Ziemlich genau 25 Jahre ist es her, dass es in Deutschland das erste Mal piepte. Piepte, weil ein kleines Pixel-Küken Hunger hatte. Oder spielen wollte. Oder weil es nach mangelnder Pflege das Zeitliche gesegnet hatte. Kinder, Eltern, Lehrerinnen und Lehrer der Neunzigerjahre wissen natürlich gleich, worum es geht: ein kleines quietschbuntes Plastik-Ei, das ein ganzes Jahrzehnt im Sturm eroberte.
Nach seiner Einführung in Japan im November 1996 kam das Tamagotchi ein halbes Jahr später auch nach Deutschland – und in zwei Dutzend andere Länder. Erfunden worden war es, weil ein echtes Haustier im eng getakteten, hektischen Alltag vieler Japanerinnen und Japaner keinen Platz hatte. Also entwickelte die Spielefirma Bandai die lustigen Minicomputer, auf dessen Bildschirmen sich kleine Küken, Dinosaurier oder Aliens tummelten. Sie mussten gehegt und gepflegt werden – selbst um das Entfernen von Häufchen mussten sich Herrchen oder Frauchen kümmern.
Viele sehen in dem sensationellen Erfolg der digitalen Haustiere einen ersten kulturellen Beleg für eine Entwicklung, die in den folgenden Jahrzehnten in Form von Smartphone-Sucht und Virtual Reality, Online-Dating und Social Media immer größere Kreise zog: Die Beziehung zwischen Mensch und Maschine, die mitunter an echte Liebe grenzt.
Die Tamagotchis jedenfalls wurden schnell von neueren, ausgereifteren technischen Spielereien ersetzt – so wie viele andere Tech-Gadgets der Neunziger. Discman und Blackberry, Furby und Gameboy, Pager, Beeper, G-Shock: Eine kleine Liste an Dingen, die wir heiß und innig liebten.
Tamagotchi: Tod durch unterlassene Hilfeleistung
Meins war gelb. Mit orangefarbenen Mustern dran. Auf dem Display: Ein Küken-ähnliches Figürchen, das ständig nach mir verlangte. Es wollte mit Burgern aus Pixeln gefüttert oder gebadet werden, es wollte spielen, und hatte es mitten auf den Bildschirm gekackt, so sollte seine Hinterlassenschaft bitte schnellstmöglich mit einem digitalen Schäufelchen entfernt werden. Hatte ich alles richtig gemacht, bildete sich aus dem anfangs recht primitiven Smiley-Gesicht irgendwann ein Schnabel heraus, dann kamen die Flügel dazu, das Tamagotchi wurde dicker und größer. Und wenn der Haufen mal zu lange liegen geblieben oder das Tierchen wirklich arg hungrig geworden war? Erschien auf dem Display ein kleines Grab mit Erdhaufen und Kreuz darauf, um mir zu signalisieren: Du hast dein Haustier getötet.

Das wollte man natürlich verhindern – und wurde durch die Schule alsbald trotzdem davon abgehalten. Dort nämlich waren die Tamagotchis bald verboten; Lehrerinnen und Lehrer störten sich am Piepen im Unterricht und man fürchtete um die soziale Kompetenz der Kinder, die in den Pausen nur noch in ihre Plastik-Eier glotzten. Die Leidtragenden waren im Endeffekt die Display-Haustiere, die nach der Verbotsentscheidung reihenweise starben. Außer bei mir zu Hause: Meine Mutter, schon in den Neunzigern mit der Möglichkeit zum Homeoffice gesegnet, kümmerte sich um mein Küken, während ich in der Schule war. Gestorben ist es irgendwann trotzdem. Manuel Almeida Vergara
G-Shock: New York, Rio, Osnabrück
Wer in den Neunzigern was auf sich hielt, hatte mindestens drei Mode-Sünden im Schrank: die seitlich geknöpfte Adidas-Hose, zügig als „Schnellficker-Hose“ bekannt. Den Fishbone-Pulli, auf dem das Fischskelett-Logo der New-Yorker-Untermarke prangte. Und eine G-Shock. Die klobige Armbanduhr, die ein bisschen wie ein Sneaker fürs Handgelenk aussah, wurde von dem japanischen Hersteller Casio zwar schon seit 1983 hergestellt. Berühmt und begehrt wurde sie aber erst im Folgejahrzehnt. Ein bisschen war die G-Shock eine archaische Form der Smartwatch.

