Er ist einer der letzten seiner Art, der Kohlenhändler Arnd Teiche. Sein Kohlenplatz liegt etwas zurückgesetzt an der Greifswalder Straße, direkt neben dem S-Bahnhof. Er ist nicht nur der letzte Händler im Prenzlauer-Berg, sondern einer der letzten in der gesamten Berliner Innenstadt. In dem kleinen Raum, in dem wir miteinander sprechen, liegen Zierbriketts im Regal und erzählen von einer Zeit, in der es üblich war, ein solches zu pressen, um ein besonderes Datum zu begehen, ein Jubiläum zum Beispiel. Es war die Zeit, in der Öl und Gas die Kohle als Heizstoff noch nicht abgelöst hatten. Arnd Teiche bietet Kaffee an, er sitzt im T-Shirt, der lange Bart ist zu einem Zopf geflochten. Er berlinert.
Wie ist die Lage, Herr Teiche?
Schwierig. Wir haben sehr wenig Kohle und können wahrscheinlich nicht alle Stammkunden beliefern, damit sie über den Winter kommen.
Warum haben Sie so wenig Kohle?
Weil die Bundesregierung beschlossen hat, dass die Brikettfabrik zwei Monate nicht mit Rohbraunkohle beliefert wird, denn man hat in Jänschwalde zwei Kraftwerksblöcke in Betrieb genommen, die eigentlich zur Stilllegung vorgesehen waren. Da geht die komplette Rohkohle hin. Zur Verstromung. Zur Sicherstellung der Versorgungssicherheit. Die Kohlenhändler in Sachsen haben einen offenen Brief an die Bundesregierung und die Landesregierung geschickt, in dem sie schreiben, dass sie ihren Kunden verpflichtet sind. Die Landesregierung hat geantwortet, die Zahl derer, die mit Kohle heizen, sei verschwindend gering und könne nicht berücksichtigt werden.
Mich wundert ja, dass Sie überhaupt noch Stammkunden haben. Ich hätte nicht gedacht, dass noch so viele Leute einen Kachelofen haben.
Wir fahren jedes Jahr 1000 Tonnen aus. In alle Stadtbezirke und ins Umland. Und es gibt ganz viele Kunden, die von dem Ganzen nichts mitgekriegt haben. Und wenn die dann die Preise hören und dass wir sie auf eine Warteliste schreiben – die verstehen die Welt nicht mehr.
Wie viel Tonnen braucht denn so ein Kachelofen?
Pro Ofen pro Winter eine Tonne.
Und wie viel kostet die Tonne?
Letzen Winter haben wir die Tonne Schüttkohle für 210 Euro verkauft, und wir sind jetzt bei 450 Euro. Also mehr als das Doppelte. Bündelkohle hat im letzten Winter 290 Euro gekostet, da sind wir inzwischen bei 700 Euro.
Hatten Sie auch schon jemanden, der Ihnen gesagt hat, ich kann das nicht bezahlen?
Eine ältere Kundin hat am Telefon geweint. Man kann dann noch ein bisschen entgegenkommen.

Wie waren die Preise zu DDR-Zeiten?
Zu DDR-Zeiten hat ein Zentner Schüttkohle 2,39 Mark gekostet, jetzt kostet er 20 Euro. Die Bündelkohle hat nochmal einen Aufschlag gehabt über 56 Pfennige. Und HO-Kohle hat 4,10 Mark gekostet.
Was ist HO-Kohle?
Die 2,39 Mark war der Preis für das, was man auf Kohlenkarte bekam. Je nach Familiengröße hat man eine bestimme Anzahl von Zentnern zugeteilt bekommen. Wenn man jetzt eine Frau hatte, die empfindlich war und es ein bisschen wärmer wollte, hat man zusätzlich eine halbe Tonne oder Tonne HO-Kohle bestellt. HO heißt Handelsorganisation. Die HO-Kohle war nicht vom Staat gestützt, da hat der Zentner 4,10 Mark gekostet.
Wie sind Sie eigentlich Kohlenhändler geworden?
Ich habe 1988 bei meinem Schwiegervater angefangen, der hatte einen Kohlenplatz an der Schönhauser Allee übernommen. Der hat schon als junger Mann diese Arbeit gemacht. Als sein Chef gestorben ist, dachte er, er könnte das übernehmen. Aber da gab es eine Liste, und es war jemand anders dran. Dann hat er sich auch in diese Liste eintragen lassen, aber es hat bestimmt sieben, acht Jahre gedauert, bis er einen Kohlenplatz übernehmen konnte.
Ihr Schwiegervater war selbständig?
Es gab zu DDR-Zeiten den VEB Kohlehandel, die haben etwa 50 Prozent von Berlin abgedeckt, und den Rest haben private Kohlenhändler gemacht. An jeder Ecke gab es kleine Kohlenhandlungen.
Warum sollten Sie denn bei ihm mitmachen?
