Tarifstreit bei der Bahn

Deutsche Bahn wird wieder bestreikt: Auch S-Bahn Berlin betroffen

Gewerkschaft kündigt Arbeitskampf ab Sonnabend an. DB spricht von einer „völlig überflüssigen Belastung“ der Kunden. Was kommt auf die Fahrgäste zu?

Nur rund ein Viertel des DB-Fernverkehrs fand statt: In der vergangenen Woche legte der erste Warnstreik der GDL in diesem Tarifkonflikt große Teile des Bahn- und S-Bahn-Verkehrs lahm.
Nur rund ein Viertel des DB-Fernverkehrs fand statt: In der vergangenen Woche legte der erste Warnstreik der GDL in diesem Tarifkonflikt große Teile des Bahn- und S-Bahn-Verkehrs lahm.imago/Political Moments

Berlin-Fahrgäste der Deutschen Bahn (DB) müssen sich erneut auf erhebliche Einschränkungen einstellen. Das gilt auch für Nutzer der Berliner S-Bahn. Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hat ihre Mitglieder im laufenden Tarifkonflikt zu einem weiteren Streik aufgerufen. Lokführer, Zugbegleiter, Bordgastronomen und andere Beschäftigte im Personenverkehr sollen von Montag (23. August) um 2 Uhr bis Mittwoch (25. August), 2 Uhr, die Arbeit niederlegen. Im Güterverkehr der DB soll der Ausstand bereits am Sonnabend um 17 Uhr beginnen. Das teilte Claus Weselsky, der Bundesvorsitzende der GDL, am Freitag in Berlin mit. Die Deutsche Bahn kritisiert den angekündigten neuen Arbeitskampf bei der DB als „völlig überflüssige Belastung unserer Reisenden und unserer Kunden im Güterverkehr“.

„Dieser zweite Ferienstreik zeigt: Ein Tarifpartner verweigert sich permanent“, sagte DB-Personalvorstand Martin Seiler. „Statt den Mut zu haben, an den Verhandlungstisch zurückzukehren, treibt die GDL-Führung ihren gewerkschaftspolitischen Kampf um Ausweitung und Einfluss auf dem Rücken der Bahnkunden auf die Spitze.“ Der Lokführergewerkschaft wolle in Bereiche, in denen sie bislang kaum Mitglieder hat.

Claus Weselsky begründete den erneuten Arbeitskampf mit einem „Stillstand“ bei der Angebotsverbesserung durch die Bahn - dieser führe zum „Stillstand der Züge“. Das Bahn-Management wolle die Situation aussitzen. „Wir sehen uns deshalb gezwungen, den Führungskräften dieses Verhalten abzugewöhnen“, sagte der Bundesvorsitzende.

Die S-Bahn Berlin, die zum Bundesunternehmen DB gehört, ist ebenfalls erneut betroffen. Sie hatte beim ersten Streik in diesem Tarifstreit, der den Reisezugverkehr in der vergangenen Woche 48 Stunden lang größtenteils lahmgelegt hat, knapp zwei Fünftel des Betriebs aufrechterhalten können. „Diesen Ersatzfahrplan wollen wir auch beim nächsten Warnstreik wieder fahren“, hieß es am Freitag. Er umfasst 41 Prozent des Normalbetriebs. „Gute Dispositionsarbeit unserer Leitstelle“, hieß es.

S-Bahn will nach Ersatzfahrplan verkehren - sechs Abschnitte ohne Betrieb

Dort, wo für die Fahrgäste wenig oder keine Alternativen bestehen, soll es weiterhin S-Bahn-Verkehr geben - wenn auch in einem reduzierten Takt, kündigte das Unternehmen an. So werden unter anderem die Linien S2 und S25 weiterhin befahren. Auch auf der S1, der S3, der S46, der S8/85 und der S9 zum BER wird ein Angebot aufrechterhalten – zum Teil auf verkürzten oder veränderten Streckenverläufen. Dagegen werden die Linien S26, die Ringlinien S41 und S42, die S45, S47 und S75 eingestellt. Nach Spandau werden ebenfalls wieder keine S-Bahnen fahren. Sechs Streckenabschnitte sind erneut außer Betrieb: Schönhauser Allee - Westkreuz - Schöneberg (westlicher Ring), Neukölln - Treptower Park (südöstlicher Ring), Charlottenburg – Wannsee, Charlottenburg – Spandau, Springpfuhl – Wartenberg sowie Schöneweide – Spindlersfeld.