Integriert waren ein vollautomatischer Kalender, eine Weckfunktion, eine Stoppuhr, ein Countdown und eine Weltzeit-Funktion, die das Ablesen von 29 verschiedenen Zeitzonen erlaubte – genau das Richtige also für einen Kosmopoliten auf dem Schulhof in der niedersächsischen Provinz. Trotzdem hatte ich keine G-Shock – ich hatte eine Baby G, so etwas wie die kleine Schwester der G-Shock. Die war weniger protzig-männlich im Erscheinungsbild, hatte ein paar Funktionen weniger, aber dafür einen lustigen Zusatz: Per Knopfdruck spielte meine graue Baby G drei verschiedene Klingeltöne ab, zu denen auf dem Display ein Pixel-Strichmännchen seinen Breakdance vollzog. Unfassbar cool! Manuel Almeida Vergara
Furby: Brrrrrrrr, blublublu, haha, brrrrr
„Brrrrrrrr, blimblimblum, lalalaaah, brrrrrr“, machte Furby, „yammi, yammi, yamm, brrrrrr.“ Dazu klimperten die kreisrunden Plastikaugen, der Schnabel ging auf und zu. Wollte ich haben, sofort natürlich! Leider fristete ich aber ein Kinderdasein ohne fellüberzogenes Sprechgerät – meine Eltern wollten mir partout kein Furby kaufen. Wohl deswegen ist mir bisher unklar geblieben, was das sprechende Kuscheltier eigentlich kann. Wikipedia weiß mehr: Ein Furby, 1998 von Tiger Electronics auf den Markt gebracht, ist an verschiedenen Körperstellen mit Sensoren ausgestattet, die auf Berührungen und Bewegungen reagieren.

Dementsprechend reagiert das possierliche Tierchen unterschiedlich auf verschiedene Aktionen – mit Augenklimpern und rund 800 eingespeicherten Wörtern in der Sprache des entsprechenden Vertriebslandes; außerdem mit Wörtern auf „Furbish“, der für die Kuscheltiere eigens entwickelten Sprache. Krank werden konnte ein Furby ebenso, es konnte sich via Infrarotschnittschnelle sogar bei anderen Furbys „anstecken“. Laut Wikipedia machten sich das Hacker zunutze, die Furbys ahnungsloser Kinder im Vorbeigehen per Fernbedienung erkranken ließen. Einfach fies. Manuel Almeida Vergara
Pager und Beeper: Kein Schwafeln und kein Schwurbeln
Ein rhythmisches Piepsen ertönt, der schöne Chefarzt greift sich an die Brust. Er zieht ein anthrazitfarbenes Kästchen aus der Tasche seines schlohweißen Kittels. Nach einem Blick auf das Gerät hastet er in Richtung OP. Diese Szene dürfte Ihnen aus in die Jahre gekommenen Krankenhaus-Soaps bekannt sein. Das Gadget, das Herrn Doktor in den OP rief, ist ein Pager oder Beeper – der hier in Deutschland auch unter „Piepser“ in die mobile Nachrichtengeschichte einging. Einst vor allem im Medizinsektor genutzt, fand die Innovation in den Achtzigern und Neunzigern auch unter Privatnutzern ihre Anhänger. Vor allem im telefontechnisch kaum erschlossenen Osten Deutschlands, der nach der Wende 1989 in eine kommunikative Bedürfnisspirale geriet, verbreitete sich das kleine Gerät schnell. Insbesondere unter Jugendlichen.

„Treffen uns 11 bei mir, dann WMF und Tresor“, informierten die Freunde oder auch: „Rufe mich unter der Nummer XY an“, wenn der Sachverhalt etwas komplizierter war. Der telefonlose Pager-Besitzer begab sich dann zu einer Telefonzelle, um den Sender für 20 Pfennig zu kontaktieren. Nachrichten auf dem Pager mussten sehr kurz sein, da die Zeichenzahl begrenzt war. Das verbale Geschick entschied also über die Kosten, denn konnte der Absender eine Mitteilung on point formulieren, musste er keine weitere bezahlen. Rückblickend haben Pager nie so genervt wie Handys heute, außerdem waren sie klein und hübsch. Besonders Motorola machte sie zu netten Lifestyle-Accessoires in durchsichtigem oder buntem Plastikgehäuse. Schade, dass sie heute nicht mehr funktionieren.
Was der schöne Chefarzt in der Serie indes auf sein Gerät geschickt bekam, bleibt im Verborgenen. Vielleicht war es ja ein Notfall der ganz besonderen Art (leicht bekleidete Krankenschwester friert, eifersüchtige Arztkollegin bricht zusammen etc.) – denn die Liebe steht in Arztserien bekanntlich an erster Stelle. Sabine Röthig
Discman: Nur echt mit dem Sony-Logo
Nachdem mir der Walkman, das Statussymbol der Achtzigerjahre-Jugend, finanziell bedingt verwehrt geblieben war, musste es in den Neunzigern aber nun wirklich ein Discman sein. Jeder halbwegs coole Mitschüler hatte so einen tragbaren CD-Player, natürlich das Original von Sony. Ich bekam ein Fabrikat von Panasonic, das war billiger beim Fachhändler und streng genommen gar kein Discman, weil wie auch beim Walkman die Marke von Sony eingetragen und somit an deren Geräte gekoppelt war. Aber umgangssprachlich ging das schon so durch, viel schlimmer als die Bezeichnung waren eh die Kinderkrankheiten, die der fesche blaue Player mit sich brachte. Mein Gerät reagierte recht sensibel auf Erschütterungen, zum Joggen eignete er sich gar nicht, selbst beim strammen Gang in die Schule – Mathe fängt gleich an! – setzte die Wiedergabe immer mal wieder aus. Und so ein stockender MC-Hammer-Song ist dann doch irgendwie nur halb so cool, zumal das Gerät auch irgendwie klobig und unpraktisch war. Aber wie bei jedem neuen Technik-Trend galt auch hier: Ich MUSS den einfach haben – ALLE haben den! Auf langen Autofahrten war der Discman dann auch wirklich ein Segen: Auf der Rückbank ließ die Lieblingsplaylist jede noch so lange Autofahrt erträglich werden. Auch für die Eltern eine absolut lohnende Investition. Anne Vorbringer