Mit dem Dreck arrangiert man sich, aber es will trotzdem kein Mensch diese Arbeit machen. Ein Großteil der Leute, die da arbeiten, sind schwere Jungs.
Die mal im Gefängnis waren?
Genau. Jedenfalls früher. Wenn man eine Firma übernimmt, so wie mein Schwiegervater, dann will man immer versuchen, Leute zu finden, die pünktlich sind, auf die man sich verlassen kann. Es ist ja so: Wenn man fünf Leute braucht, sind nur dreie da. Weil: Einer ist gerade krank, oder einer ist eingesperrt, oder es regnet. Wenn man wenigstens zwei, drei Leute hat, wo man weiß, auf die kann man sich verlassen, kann man damit besser arbeiten.
Wie war denn das Geschäft früher, zu DDR-Zeiten?
Alle zwei Tage haben wir damals einen Waggon geliefert bekommen, 25 Tonnen. Dann hat man die Hänger vollgemacht oder die LKWs und dann ausgeliefert. So dass man so wenig wie möglich auf dem Kohlenplatz auf die Erde schmeißen musste. Denn alles, was unten liegt, muss man ja wieder anheben. Wir hatten keine Gabelstapler damals, das ging alles per Hand. Zu DDR-Zeiten hatten wir auch keine Sackkarren.
Dass die DDR private Kohlenhändler zugelassen hat...
Die Arbeiter beim VEB Kohlehandel – wie soll ich sagen – da ist anders gearbeitet worden. Der private Kohlenhändler hat doch sehr darauf geachtet, dass die Firma wirtschaftlich arbeitet. Er wollte ja einen Gewinn erzielen. Allen, die beim VEB gearbeitet haben, war das völlig egal. Die haben ihre Zeiten runtergerissen, aber was die da gemacht haben in der Zeit – naja. Bei uns war die Norm fünf Tonnen pro Arbeiter. Man hat als Lohn pro Zentner 35 Pfennige gekriegt. Wenn man eine Tonne Kohlen in den Keller getragen hat, waren das sieben Mark. Fünf Tonnen hat man gemacht am Tag, das waren 35 Mark. 20 Arbeitstage machten 700 Ost-Mark Monatslohn.

Und beim VEB?
Die haben wesentlich mehr verdient, haben aber auch weniger gemacht. Die haben sich auch nicht darum geschert, ob Tante Frieda um 14 Uhr noch ihr Kohlen gekriegt. Die haben ihr Geld ja trotzdem verdient. Das ist ja heute auch so. Der Staat gliedert viel aus, weil das kostengünstiger ist.
Es gab auch in der DDR Wohnungen mit Gasheizung. Kam das Gas auch damals aus Russland?
Die Leute haben einen Gamat 3000 bekommen, aber das waren wenige. Das Gas kam über die Baikal-Amur-Magistrale, die BAM.
Und wer hat so eine Heizung bekommen?
Naja, ich sage mal so: Wenn das irgendein Doktor war. Oder wenn man ein krankes Kind hatte – dann konnte man so einen Antrag stellen. Aber ein Kachelofen musste immer stehen bleiben.
Warum?
Für den Fall, dass mal kein Gas mehr kommt, dass dann trotzdem ein warmer Raum in der Wohnung sichergestellt ist. Man hat immer gesagt: Plan B. Dass irgendwas nicht mehr funktioniert, war ja zu DDR-Zeiten nicht ausgeschlossen. Man muss sich immer Plan B offenhalten, das hätte auch für das Gas aus Russland gelten müssen, von dem man sich abhängig gemacht hat. Man muss immer einen zweiten Lieferanten haben.
Wie nennt man eigentlich Ihren Beruf?
Kraftfahrer mit Be- und Entladetätigkeit. Oder Kohlenarbeiter.
Das ist kein Ausbildungsberuf, oder?
Nee. Man läuft ein bisschen mit und guckt sich das an. Da kriegt man ganz schnell raus, wer das kann und wer das will. Die Leute müssen sich durchbeißen. Gerade wenn man anfängt, ist es irre schwer. Es wird Kraft vom Körper verlangt, die man nie gebraucht hat. In so einem Kasten Kohlen, mit dem wir früher ausgeliefert haben, da sind anderthalb Zentner drin, 75 Kilo. Der Kasten selber wiegt nochmal acht Kilo. Und wenn man eine Tonne in den Kehler bringt, sind das 13 solche Kästen. Den hat man auf dem Rücken. Und im Keller muss die Kohle Reihe für Reihe aufgestapelt werden. Die erste Zeit ist man abends völlig tot, aber nach einem Vierteljahr hat man sich daran gewöhnt. Wir waren junge Leute, und unter uns gab es wie so einen Wettstreit. Wer trägt das meiste am weitesten wohin. Wir sind sogar mit vier Bündeln Kohlen die Treppen hochgegangen. Das waren 100 Kilo.
Wie geht es Ihrem Rücken?
Soweit alles okay.

