Als 16-Jährige war ich Austauschschülerin in Texas. Dort belegte ich einen Kurs in der Schule, der sich „Gesundheit“ nannte. Mit 20 Mitschüler:innen lernte ich, dass Verhütungsmittel zwecklos seien. Laut unserer Lehrerin halfen Kondome weder gegen sexuell übertragbare Krankheiten noch gegen Schwangerschaft.
Das Fazit: Man sollte einfach keinen Sex haben. Das sei am sichersten. So sah Verhütung in Texas aus. Neben mir saß ein 16-jähriges Mädchen, das im siebten Monat schwanger war. Ich war so geschockt, dass ich nichts sagte. Bis heute wünschte ich, ich hätte meine Hand gehoben.
Seit 25 Jahren versuche ich, die Situation von damals zu verstehen. Wie muss ein Bildungs- und Gesundheitssystem aussehen, damit Jugendliche in der Schule lernen, dass sie nicht verhüten sollen? Was geschieht mit jungen Frauen, wenn sie allein die Folgen dieser Informationskampagnen tragen? Bis heute habe ich keine Antwort auf diese Fragen, nur mehr Studien. Sie zeigen, meine Erfahrung von damals war keine Ausnahme.
Letzte Woche wurde in den USA das Recht auf Abtreibung aufgehoben. Landesweit protestierten Frauen auf den Straßen. Vor dem Weißen Haus schwenkte eine Demonstrantin ein Plakat mit der Frage „Welches Jahr ist es?“ Diese Frage stelle ich mir jeden Tag.
Arkansas, Kentucky oder Louisiana setzten das Abtreibungsverbot in nur einer Woche durch
In einem Land, in dem jede:r das Recht hat, eine halbautomatische Waffe zu tragen, wird Frauen das Recht genommen, über ihre Körper zu entscheiden. Staaten wie Arkansas, Kentucky oder Louisiana setzten das Abtreibungsverbot in nur einer Woche durch – auch bei Vergewaltigungen. Nebenbei löschen soziale Medien wie Facebook fleißig Angebote für Abtreibungspillen – Anzeigen für Waffen lassen sie natürlich stehen.
Abtreibung ist ein Tabuthema. Die Folgen finden sich auch in den Medien: Erst im Jahr 2019 bescheinigten zwei Studien den US-Medien ein verzerrtes Bild zum Thema Abtreibung. Es dominierten Geschichten von Bedrohung, Zwang und düsteren Praktiken.
Von einer „Kultur des Todes“ sei die Rede – Frauen, die erst bei der Geburt entscheiden, ein Baby abzutreiben, und Gesetze, die Kindesmord erlauben. Sharon Kann, Autorin einer Studie für den Medien-Watch-Blog „Media Matters“, kam zum Fazit: „Das amerikanische Publikum ist fürchterlich falsch informiert.“ Es gebe viele Fehlmeldungen und Zuspitzungen.
Der Fernsehsender Fox News dominiert die mediale Debatte
Vorn dabei der Fernsehsender Fox News. Er dominiere die mediale Debatte. Andere Medien übernähmen dessen Zuspitzungen dann oft. Selbst beim Sender CNN fand die Forscherin 67 Prozent Falschmeldungen zum Thema. Dazu gehörten Aussagen über das Töten bereits geborener Babys und Kindesmord. Differenzierte Informationen seien fehl am Platz.
Das Medienecho in Deutschland zum Abtreibungsurteil in den USA war groß. Laut Spiegel gab es „zahllose Presseartikel“ zu den Hintergründen. Allerdings seien diese Artikel „bis zum Anschlag partei-politisiert“ oder „in extremem Maß personalisiert“.


