Kolumne

Über Bild-Berichterstattung: Was können Steinewerfer wirklich ausrichten?

Ein KiKa-Moderator gerät in die Kritik, weil er an einem Jugend-Festival im Westjordanland teilnimmt. Die Hintergründe interessieren kaum.

KiKa-Moderator Matondo Castlo
KiKa-Moderator Matondo Castloimago/Achille Abboud

„KiKa-Moderator demonstriert mit Israel-Hassern!“ Dieser Titel schlug mir neulich auf bild.de entgegen. Der Anlass: KiKa-Moderator Matondo Castlo hatte an einem Jugend-Festival im Westjordanland teilgenommen. Auch die Berliner Zeitung berichtete. Auf dem Festival habe Castlo, laut Bild, mit „radikalen Steinewerfern“ gegen Siedlungen im Westjordanland demonstriert. „Klar israelfeindlich“, urteilte das Springer-Blatt.

Ich habe drei Jahre die Geschichte des Nahen Ostens studiert und mich mit der Berichterstattung in den deutschen Medien beschäftigt. Solche Bild-Schlagzeilen treiben mich zur Weißglut!

Allen, denen Menschenrechte wichtig sind, kann das Schicksal der Palästinenser:innen nicht egal sein. Der Internationale Gerichtshof und die Vereinten Nationen sind gegen die Siedlungen im Westjordanland. Und erklärte nicht sogar das Oberste Gericht Israels die Enteignungen im Westjordanland für verfassungswidrig?

Die Regierung Israels kümmert das wenig. Bild scheinbar auch nicht. Sie drückt Castlo in die Terrorismusecke – dank „radikaler Steinewerfer“. Klar, mit Steinen ist nicht zu spaßen. Aber man könnte auch nach Verhältnismäßigkeiten fragen. Folgt man der Springerkritik, hieße das:  Wie viel können steineschmeißende Jugendliche gegen eine der hochmodernsten Armeen der Welt ausrichten? Nicht viel.

Wenn Fragen nicht auf Verlagslinie liegen

Solche Fragen interessieren Bild sicher kaum – sie liegen nicht auf Verlagslinie. Denn Springer-Redakteur:innen, wollen sie für den Konzern arbeiten, verpflichten sich zu einem Wertekodex. Laut Verlag setzen sie sich damit für „Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie“, für „das Existenzrecht des Staates Israel“, für „das transatlantische Bündnis“ und für „eine freie und soziale Marktwirtschaft“ ein. Zugespitzt heißt das: Möchte man Israel, die USA oder den Kapitalismus kritisieren, braucht man sich bei Springer nicht zu bewerben.

Immerhin setzt sich der Verlag auch gegen „jede Art von Rassismus und sexueller Diskriminierung“ ein. Aber war da nicht der Fall Reichelt? Man könnte meinen, Springers Chefetagen nehmen es mit den eigenen Werten nicht allzu genau. Jedenfalls nicht, wenn es um Frauenrechte geht.

Kommt man dem Verlag in die Quere, kann das übel enden. Wie im Fall Castlo. Der „Israel-Hasser“-Titel löste einen kleinen Shitstorm aus. Tweets, Posts auf sozialen Medien, Hassmails. Innerhalb von Stunden stand Castlos Welt kopf. „Ich hasse niemanden“, tweetet er kurz darauf und erklärte seine Situation. Er sei in die palästinensischen Gebiete gereist, um ein Jugend-Projekt zu unterstützen. Er wolle Brücken bauen, schon immer, denn er wisse, wie sich Fremdenfeindlichkeit anfühle. Diese Hintergründe scheinen für Bild unnötig. Und das, obwohl gerade die Situation im Westjordanland Inhalte, Hintergründe und viele Perspektiven braucht.

Auf der Strecke bleibt so die öffentliche Debatte

Castlos Fall steht für die Kollateralschäden der Springer-Presse. Auch die deutsch-palästinensische Journalistin Nemi El-Hassan kann davon ein Lied singen. Sie machte auf die Missstände in den palästinensischen Gebieten aufmerksam und verlor ihren Job als WDR-Moderatorin – nicht zuletzt dank „typisch hysterischer Springer-Kritik“, schrieb Hanno Hauenstein in der Berliner Zeitung. Auf der Strecke bleibt so die öffentliche Debatte. Denn aus Angst, in die Springer-Schusslinie zu geraten, herrscht betretenes Schweigen. Mit „Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie“ hat das wenig zu tun.