Kommunikation

Farewell, Fernsprecher: Unsere schönsten Telefonzellen-Momente

Der öffentliche Münzfernsprecher ist Geschichte. Aber nicht ohne dass wir ihn gebührend verabschieden, mit romantischen und weniger romantischen Erinnerungen.

Machte sich auch im Film stets apart: der Fernsprecher, hier in „The Daring Young Man“ von 1935.
Machte sich auch im Film stets apart: der Fernsprecher, hier in „The Daring Young Man“ von 1935.Imago/Everett Collection

Alle kleben heute am Handy, aber die etwas Angejahrten unter uns erinnern sich noch: Es gab mal eine Zeit ohne Smartphones, ohne ständige Erreichbarkeit. Damals musste man, wenn man unterwegs war, erst mal eine Telefonzelle suchen und Münzen rauskramen, um mit den Liebsten zu sprechen oder wichtige Dinge zu klären. 

Am Montag nun wird an den rund 12.000 noch verbliebenen Fernsprechern in Deutschland die Münzzahlung „deaktiviert“. Das Aus der Telefonzellen ist damit beschlossene Sache; das Ende einer Ära, die 1881 in Berlin mit dem ersten „Fernsprechkiosk“ begonnen hatte. Anlass genug, noch einmal zurückzublicken – auf unsere schönsten Fernsprechmomente.

Eingeklemmt: Recherche am Oranienplatz

Als ich im August 1990 bei der Berliner Zeitung anfing, stand auf jedem Schreibtisch ein graues Telefon. Das Problem war nur, dass man damit keine Verbindung nach West-Berlin oder gar West-Deutschland bekam. Man konnte nicht raustelefonieren aus der DDR, jedenfalls nicht von unserer Redaktion am Alex aus. In der Chefredaktion stand ein schwarzes Funktelefon, das die Ausmaße eines mittelgroßen Koffers hatte und an einem Koffergriff durch die Gegend getragen werden konnte. Damit hätte man jeden erreichen können, aber es war oft belegt. Außerdem kostete jede Minute Unsummen, wie uns eingeschärft wurde. Ich wusste mir anders zu helfen, wenn ich für eine Recherche Auskünfte einer West-Behörde oder -Institution benötigte: Mit dem Fahrrad fuhr ich über den Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße in den Westen.

Dort stand am Oranienplatz in Kreuzberg eine Telefonzelle. Schon von Weitem sah ich, ob diese belegt war. Wenn ja, fuhr ich gleich weiter zur nächsten am U-Bahnhof Kottbusser Tor. Ich musste nur darauf achten, genug Zehn-Pfennig-Stücke dabeizuhaben. Den Telefonhörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt, den Block auf dem Knie balancierend, konnte ich mir die notwendigen Notizen machen. Susanne Lenz

Schnell mal rüber zum Telefonieren: ehemaliger Grenzübergang an der Heinrich-Heine-Straße in Berlin.
Schnell mal rüber zum Telefonieren: ehemaliger Grenzübergang an der Heinrich-Heine-Straße in Berlin.Imago/Imagebroker

Warten und heulen: Liebe auf Distanz

Sie war in Frankreich, ich war in Deutschland, für verliebte Teenager ist das eine herzzerreißende Distanz. Zumal für verliebte Teenager der Neunziger, also von damals, als Handys in etwa so verbreitet waren wie Telefonzellen heute. Eine stand vor unserem Haus, und weil wir vor ihrem Urlaub vereinbart hatten, uns alle zwei Tage und immer um Punkt zehn Uhr abends gegenseitig unserer Liebe (Treue!) zu versichern, saß ich dreimal vor diesem gelben Häuschen oder blätterte, wenn es nicht zu sehr nach kaltem Rauch oder altem Urin stank, drinnen in den Gelben Seiten. Daheim hätte das fest im Elternwohnzimmer verschnurte Telefon kein schmachtendes Gespräch zugelassen.

Das erste Mal wartete ich eine Stunde. Beim zweiten Mal eine halbe. Nach dem dritten und letzten Mal – von allen möglichen Ausreden und Gründen, mich nicht anzurufen, blieb nur noch ihr gewaltsamer Tod – ging ich heulend nach oben. Es klingelte erst nach ihrem Urlaub. Dass die Liebe auf Distanz nicht blühen kann, hatte ich allenfalls befürchtet. Dass sie wie eine Ingwerknolle schrumpeln würde, hätte ich niemals gedacht. Und ich Trottel war treu geblieben damals. Paul Linke


Gänzlich unromantisch: „La Boum“ in Brandenburg

In den Filmen meiner Jugend waren Telefonzellen ein Hort der Romantik, des ersten Kusses, der aufkommenden Leidenschaft. In „La Boum 2 – Die Fete geht weiter“ etwa retteten sich Sophie Marceau und Pierre Cosso nach einem Rockkonzert bei strömendem Regen in eine Telefonzelle – der Beginn einer stürmischen Beziehung. Als meine Eltern Mitte der Neunziger mit mir von Berlin in ein Kaff nach Brandenburg zogen, lernte ich, dass die Telefonzelle tatsächlich ein stürmischer Ort war.