Während des Streiks in der vergangenen Woche hätten unter normalen Bedingungen eigentlich noch mehr S-Bahnen fahren können, so der S-Bahner. Denn der Anteil der Triebfahrzeugführer, die sich trotz des Ausstands zum Dienst meldeten, war höher als die 41 Prozent, die gefahren wurden. Allerdings gestaltete sich der Einsatz weniger effizient als sonst, weil die regulären ausgetüftelten Dienstpläne nicht galten, hieß es. Dienste mussten manuell geplant werden. Außerdem war es in vielen Fällen erforderlich, das Fahrpersonal mit Taxis zu weit entfernten Einsatzorten zu bringen.

Weil die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) nicht zur bundeseigenen DB gehören, sondern dem Land Berlin unterstellt sind, sind sie auch von dieser Arbeitsniederlegung nicht betroffen. Das bedeutet, dass U-Bahnen, Straßenbahnen, Linienbusse und Fähren laut Plan verkehren werden. Während des Streiks in der vergangenen Woche waren allerdings zahlreiche Busse überfüllt, weil sie S-Bahn-Fahrgäste aufnehmen mussten. Betroffen waren die Linien X69, M27, 154, 163, 170, 248, 250 und 255, so BVG.

Werden auch wieder Stellwerke lahmgelegt?

Vorgesehen ist, dass auch Bahnunternehmen, die dem DB-Konzern nicht angehören, wie geplant verkehren. So sind die Ostdeutsche Eisenbahn (ODEG), die Niederbarnimer Eisenbahn (NEB) und Flixtrain von dem Tarifkonflikt nicht betroffen. Allerdings müssen deren Fahrgäste trotzdem auf Einschränkungen gefasst sein. Weil am Streik in der vergangenen Woche auch Fahrdienstleiter teilnahmen und Stellwerke nicht betrieben wurden, musste der Regionalexpress RE2 der ODEG in Berlin eine andere Route fahren.

Keine S-Bahn, nirgends: Während des Warnstreiks in der vergangenen Woche gab es auf großen Teilen des Rings keinen S-Bahn-Betrieb. Der leere Ringbahnsteig im Bahnhof Westkreuz.
Keine S-Bahn, nirgends: Während des Warnstreiks in der vergangenen Woche gab es auf großen Teilen des Rings keinen S-Bahn-Betrieb. Der leere Ringbahnsteig im Bahnhof Westkreuz.imago/Jürgen Heinrich

Die Deutsche Bahn (DB) hatte bei der vorangegangenen Arbeitsniederlegung einen Ersatzfahrplan angeboten. Rund 25 Prozent des Fernverkehrs seien aufrechterhalten worden, hieß es. Die Priorität lag auf normalerweise stark frequentierten Hauptstrecken wie zwischen Berlin und dem Rhein-Ruhr-Gebiet. Wo Fernzüge verkehrten, fuhren sie zum Teil mit größerer Kapazität als regulär. Im Regionalverkehr offerierte die DB ebenfalls ein reduziertes Angebot. In Berlin und Brandenburg gab es unter anderem auf den Regionalexpresslinien RE1, RE3, RE5 und RE6 vereinzelte Fahrten mit Zügen und Bussen. Fahrgäste sollten sich in jedem Fall unter www.bahn.de informieren.

