Am Wochenende fehlten in Berlin die Rettungswagen der Feuerwehr. Deshalb musste die Besatzung einer Drehleiter von Hellersdorf nach Köpenick zu einem medizinischen Notfall fahren. Die Angehörigen der Freiwilligen Feuerwehr, die als „First Responder“, als Ersthelfer, unterwegs waren, brauchten 15 Minuten. Weil kein Rettungswagen (RTW) zur Verfügung stand, machte sich auch ein Löschfahrzeug aus Kreuzberg nach Niederschönhausen auf den Weg. Die Fahrzeit betrug rund 20 Minuten.
Über Stunden herrschte Ausnahmezustand im Rettungsdienst der Berliner Feuerwehr – wieder einmal. Der „AZ Rettungsdienst“ wird ausgerufen, wenn 80 Prozent der Fahrzeuge ausgelastet sind und die vorgegebenen zehn Minuten von der Notrufannahme bis zum Eintreffen nicht eingehalten werden können. Dann werden Feuerwehrleute von Löschfahrzeugen auf RTW umgesetzt. Dies wiederum bedeutet eine Schwächung des Brandschutzes.
Am kommenden Sonntag wollen deshalb Feuerwehrleute vor dem Roten Rathaus demonstrieren. Der Verein Berlin brennt e.V. will eine Feuertonne entzünden unter dem Motto „Berlin brennt“. Schon vor vier Jahren gab es unter demselben Motto eine mehr als fünfwöchige Mahnwache mit brennender Tonne. Der damalige SPD-Innensenator Andreas Geisel versprach Verbesserungen. Unter anderem wurden die Wochenarbeitszeit reduziert und Personal eingestellt.
Bei Schlaganfall oder Herzinfarkt zählt jede Minute
Doch aus Sicht vieler Feuerwehrleute hat sich nichts gebessert. Die Zahl der Ausnahmezustände im Rettungsdienst ist rapide gestiegen – auf ein- bis zweimal am Tag. Bei Schlaganfall oder Herzinfarkt zählt jede Minute, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis jemand stirbt, weil keine Hilfe kommt. Deshalb ist der Rettungsdienst das derzeitige Topthema im Wahlkampf für das Berliner Abgeordnetenhaus. Die CDU lud am Montag zur Pressekonferenz – um zu versichern, dass das Thema viel zu wichtig sei, um damit Wahlkampf zu machen.
„Es brennt an allen Ecken und Enden bei der Berliner Feuerwehr“, sagte CDU-Fraktionschef Kai Wegner. „Sie ist in den letzten Jahren massiv auf Verschleiß gefahren worden. Was müssen die Feuerwehrleute eigentlich denken, wenn sie den Streit innerhalb des Senats hören?“ Wegner bezog sich damit auf den Krach zwischen Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Gesundheitssenatorin Ulrike Gote (Grüne), welche eine von Spranger vorgeschlagene Änderung des Rettungsdienstgesetzes ablehnte – worüber sich Spranger in der vergangenen Woche öffentlich empörte.
Obwohl die Zustände spätestens seit der „brennenden Tonne“ 2018 bekannt sind, legen die Parteien jetzt, vor der Wiederholung der Abgeordnetenhauswahl, Positionspapiere mit Änderungsvorschlägen vor: die SPD, die Grünen – und als bekannt wurde, dass die CDU zur Pressekonferenz lud, verschickte auch die FDP am Montag ein Positionspapier.
Die Verantwortung trägt eine Person
Weitgehende Einigkeit herrscht etwa bei der Schaffung einer integrierten Leitstelle oder bei der Einbindung privater Krankentransporte, damit Verlegungen zwischen Kliniken nicht mehr durch die Feuerwehr erfolgen. Auch die Priorisierung von Notfällen ist gewünscht. Interessanterweise finden sich viele Vorschläge, die die Grünen in der vergangenen Woche vorstellten, auch in einem CDU-Beschluss, der bereits im August gefasst wurde.
Doch vor allem um die schnelle Lösung der akuten Probleme gibt es Streit: So will die SPD zur Entlastung der Notfallsanitäter in Ausnahmesituationen auch andere Angehörige der Feuerwehr ans Steuer der RTW setzen. Außerdem soll der Feuerwehrchef in seinen Kompetenzen gestärkt werden. Ähnliches will die CDU. Sie will RTW für maximal sechs Monate mit erfahrenen Rettungssanitätern – sie haben eine geringere Qualifikation als Notfallsanitäter – besetzen, um mehr Wagen auf die Straßen zu bekommen. Die Grünen lehnen das ab. Abstriche bei der medizinischen Versorgung seien mit ihnen aber nicht zu machen. „Wenn man zwanzig Minuten auf einen Rettungswagen warten muss, ist es aber auch nicht besser“, sagt der CDU-Abgeordnete Alexander Hermann.
Auf zu wenige Sanitäter und RTW kommen immer mehr Einsätze – auch wegen vieler Bagatellfälle, wenn etwa Menschen die 112 wählen, weil sie Bauchweh oder Depressionen haben. Deshalb wollen SPD und CDU die Kompetenzen des Landesbranddirektors stärken und dem Ärztlichen Leiter ein Entscheidungsgremium zur Seite stellen. Bislang trägt dieser die alleinige Verantwortung, sodass bei fast jedem Notruf ein RTW geschickt werden muss – ohne zu ergründen, wie ernst es mit den Schmerzen im Knie oder der Suizidgefahr durch Depression ist.
Gewerkschaften distanzieren sich von BerlinBrennt-Aktion
Es sei nicht zu verstehen, dass ein Rettungswagen 20 Minuten zu einer schwer verletzten Person brauche und gleichzeitig ein RTW zu einem Anrufer geschickt werde, der sagt, er fühle sich depressiv, sagt Manuell Barth von der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft. „Das beste Angebot ist nicht immer ein RTW.“
In Sprangers Innenverwaltung wurde eine Steuerungsgruppe gegründet und bei der Feuerwehr eine Taskforce, die die Einsatzcodes einer Überprüfung unterzieht. Dabei gibt es bereits einen Beirat für den Rettungsdienst. Er besteht unter anderem aus Vertretern der Krankenkassen, der Ärztekammer, der Notärzte und der Kassenärztlichen Vereinigung. Er tritt jedoch kaum zusammen, um Verbesserungen zu besprechen, wie der Rechnungshof bemängelt.
Wurden vor viereinhalb Jahren die Proteste an der brennenden Tonne noch von den Gewerkschaften mitgetragen, so ist es diesmal anders. Oliver Mertens von der Gewerkschaft der Polizei teilte am Montag mit, dass die GdP an der jetzt geplanten Aktion des Vereins BerlinBrennt keine Anteile habe. „Die Diskussion um den AZ Rettungsdienst ist in vollem Gange und unsere zahlreichen Gespräche im politischen Raum zeigen, dass man gewillt ist, das gesamte System mal grundsätzlich zu überarbeiten“, so Mertens.




