Sie sind sehr leise unterwegs. Und oft hat man den Eindruck, dass sie zu schnell gefahren werden. Elektrische Tretroller, kurz E-Scooter, gehören in Berlin zum Straßenbild. Nun zeigen aktuelle Daten der Polizei, dass die kleinen Elektrofahrzeuge auch in der Unfallstatistik eine immer größere Rolle spielen. Danach ist die Zahl der Verkehrsunfälle in Berlin, an denen E-Scooter beteiligt waren, im vergangenen Jahr auf das Zweieinhalbfache gestiegen. Inzwischen gibt es auch Daten, in welchen Bezirken sich besonders viele Kollisionen dieser Art ereignen. Interessant: Auch in Außenbezirken wie Spandau oder Steglitz-Zehlendorf haben die E-Scooter-Unfälle deutlich zugenommen.
Gewiss: An den meisten Zusammenstößen auf Berlins Straßen sind Kraftfahrzeuge beteiligt. Mit einem Anteil von mehr als drei Vierteln sind Autos eine weitaus größere Gefahr als elektrische Tretroller. Objektiv gesehen spielen die zweirädrigen Vehikel in der Unfallstatistik der Berliner Polizei, die für das vergangene Jahr immerhin insgesamt rund 127.000 Kollisionen verzeichnete, keine große Rolle. Und trotzdem: Als eine verhältnismäßig neue Fahrzeuggattung, die zudem verbotenerweise häufig in die verbliebenen Bereiche der Fußgänger eindringt, stehen E-Scooter im öffentlichen Blickfeld – und in der Kritik. Deshalb werden die Unfallzahlen von der Fußgängerlobby, Blinden- und Sehbehindertenvereinen sowie anderen Verbänden wachsam verfolgt.
Spandau, Steglitz-Zehlendorf: Auch in Außenbezirken steigt die Unfallzahl
Die aktuellen Daten zeigen eine Entwicklung, die den Kritikern nicht gefallen wird. Danach registrierte die Berliner Polizei im Jahr 2020 insgesamt 325 Verkehrsunfälle mit E-Scootern, im vergangenen Jahr waren es 819 Unfälle. Die Zahl der Menschen, die bei diesen Zusammenstößen schwer verletzt wurden, nahm von 34 auf 96 zu. Die Zahl der leicht Verletzten wuchs von 203 auf 531. Damit wuchs die Zahl der Geschädigten sogar um 163 Prozent. Immerhin: Anders als im Jahr davor, als ein Mensch getötet wurde, kam im vergangenen Jahr niemand in Berlin bei einem E-Scooter-Unfall ums Leben.
Weiterhin ist Mitte der Berliner Bezirk, in dem sich die meisten E-Scooter-Unfälle zutrugen. Dort hat sich die Zahl der Unfälle mit „Elektrokleinstfahrzeugen“, wie die Gattung offiziell heißt, fast verdoppelt. Sie stieg von 100 auf 195. Auf Platz zwei steht Friedrichshain-Kreuzberg, wo die Zahl dieser Kollisionen von 56 auf 133 zunahm. Platz drei wird von Charlottenburg-Wilmersdorf verteidigt, wo die Polizei einen Anstieg von 36 auf 92 E-Scooter-Unfälle feststellte.
Die Forderung, elektrische Tretroller nicht mehr nur in der Berliner Innenstadt, sondern auch in Außenbezirken anzubieten, wurde von den Vermietern erhört. Längst sind die Fahrzeuge auch am Rathaus Spandau oder in Lichtenberg zu finden – den Unternehmen zufolge für die letzte Meile auf dem Weg von der Arbeit nach Hause, inoffiziell zur Gaudi meist junger Männer, die damit nun auch in Außenbereichen Gehwege unsicher machen. Dieser Trend spiegelt sich auch in der Unfallstatistik.
So stieg die Zahl der Unfälle mit E-Scootern in Spandau von 31 auf 82, in Tempelhof-Schöneberg von 26 auf 79 und in Neukölln von 23 auf 72. In Steglitz-Zehlendorf nahm sie (auf niedrigem Niveau) fast auf das Siebenfache zu – von 5 auf 33. Auch dies sind die Zahlen für die beiden vergangenen Jahre.
Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus
Ein Unfallschwerpunkt befindet sich außerhalb des S-Bahn-Rings. Am Knotenpunkt Ackerstraße/Askanierring/Falkenseer Chaussee in Spandau ereigneten sich laut Polizei im vergangenen Jahr fünf E-Scooter-Unfälle. Ein weiterer Schwerpunkt ist der Hermannplatz in Neukölln, ein anderer die Kreuzung Gneisenau-/Yorckstraße/Mehringdamm in Kreuzberg mit jeweils vier Kollisionen, so die Polizei.
Das hört sich nach wenig an. Allerdings gehen Experten davon aus, dass die Dunkelziffer hoch ist. Nicht jeder, der von einem elektrischen Tretroller gestreift oder zum Sturz gebracht wird, zeigt dies der Polizei an. Beinahe-Unfälle werden so gut wie nie gemeldet.
Wenn man nicht die absoluten Zahlen, sondern Relationen betrachtet, gewinnen die Daten weiter an Gewicht. Eine wichtige Bezugsgröße ist die Zahl der zurückgelegten Kilometer. Wie berichtet haben Laura Gebhardt und Matthias Heinrichs vom DLR-Institut für Verkehrsforschung bundesweite Zahlen für den Zeitraum Januar bis März 2020 ausgewertet. Danach ereignen sich beim Radfahren pro eine Million Kilometer 1,2 Unfälle, beim E-Scooter-Fahren waren es 5,5. Betrachtet man die Kollisionen, bei denen Menschen schwer verletzt oder getötet werden, kommt es beim Radfahren zu 0,18 Unfällen pro eine Million Kilometer. Beim E-Scooter-Fahren sind es mehr: 0,88 Unfälle.
Fahrzeuganbieter reagieren auf die Kritik
„Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen dem Anstieg der E-Scooter-Fahrten in Deutschland und der Anzahl der E-Scooter-Unfälle“, erklärte Bodo von Braunmühl, Sprecher des Fahrzeugvermieters Lime. Über alle Anbieter hinweg wuchs die Zahl der gefahrenen Kilometer 2021 im Vergleich zu 2020 um 156 Prozent – diese Zahl stammt vom Branchenverband Plattform Shared Mobility. Das entspricht der Steigerungsrate bei den E-Scooter-Unfällen in Berlin. „Bezogen auf die gefahrenen Kilometer ist die Unfallquote in vielen Städten sogar gesunken“, gab von Braunmühl zu bedenken.
Beim Fahrzeuganbieter Voi ist die Zahl der zurückgelegten Kilometer sogar noch stärker gestiegen. „In Berlin wurden mit unseren E-Scootern im Jahr 2020 rund anderthalb Millionen Kilometer zurückgelegt. Im vergangenen Jahr summierte sich die Verkehrsleistung schon auf mehr als neun Millionen Kilometer“, berichtete Caspar Spinnen von Voi. Die Kilometerzahl habe sich in Berlin ungefähr versechsfacht, während die Zahl der Kollisionen um rund 150 Prozent zunahm.
2020 hat das Statistische Bundesamt in Deutschland insgesamt 2155 Unfälle mit E-Scootern erfasst, bei denen Menschen verletzt oder getötet wurden, berichtete Patrick Grundmann vom Fahrzeugvermieter Tier. „Das entspricht 0,8 Prozent der Verkehrsunfälle in Deutschland.“ Im selben Jahr seien mit Miet-E-Scootern insgesamt 60,1 Millionen Kilometer zurückgelegt worden. Danach gab es alle 27.933 Kilometer einen Unfall mit einem Personenschaden. „Auch wenn jeder Unfall einer zu viel ist – das ist ein sehr geringer Wert“, so Grundmann. „Was man bei der Unfallstatistik auch nicht vergessen darf, ist die höhere Anzahl an E-Scootern auf den Straßen Berlins im Jahr 2021 im Vergleich zum Vorjahr. Das betrifft alle Anbieter, wie auch private E-Scooter.“
„Was für eine Schnapsidee!“
„Es wird immer klarer, dass E-Scooter im Alltag oft nicht Alternative zum Auto sind, sondern das Gegenteil: ein Vorgriff von pubertierenden Jungen auf die Poserkarre, die sie erst mit 18 bekommen“, kommentierte Roland Stimpel vom Fachverband Fußverkehr Deutschland (FUSS). „Pubertär verhalten sie sich jedenfalls: mit kindischem Trotz gegen angebliche Spießerregeln und Spießerwünsche. Auch beim Fahren feiern manche eine Art ganzjährige Halloweenparty: Menschen eng umkurven, erschrecken, kichernd abhauen. Da erstaunt auch die steigende Unfallzahl nicht.“