Gameboy: Forever „Dü düdildü düdildü düdildü“
Jeder hatte einen Gameboy, jeder spielte Tetris und Super Mario – so kam es einem in den Neunzigern zumindest vor. „Dü düdildü düdildü düdildü düdildü di dü di dü dü dü“: Noch heute klingelt mir die Tetris-Melodie in den Ohren und ich möchte sofort etwas stapeln, sortieren oder ordnen, wenn ich sie höre. Ganz ehrlich, hat mal jemand untersucht, wie viele innere Monks auf dieses Spiel zurückgehen, auf den Zwang, möglichst lückenlose Reihen zu bilden, bevor sich alles bis zum oberen Spielfeldrand aufgetürmt hat?

Tetris jedenfalls wurde zu einem der meistverkauften Computerspiele der Geschichte, auch weil der Gameboy zunächst nur zusammen mit dem Spiel erhältlich war. Auch die 8-Bit-Handheld-Konsole, entwickelt vom Japaner Gunpei Yokoi, erwies sich als Kassenschlager – mit mehr als 118 Millionen verkauften Exemplaren. Nintendos Spielgerät war in Europa ab 1990 erhältlich und kostete hierzulande 169 D-Mark. Später kamen dann noch Weiterentwicklungen wie der Gameboy Color, der Gameboy Advance oder der Gameboy Micro auf den Markt, aber seien wir ehrlich: Der graue Urahn der Reihe hat den höchsten Retro-Coolness-Charmefaktor, da sehen wir über den schwachen Prozessor und den Schwarz-Weiß-Bildschirm gern hinweg. Anne Vorbringer
Blackberry: Willkommen im Olymp der Werktätigkeit
Die Geschichte des Blackberrys ist an sich tragisch, denn das Gerät mit der Tastatur und dem Bildschirm war genau genommen das erste Smartphone und läutete das Zeitalter der mobilen Kommunikation ein. Das war 1999 und heute kräht kein Hahn mehr nach dem Blackberry. Doch im neuen Jahrtausend noch war ein Blackberry das Signal, dass man es wirklich geschafft hatte, in die Zukunft, in den Olymp der Werktätigkeit, an die Spitze der Nahrungskette. Wer Nachrichten über seinen Blackberry versendetet, der tätigte mindestens Geschäfte an der Wall Street. Aber als man 2008 den Übergang von der Tastatur hin zum Touchscreen verschlief, brach das Geschäft ein und iPhone und Android rollten den Smartphonemarkt auf. Marcus Weingärtner

Minidisc: State of the Art von anno dazumal
Nachdem die DAT-Kassette auf dem Massenmarkt enttäuschte, stellte Sony im Mai 1991 die Minidisc vor, mit der man der herkömmlichen Kompaktkassette, die in vielen Fällen bis heute funktioniert wie am ersten Tag, den Garaus machen wollte. Die Minidisc hatte damals gegenüber der schon etablierten Compact Disc den Vorteil, dass man sie selbst beschreiben konnte, was die kleine Scheibe zu einem beliebten Werkzeug bei Radio- und Tonstudios machte. Für ein paar Jahre war die Minidisc gar nicht so unbeliebt, doch mit dem beginnenden Jahrtausend und dem Aufkommen der MP3-Player war ihr Ende besiegelt. Trotzdem stellte Sony noch 2004 eine überarbeitete Version mit dem ordentlichen Speichervermögen von einem Gigabyte vor. Aber vor rund zehn Jahren war dann Schluss und der Konzern gab bekannt, dass die Produktion der tragbaren Player für die Minidisc eingestellt werden. Marcus Weingärtner