Beobachter hatten bereits erwartet, dass es im laufenden Tarifkonflikt zu einem weiteren Arbeitskampf kommen wird. Der Streit findet vor dem Hintergrund eines komplexen Machtgefüges statt, zu dem auch die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG gehört, heißt es. Die Deutsche Bahn versuche offensichtlich, den Konflikt zunächst auszusitzen, sagte Christian Böttger, Professor an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, der Berliner Zeitung. Wenn die Bahn jetzt einem Kompromiss zustimmen würde, wäre die GDL-Konkurrenz EVG blamiert, so seine Einschätzung. „Das kann sich die Bahn nicht leisten, denn sie braucht diese Gewerkschaft noch – vor allem für den Fall, dass, wie zu erwarten, die Debatte über eine neue Bahnreform nach der Bundestagswahl wieder aufflammt. Die EVG ist ein wichtiger Verbündeter, wenn es darum geht, Forderungen nach strukturellen Veränderungen abzuwehren.“

Bahn kritisiert: Gewerkschaft lehnte „jegliche Verhandlungen“ ab

Die tariflichen Forderungen der GDL seien „keineswegs maßlos“, so Böttger. Die Gewerkschaft verlangt einen Tarifvertrag mit einer Laufzeit von 28 Monaten, der Einkommensverbesserungen in eine Gesamthöhe von 3,2 Prozent vorsieht. „Das  orientiert sich an den Einkommensverbesserungen, die für den öffentlichen Dienst erzielt wurden“, so Böttger. Die Höhe der Forderung sei auch nicht strittig, sondern die Laufzeit des Tarifvertrags: Die DB bietet 40 Monate an. Die Gewerkschaft fordert zudem, eine Coronaprämie zu zahlen und auf die angekündigte Kürzung der Betriebsrenten von 150 auf 100 Euro monatlich zu verzichten. Kritik, wonach es ihr um die Gewinnung neuer Mitglieder und um einen „politischen Streik“ geht, wies GDL-Chef Weselsky wiederholt zurück. Bessere Löhne und Arbeitsbedingungen seien das Ziel, sagte er.

Die Deutsche Bahn hatte der GDL in der laufenden Tarifrunde ein zweites erweitertes Angebot vorgelegt. Es umfasst Lohnerhöhungen in zwei Schritten: 1,5 Prozent zum 1. Januar 2022 und 1,7 Prozent zum 1. März 2023 mit einer Laufzeit bis zum 30. Juni 2024. Angeboten wurden laut Bahn  außerdem ein Arbeitgeberbeitrag in Höhe von 3,3 Prozent zur betrieblichen Altersvorsorge auf branchenführendem Niveau, die Sicherung der Anwartschaften aus dem Zusatzversorgungs-Tarifvertrag, ein erweiterter Kündigungsschutz und Ausschluss von betriebsbedingten Kündigungen sowie die Fortsetzung der Rekrutierungs- und Qualifizierungsoffensive. Das Angebot enthalte keine Gegenforderungen oder Vorbedingungen, betonte die DB. Die GDL habe „jegliche Verhandlung“ am 6. Juli abgelehnt, kritisierte das Bundesunternehmen.

Um die Corona-Schäden zu bewältigen, benötige die DB eine etwas längere Laufzeit, wie sie auch für den Bereich der Flughäfen im öffentlichen Dienst abgeschlossen wurde, so die Bahn am Freitag. Ein zusätzlicher Kündigungsschutz, Tausende Neueinstellungen und eine Altersvorsorge, die branchenführend sei, gehörten ebenfalls zum Angebot. 

DGB-Vorsitzender: Weselsky hat „kein Mandat und keine Legitimation“

Lösungen würden am Verhandlungstisch erstritten. Dorthin sollte GDL-Chef Weselsky Anfang nächster Woche zurückkehren, sagte der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Reiner Hoffmann, dem „Spiegel“. Nicht die Interessen der Bahn-Beschäftigten stünden im Mittelpunkt der Auseinandersetzung, sondern die Überlebensfähigkeit der GDL, monierte Hoffmann und verwies darauf, dass die GDL in den meisten Bahnbereichen kaum oder keine Mitglieder habe - hier habe Weselsky „kein Mandat und damit keine Legitimation“ für einen Arbeitskampf. Die Konkurrenzgewerkschaft EVG hat bei der Bahn deutlich mehr Mitglieder - allerdings gehören dazu auch zahlreiche Rentner, wie Beobachter sagen.