Nach der Wende haben Sie wahrscheinlich zusehen können, wie das weniger geworden ist mit Ihren Kunden, oder?
Erstmal nicht. Im Sommer 1989 sind diverse Kohlenhändler in den Westen abgehauen. Da waren viele dabei, die Geld hatten. Plötzlich gab es Gebiete, wo es keinen Kohlenhändler mehr gab. Dann fing das große Stühlerücken an. Wir sind aus Mitte hoch und haben das hier in Prenzlauer Berg übernommen. Zu DDR-Zeiten durften wir ja nur in unserem Karree ausliefern, und nach dem Mauerfall hat Schwiegervater neue LKWs gekauft, und wir haben unseren Radius vergrößert. Viele haben sich nicht um neue Kunden gekümmert, die sind innerhalb kürzester Zeit verschwunden. Wir dagegen wurde zum größten Kohlenhändler in Ost-Berlin. Im Westen gab es auch zwei, drei in derselben Größenordnung. In Ost-Berlin wurden Schulen, Kindergärten und städtische Betriebe damals noch mit Kohle beheizt. Wir haben uns an Senatsausschreibungen beteiligt, da ging es um irre Mengen, und uns gegenseitig unterboten, das können Sie sich nicht vorstellen.
Aber irgendwann muss es doch vorbei gewesen sein mit dem Aufschwung?
Ende der 90er-Jahre hat wieder ein großes Kohlenhändlersterben eingesetzt. Dann hat man das Telefon und die Kunden übernommen, die Arbeiter und die LKWs. Uns hat es erst nach der Jahrhundertwende getroffen. Da hat man gemerkt, dass es weniger wird. Alles war modernisiert.

Was war das für ein Gefühl?
Ich sag mal so: Wir waren eine Zeitlang 15 Angestellte, sieben LKWs, fünf Multicars, fünf Frauen im Büro. Als es dann weniger wurde, kam mir zugute, dass ich der Schwiegersohn war. 2010 waren wir bloß noch zwei Arbeiter. Ich und der Henry. Da ist es dann doch sehr schwierig geworden. Dann hat Schwiegervater aufgehört, und ich habe es übernommen.
Und jetzt nimmt die Kohle einen unerwarteten Aufschwung?
Die Situation jetzt haben wir selber hervorgerufen. Das ist wie ein Schachspiel. Sicher hat Herr Putin den Krieg angefangen. Aber wir schaden uns dadurch viel mehr als den Russen. Und jetzt kommt man nicht mehr zurück. Zumal alles kaputt ist.
Warum steht bei Ihnen um den Kohleplatz die Berliner Mauer?
Man wollte ja damals diese verhasste Mauer so schnell wie möglich loswerden und hat die Mauerteile in Betonwerke gebracht, wo die dann geschreddert wurden. Aber es waren ja zigtausende, und die wurden auch an Firmen verkauft, die irgendwo was abgrenzen wollten. Dafür sind diese Teile ja gut. Und damit hat die Firma Stinnes, die als erste den Kohlenplatz übernommen haben, den Platz zum Wohngebiet hin abgegrenzt. Seitdem stehen die hier und gehören dem Kohlenhändler. Ich habe auch schon ein Teil verkauft. An eine Privatperson in Frankfurt am Main. Der hat es sich vors Haus gestellt.
Sie sind ja in Prenzlauer Berg aufgewachsen. Wie war es damals?
Viel ruhiger. Wir hatten 100 Quadratmeter in einem Altbau in der Wicherstraße. Drei Zimmer, da hat meine Mutter mit vier Kindern gelebt. Ein Zimmer war geteilt, und in der Speisekammer hat mein großer Bruder sein Abteil gekriegt. Die Häuser sahen aus wie nach dem Krieg. Aber es war sehr schön. Man hatte seine Kumpels um sich rum, die haben alle im Kiez gewohnt. Es war nicht so eine verrückte Zeit wie jetzt, wo alle mit den Handys rumrennen. Zu der Zeit fing das Fernsehen erst nachmittags an, und in der Klasse hatten drei Leute ein Telefon. Man ist zu einem Kumpel einfach hingegangen, und wenn er nicht da war, hat man einen Zettel an die Tür gehangen. Wir hatten auch kein Auto. Ich war in unserer Familie der erste, der einen Führerschein gemacht hat.
Wie empfinden Sie denn die Veränderungen in Ihrer alten Nachbarschaft?
Ich habe bis zur Wende hier gewohnt. Aber nach dem Mauerfall wurde ja permanent saniert und modernisiert, und wo Lücken waren, wurden neue Häuser gebaut, das war ein Baulärm. Und die Leute, die da gewohnt haben, sind ausgezogen. Es kamen Kunden, die bei der Bestellung sagten, dieses Mal ist das letzte Mal. Es wurde ja alles wesentlich teurer. Das war schon sehr komisch. Und dann sind wir nach Französisch Buchholz gezogen.
Was halten Sie als Kohlenhändler von der Fridays-for-Future-Bewegung?




