Es werden immer mehr. In Berlin hat sich die Zahl der E-Scooter, die man mieten kann, innerhalb der vergangenen zwei Jahre ungefähr verdoppelt.
Das geht aus Daten des Senats hervor. Was für viele Berliner ein sinnvolles Angebot ist, ärgert andere. Doch Martin Becker vom Mikromobilitätsanbieter Voi hält manche Kritik für ungerecht. „Wir sollten überkommene Einschätzungen überprüfen“, sagt er. Ein Verbot von Miet-E-Scootern wie in Paris wäre in Deutschland nicht möglich. Weltweit gebe es immer mehr elektrische Tretroller – und auch in Berlin wäre es sinnvoll, ihre Zahl weiter zu erhöhen.
Genehmigungen für 47.550 Elektrokleinstfahrzeuge
Berlin liegt voll im Trend – zumindest was die Zahl der E-Scooter betrifft. Im Juni 2021 standen bis zu 23.000 der flinken Zweiräder in Berlin bereit, so der Senat. Heute sind es deutlich mehr. „Mit Stand vom 1. Mai 2023 sind Sondernutzungserlaubnisse für 47.550 Elektrokleinstfahrzeuge erteilt worden“, sagt Sara Lühmann, Sprecherin der Senatsverkehrsverwaltung. Vier E-Scooter-Vermieter haben die Genehmigung, öffentliches Straßenland zu nutzen – das schwedische Unternehmen Voi ist einer davon.
„Wir sehen in Berlin einen Anstieg in der Nachfrage nach flexibler Mobilität“, analysiert Martin Becker, der seit Juni bei Voi als Head of Public Policy and Communications für die Kontakte zu Politik und Verwaltung zuständig ist. „Die Zahl der Nutzer und der Fahrten ist auch in Berlin massiv gestiegen, und sie nimmt weiter zu.“ Im Juni 2023 verzeichnete Voi rund 79.000 Nutzer in dieser Stadt, zwölf Prozent mehr als im selben Monat des Vorjahres. Rund 10.000 E-Tretroller gehören Voi in Berlin. Kennfarbe: Lachsrot.
„Betrachtet man allein die Nachfrage, wäre es keineswegs abwegig, die Anzahl der E-Scooter in Berlin weiter zu erhöhen“, gibt der Voi-Manager zu bedenken. Allerdings sei der Bedarf nicht die einzige Kenngröße. „Insofern ist es gut, dass die Anbieter diese Entscheidungen nicht alleine treffen, sondern immer in Absprache mit der Stadt. Die Vorgaben der Senatsverwaltung sind hier letztlich maßgeblich.“
„Fatal finde ich die Lage am Hauptbahnhof“
Becker weiß: E-Scooter sind ein heikles Thema – auch in Berlin. Fußgänger ärgern sich darüber, dass kreuz und quer abgestellte Vehikel im Weg stehen. Der Allgemeine Blinden- und Sehbehindertenverein klagt gegen den Senat, der den Anbietern die Nutzung öffentlicher Straßen erlaubt hat (VG 1 K 333/22). Viele Berliner fühlen sich bedroht, wenn ihnen E-Tretroller auf dem Gehweg mit hohem Tempo entgegenkommen.
Der Voi-Manager kann manchen Ärger grundsätzlich verstehen. „Ich bin viel in Berlin unterwegs und muss leider sagen, dass es an vielen Stellen besser laufen könnte. Ein Beispiel ist die Tucholskystraße in Mitte, wo die Situation nicht akzeptabel ist. Fatal finde ich die Lage am Hauptbahnhof, wo es bis heute keine Möglichkeit gibt, E-Scooter und Fahrräder geordnet abzustellen“, so seine Einschätzung.
„Da müssen wir uns auch als Branche Kritik gefallen lassen, dass wir es bisher nicht geschafft haben, konkrete Lösungen für diese Orte gemeinsam mit der Stadt zu entwickeln. Für den Europaplatz gibt es mittlerweile ein Konzept, das wir dann schnell umsetzen werden“, sagt Becker. Er verstehe, dass die Kapazitäten in den Verwaltungen begrenzt seien und manche Änderung mehr Zeit brauche.
Mehr als 2000 Parkverbotszonen gibt es mittlerweile in Berlin
Voi habe das Problem erkannt und möchte dazu beitragen, Ordnung zu schaffen, betont er. So seien im Berliner Geschäftsgebiet, das auf mehr als 300 Quadratkilometer gewachsen ist, rund 2000 Flächen als Parkverbotszonen definiert worden. Einige befinden sich rund um das Brandenburger Tor, in der Voi-App seien aber auch Spielplätze, Brücken, Gebiete in Ufernähe oder Grünflächen wie das Tempelhofer Feld rot markiert. Das bedeutet, dass es dort nicht möglich ist, die Miete zu beenden.
Martin Becker lobt Jelbi, ein appbasiertes Angebot der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG). An vielen Orten in der Stadt stehen Sharingfahrzeuge zum Mieten bereit – ideal zum Beispiel für die letzte Meile vom Bahnhof nach Hause. „Die BVG mit Jelbi ist ein wichtiger Partner unserer Branche. Die Vermietungen, die über die Jelbi-App erfolgen, sind ein relevanter Teil des Geschäfts“, berichtet der Voi-Manager.