Gleich geht’s in die Zelle: Sophie Marceau und Pierre Cosso in „La Boum 2“.
Gleich geht’s in die Zelle: Sophie Marceau und Pierre Cosso in „La Boum 2“.Imago/Everett Collection

Bei Wind und Wetter musste ich zwei Kilometer zur einzigen Telefonzelle im Ort stapfen, um meine Freunde in der Hauptstadt zu erreichen. Einen Festnetzanschluss hatten wir in den ersten Monaten noch nicht, Handys waren zu teuer. Mein Teenie-Schwarm brach bald anderen Berliner Mädchen das Herz. Wer wartet schon auf einen nassgeregneten Brandenburger Backfisch, der aus einer verwaisten, nach Kiefernnadeln und Bierpullen duftenden Fernsprechkabine anruft? Anne Vorbringer


Hallo Holland: Die Mini-Arche von Zuidveen

Die Grenzen waren offen, die Reise sollte losgehen. In den Winterferien 1990 – ich war in der elften Klasse und kannte West-Berlin inzwischen ganz gut – begab ich mich auf meine erste Fahrt ins richtige nichtsozialistische Ausland. Sie endete, wie es mir meine Staatsbürgerkundelehrer angekündigt hatten, an einem unwirtlichen, dunklen, kalten Ort, an dem die Gesetze des sozialen Miteinanders außer Kraft gesetzt waren: in einer Telefonzelle vor dem nachts abgeschlossenen Bahnhof der holländischen Kleinstadt Zuidveen.

Wir waren zu dritt, mein Freund Dennis, seine Liebste Anja und ich. Am frühen Morgen waren wir am Tramperbahnhof Dreilinden eingestiegen, wollten per Anhalter nach Amsterdam und waren vom Weg abgekommen. Es nieselte, es zog, der Schnaps war alle, das Städtchen lag in tiefem Schlaf. Nirgends konnte man sich unterstellen, allein die Telefonzelle bot Schutz. Sie war schon für zwei Leute ziemlich eng, einer musste sich draußen nassregnen und anblasen lassen. Als Erster begab ich mich märtyrerhaft in die eisige Nacht, während die beiden im Neonlicht kuschelten und sich aneinander wärmten. Als ich durchgefroren war, pochte ich auf meine Rechte und an die Zellentür. Dennis war ein Ehrenmann, und wir lösten einander mehrmals ab. So endete unsere Freundschaft wegen Anja und Dennis’ begründeter Eifersucht. Ulrich Seidler


Kein Anschluss: Telefonieren in Prenzlauer Berg

Es hatte etwas von Ecke Lombard und Hyde Street in „Die Straßen von San Francisco“, dieser Fernsehserie aus den Siebzigern. Nur dass es in San Francisco keine Seniorenfreizeitstätte der Volkssolidarität gab wie hier in Prenzlauer Berg und mich in der Telefonzelle keine Anrufe von Erpressern oder anderen kriminellen Elementen erreichten. Ich arbeitete auch nicht in einem Police Department als Detective Sergeant irgendwas, sondern telefonierte mit den Eltern. Statt „In dem Papierkorb finden Sie einen Umschlag mit weiteren Anweisungen“ nur: „Und? Was macht die Arbeit?“

Telefonzellen vor der Tür: Straßenszene in Ost-Berlin, 1991.
Telefonzellen vor der Tür: Straßenszene in Ost-Berlin, 1991.Imago/Werner Schulze

Ich war umgezogen, Hinterhof, dritter Stock, 46 Quadratmeter. Der Antrag auf einen Telefonanschluss lag bei der Post. Da lag er gut, seit einer gefühlten Ewigkeit. Immer sonntags also der Gang zur Zelle: Am Friedrichshain, Ecke Bötzowstraße. Zur vereinbarten Zeit klingelte der Münzfernsprecher. Das war Hightech Anfang der Neunziger, als ein Handy noch fünf Kilogramm wog und so viel kostete wie ein Einfamilienhaus. Glaube ich.

Eines Morgens stoppte ein Kleinwagen an der Zelle, stellte sich auf dem Vorplatz zur Volkssolidarität vor einem entlangtorkelnden Passanten quer. Zwei kräftige Typen sprangen heraus, Beamte in Zivil offenbar, drückten den Mann gegen das Auto, zogen aus seinem Hosenbund eine Pistole. Sie sah nach Spielzeug aus. Ich sagte meiner Mutter: „Ich muss dann mal auflegen.“ Eine gute Woche später schaltete die Post meinen Anschluss frei. Christian Schwager