen in Zelten auf dem Vorfeld entstehen. Und das ist erst der Anfang des Ausbaus.

In den kommenden Tagen wird das Ankunftszentrum, das Registrierung – sobald sie einmal möglich ist – und Erstversorgung zentral bündeln soll, nach und nach erweitert. Dafür stehen unter anderem die Terminals A, A2 und B, die ehemalige Mietwagenzentrale, ein Hangar sowie Parkplatz- und Vorfeldflächen zur Verfügung. Am Ende soll ein Willkommenszentrum für perspektivisch mehr als 10.000 Geflüchtete am Tag mit mehr als 2000 Beschäftigten im Drei-Schicht-Betrieb entstehen.

Dazu sind im Flughafengebäude die einstigen Counter und Ladenflächen unter anderem als Kiosks, Waschsalons und Infopunkte für Beratungsangebote vorgesehen. In der Haupthalle von Terminal B soll es ein Angebot zur Kinderbetreuung sowie ein medizinisches Versorgungszentrum geben. Auch die Polizeiwache soll wieder in Betrieb genommen werden.

Das Ankunftszentrum soll auch derjenige Ort sein, von dem aus Flüchtlinge per Bus in andere Bundesländer gefahren werden, sobald die Regularien zwischen den Bundesländern geklärt sind. Dafür soll in Tegel ein eigener Busbahnhof entstehen.

Sein Team habe innerhalb weniger Tage „die komplett stillgelegte Infrastruktur der zentralen Flughafengebäude wieder zum Laufen gebracht“, lässt sich der Geschäftsführer der Tegel Projekt GmbH, Philipp Bouteiller, in der Mitteilung seines Unternehmens zitieren.

Der schnelle und komplexe Umbau des ehemaligen Flughafens ist eines der Beispiele, die Albrecht Broemme zu der Meinung kommen lassen, Berlin befinde sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge auf einem guten Weg. „Unser Ziel ist es, vor die Lage zu kommen“, sagte der frühere Chef der Berliner Feuerwehr und spätere Präsident des Technischen Hilfswerks, der jetzt als Pensionär Berlins Koordinator für die Unterbringung von Geflüchteten ist, am Montag im Gespräch mit der Berliner Zeitung. „Die ersten guten Anzeichen sind erkennbar“, sagte Broemme. Er erkenne „in weiter Entfernung Licht am Ende des Tunnels“.

Der größten Oppositionspartei im Berliner Abgeordnetenhaus dagegen reichen die Anstrengungen nicht aus. Die CDU fordert die Ausrufung des Katastrophenalarms. Auf dieser Basis seien klarere und raschere Entscheidungen auf Landesebene sowie eine schnellere Verfügbarkeit finanzieller Ressourcen möglich, heißt es in einem Positionspapier des CDU-Landesvorsitzenden Kai Wegner und seines Stellvertreters Falko Liecke. So könne bedarfsgerecht in Personal, Sachausstattung und Unterbringung investiert werden. Die Maßnahme ermögliche auch, leer stehende Gebäude „ohne zeitraubende Verfahren“ heranzuziehen sowie Mitarbeiter aus anderen Verwaltungen leichter in der Flüchtlingshilfe einzusetzen. Die ebenfalls in der Opposition befindliche FDP lehnt den Vorstoß ab. Sie sprach von Katastrophenfall-Populismus.

Hauptstadt-CDU fordert vom Senat Ausrufung des Katastrophenfalls

Und die Lage in Berlin bleibt auch aus anderen Gründen unübersichtlich. So kann sich auch fast drei Wochen nach Ausbruch des Krieges niemand als Flüchtling registrieren lassen. Nach Informationen der Berliner Zeitung laufen dazu noch Absprachen unter anderem zwischen der Senatssozialverwaltung, dem Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) und dem Landesamt für Einwanderung (LEA).

Derzeit ist der Status der frisch eintreffenden Ukrainer ganz einfach – und genau das macht es kompliziert: Sie reisen mit ihrem Reisepass ein und gelten als Touristen, die sich frei bewegen können. Demnach kann sie niemand dazu zwingen, etwa in andere Bundesländer zu reisen, in denen mehr Unterbringungskapazitäten vorhanden sind als im stark belasteten Berlin. Auch jede Anmeldung ist freiwillig. Dabei ist die Registrierung Voraussetzung unter anderem für eine eingehendere medizinische Versorgung, den Antrag auf Schul- oder Kitaplätze, aber auch für die Aufnahme in den Arbeitsmarkt.

Auch wegen dieser noch immer ungeklärten Fragen sind die Bezirke in die Flüchtlingsversorgung bisher kaum einbezogen. Bisher sei etwa noch unklar, wie sich sein Gesundheitsamt an einer Impfkampagne beteiligen könnte, sagte Tempelhof-Schönebergs Gesundheitsstadtrat Oliver Schworck der Berliner Zeitung auf Anfrage. Der SPD-Politiker verwies darauf, dass das Gesundheitsamt vor Anmeldung eine Schuleingangsuntersuchung vornehmen müsse, bei der auch der Impfstatus geklärt werde. Dabei gehe es nicht in erster Linie um Corona, so Schworck. So gilt die Ukraine bei den Masernimpfungen als eines der Schusslichter in Europa. Hierzulande ist die Masernimpfung für Schulkinder verpflichtend.

Ukrainische Flüchtlinge nach der Ankunft am Berliner Hauptbahnhof.
Ukrainische Flüchtlinge nach der Ankunft am Berliner Hauptbahnhof.www.imago-images.de

Nach Schätzung des Senats kommen jeden Tag 3000 Ukrainer in Berlin unter

Während vieles noch ungeklärt ist, kommen in Berlin weiter Tag für Tag mehr als 10.000 Menschen an. Für viele ist die Hauptstadt ohnehin ein Drehkreuz, von dem aus es weiter in andere deutsche Städte oder ins europäische Ausland geht. Doch rund 3000 pro Tag bleiben nach Schätzung der Sozialverwaltung in der Stadt. Etwa zwei Drittel davon kommen privat bei Familien, Freunden, in Kirchengemeinden oder bei spontanen Gastgebern unter, etwa ein Drittel – das sind 1000 Personen – nimmt die Angebote des Landes Berlin in Anspruch.

In Reaktion darauf hat die Stadt ihre Kapazitäten für Notübernachtungsplätze massiv ausgeweitet. So kamen in der Nacht zu Montag mehr als 1000 Menschen auf Feldbetten in den Messehallen unter. Und ein Ende des Zustroms ist nicht in Sicht.

Berlins Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) sprach am Montag im rbb-Inforadio davon, dass „jeder Tag ein Wettlauf“ sei, um für alle Ankommenden Unterkunftsplätze zu finden. Dabei sei das, was man gerade erlebe, erst der Anfang. Nötig seien auch mehr Verwaltungsmitarbeiter. Dafür habe man den Bund um Hilfe gebeten, so Kipping.