Kolumne

Die ARD-Führung scheut Strukturreformen wie eine Wurzelbehandlung

Das öffentlich-rechtliche Rundfunksystem hat ein grundsätzliches Problem. Auch wegen Fehlern, die nach der Wende gemacht wurden.

Die RBB-Affäre belastet das ganze System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Die RBB-Affäre belastet das ganze System des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.Benjamin Pritzkuleit

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) ist ein Elitenproblem – könnte man meinen. Politiker:innen, Intendant:innen, Vorsitzende. Seit Jahren reden sie vom reformierten Auftrag des ÖRR. Mehr Information, Bildung, Beratung und Kultur soll es geben. Dank Digitalisierung und alles im Namen der Demokratie, versteht sich. Die Zuschauer:innen bekommen von diesen Debatten wenig mit. Ihr Stein des Anstoßes sind die Beitragssätze. Zahlen wir zu viel, und wer bekommt das Geld? An der Geldfrage machen wir fest, welche Medien wir brauchen, um informierte Entscheidungen zu treffen.

Beim Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) ging das Geld jedenfalls an die ehemalige Intendantin Patricia Schlesinger. Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Vorwürfen der Vetternwirtschaft, Vorteilsnahme und Verschwendung. Auch der ehemalige RBB-Verwaltungsratsvorsitzende Wolf-Dieter Wolf und Schlesingers Ehemann Gerhard Spörl sind betroffen. Das ist kein Spaß und ein Stresstest für die ARD.

Denn der Fall Schlesinger bringt die ganze ARD-Führungsriege in Erklärungszwang und den RBB in Handlungsnot. Dessen Verwaltungsrat entließ Schlesinger erst mal fristlos, ohne Abfindung oder Rente. Ein symbolischer Akt der Verzweiflung, könnte man meinen. Denn vor dem Arbeitsgericht dürften sie damit keine Chance haben.

Die Frage bleibt: Wie konnte Schlesingers „System aus Gefälligkeiten“ so lange unbehelligt laufen? Ein Teil der Antwort liegt in den Gremienstrukturen der ARD. Fehlende Kompetenzen, Ressourcen und Transparenz. Ein anderer Teil liegt in der Politik.

Die strukturellen Probleme im öffentlich-rechtlichen Rundfunk – sie sind weder neu noch überraschend

In den Rundfunk- und Verwaltungsräten der Sendeanstalten wimmelt es von Politiker:innen. Die stehen eher für Parteiinteressen und weniger für die gesellschaftliche Aufgabe des ÖRR. Das sind strukturelle Probleme – sie sind weder neu noch überraschend, aber seit Schlesinger stehen sie in der Presse.

Leider scheut die ARD-Führungsspitze Strukturreformen wie eine Wurzelbehandlung. Denn es geht um ihre Jobs, ihre Macht und um viel Geld. Das alles aufzugeben, ist schwer. Das aktuelle Motto scheint deshalb: Schadensbegrenzung durch Abgrenzung. Letzte Woche entzogen die acht ARD-Intendant:innen der RBB-Spitze ihr Vertrauen. So etwas gab es noch nie. Katja Wildermuth, Intendantin des Bayerischen Rundfunks, trat noch einmal nach: „Die Vorgänge im RBB sind singulär!“ Natürlich sind sie das. Wenn allein Schlesinger das Problem ist, sind die anderen fein raus! So kratzen wir an der Oberfläche und verpassen die Chance struktureller Reformen.

Die Geschichte ist voller verpasster Chancen

Die Geschichte ist voller verpasster Chancen. Beispiel: Wendezeit. In ihrem Buch zur Transformation des DDR-Rundfunks zeigt Sylvia Dietl, westdeutsche „Eigeninteressen, Machtkalkül und Verteilungskonflikte“ gaben den Ton an. Vorn dabei: die öffentlich-rechtlichen Anstalten. Sie setzen durch, wovon sie profitieren. „Innovative Gestaltungsimpulse“ ostdeutscher Akteur:innen oder „integrative Aspekte“ gingen unter.

Das bundesdeutsche Rundfunksystem wurde so eins zu eins im Osten übertragen, inklusive Elitentransfer. Schade, denn man hätte aus DDR-Erfahrungen auch lernen können. Mehr Bürgernähe, zum Beispiel, mehr Selbstkritik und Transparenz. Damit hadert der ÖRR ja bis heute. Trotzdem bleibt er ein hohes Gut – nicht um seiner selbst willen, sondern im Auftrag aller. Etwas Selbstkritik darf hier ruhig sein.