Zudem hätten einige Bezirksämter Abstellzonen für E-Scooter sowie andere Mietfahrzeuge eingerichtet – meist auf früheren Autoparkplätzen. Dort erlaube es die App nicht, E-Scooter im Umkreis von hundert Metern legal abzustellen, erklärt er. „Die Nutzer sind angehalten, die Fahrzeuge in die offiziellen Parkbereiche zu bringen.“
„Allerdings würden wir es uns hier und da wünschen, dass wir mit neuen Abstellflächen schneller vorankommen. Logischerweise müssen viele Beteiligte einbezogen werden“, sagt der Voi-Manager. Der Nachholbedarf sei groß, lautet seine Analyse. „Inzwischen ist es überdeutlich geworden, dass Deutschland bei der Planung des Straßenraums mehr als zehn Jahre hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurückliegt. Das betrifft nicht nur Abstellanlagen für E-Scooter und Mietfahrräder. Klar ist auch, dass wir mehr und bessere Radverkehrsanlagen brauchen, vor allem auch in Berlin.“
Voi hat mehr als 50 Prozent der Flotte außerhalb des S-Bahn-Rings stationiert
Was wünscht sich Voi vom neuen rot-schwarzen Senat in Berlin? „Pragmatismus in der Verkehrspolitik. Dass wir uns nicht mehr über Grundsatzfragen unterhalten müssen: Haben E-Scooter oder andere Mietfahrzeuge eine Existenzberechtigung in Berlin?“, sagt Becker. „Berlin ist eine vielfältige Stadt mit unterschiedlichen Quartieren, in denen die Menschen unterschiedliche Interessen haben. Niemand kann erwarten, dass alle dieselbe Form von Mobilität bevorzugen.“
Es sei an der Zeit, bisherige Auffassungen neu zu durchdenken. Damit meint er zum Beispiel die These, dass die Mini-Zweiräder vor allem von erlebnisorientierten Touristen gemietet werden. „Unser Geschäft funktioniert auch ohne Touristen“, entgegnet der Voi-Manager. „Berliner Pendler bilden einen großen Teil unserer Kundschaft. Bereits jetzt deckt unser Geschäftsgebiet rund ein Drittel des Berliner Stadtgebiets ab. Mehr als 50 Prozent der Voi-Flotte sind außerhalb des S-Bahn-Rings stationiert. Bis November 2023 wollen wir diesen Anteil auf rund 60 Prozent erhöhen.“

„Wir sollten Gewohnheiten und überkommene Einschätzungen überprüfen“, sagt Becker. „Ein falsch geparkter E-Scooter regt mehr Menschen auf als ein falsch geparktes Auto.“ Andere Branchenvertreter weisen darauf hin, dass Kraftfahrzeuge viel stärker das Straßenbild prägen – was aber in vielen Debatten nicht angesprochen wird. Auch in Berlin nehme deren Zahl immer weiter zu. So waren Anfang dieses Jahres mehr als 1,24 Millionen Pkw in der Stadt zugelassen.
„Aber es gibt auch Probleme, die nur schwer zu lösen sind“
„Es gibt Probleme, die wir angehen müssen – am besten in regelmäßigen Gesprächen wie mit der Stadtverwaltung in Düsseldorf. Solche Gespräche wünschen wir uns auch in Berlin“, sagt Becker. „Aber es gibt auch Probleme, die nur schwer zu lösen sind. Autos stehen kreuz und quer, Radfahrer fahren manchmal bei Rot, E-Scooter-Fahrer auch. Wir haben nun einmal keine anderen Verkehrsteilnehmer als die, die derzeit auf unseren Straßen unterwegs sind.“
Eine Bürgerbefragung in Paris machte im Frühjahr Schlagzeilen. 89 Prozent der Teilnehmer, insgesamt 7,5 Prozent der Abstimmungsberechtigten, sprachen sich dafür aus, in der französischen Hauptstadt Miet-E-Scooter von September an zu verbieten. Martin Becker sieht dies gelassen.
Von einer so rigiden Maßnahme sei Deutschland weit entfernt, sagt er. „Von der unterschiedlichen Ausgangslage mal abgesehen, würde einem Verbot, das auch in Paris auf dünnem demokratischen Grund steht, hierzulande die Rechtsgrundlage fehlen.“ Voi nehme „auf allen Seiten einen großen gemeinsamen Willen wahr, Mikromobilität für alle sinnvoll in den Mobilitätsmix zu integrieren“.
Verkehrssenatorin Schreiner will nach der Sommerpause mit Anbietern reden
Immer mehr Städte würden sich bewusst dafür entscheiden – Wien und London gehören dazu. „Auf nationaler Ebene hat Irland erst kürzlich E-Scooter zugelassen. In den Niederlanden kündigen sich ähnliche Entwicklungen an. Und auch in Großbritannien wird die Zulassung nach ausgiebiger Testphase ausgedehnt“, sagt Martin Becker. Für ihn ist klar: „Paris ist keine Blaupause für den Umgang mit neuer Mobilität, sondern viel eher die Ausnahme.“






