Wissenschaftliche Studie in Berlin

Das Pipi-Projekt: Berliner Hobby-Gärtner gießen ihre Tomaten mit Urin

Menschliche Fäkalien als Dünger für Pflanzen schonen Ressourcen. Für eine Studie sucht das Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau Hobby-Gärtner.

Dank guter Dünger kann sich die Ernte – hier ein Beet mit Tomatenpflanzen – verdoppeln.
Dank guter Dünger kann sich die Ernte – hier ein Beet mit Tomatenpflanzen – verdoppeln.imago/Juan Alberto Ruiz

Schnell spülen und weg damit – das ist beim Toilettengang eigentlich eine falsche Entscheidung. Denn Fäkalien enthalten wertvolle Nährstoffe wie Stickstoff und Phosphor, die als Dünger wiederum Grünes üppig sprießen lassen. Menschliches Pipi als preiswerter Dünger? „Urban Cycles“ heißt ein vom Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenbau aufgesetztes Projekt, das genau diese Dünger-Alternative erforscht. Gesucht werden nun Berliner Hobby-Gärtner, die Lust auf ein Experiment und eine bessere Ernte haben.

Wer über ein Stück Garten mit einem freien Beet in der Größe bis 50 Quadratmeter verfügt, kann in dieser Saison echte Wissenschaft betreiben. Kleingartenvereine, Schul- oder Gemeinschaftsgärten sind eingeladen, mitzumachen. Ariane Krause vom Projekt, als Wirtschaftsingenieurin spezialisiert auf Ressourcenökonomie und Energietechnik, erklärt, was zu tun ist: „Auf zwei Beeten nebeneinander werden dieselben Gemüse wie Tomaten, Kürbis oder Kohlrabi gepflanzt. Das eine Beet erhält den bisher verwendeten Dünger, bei der Vergleichsgruppe kommt ein Recyclingdünger aus Urin als Düngemittel zum Einsatz.“

Künstlicher Urin für das Beet – garantiert geruchsfrei

Echter Urin muss bei der Berliner Studie aber weder gesammelt noch ausgebracht werden. Denn in der EU und damit auch in Deutschland ist die Nutzung von Pipi-Dünger bisher nicht erlaubt. „Deshalb verwenden wir Wissenschaftlerinnen für unsere Studie nur künstlichen Urin. Der besteht aus Harnstoff – und riecht nicht.“ Auch wenn echter Urin – wie es die Zukunftsvision der Forschenden ist – als Dünger verwendet wird, muss sich niemand angewidert abwenden.

Urin riecht nämlich nur, wenn er länger und mit Sauerstoffkontakt gelagert wird. Die Bakterien wandeln dann Stickstoff in Ammoniak um – das stinkt. Ariane Krause erläutert: „Wer Urin-Geruch wie an manchen Stellen, wo jemand sich erleichtert, an seinen selbst gezogenen Tomaten oder Kürbissen fürchtet, den können wir Forschenden aus eigener Erfahrung beruhigen.“

Das Rüstzeug für die nachhaltige Düngeranwendung bekommen die Bürger-Wissenschaftler in drei mehrstündigen Workshops vermittelt. Beobachten, wiegen, messen, fotografieren, Daten dokumentieren – das werden ihre Aufgaben sein. Zur Belohnung findet am Saisonende ein gemeinsames Erntedankfest statt.

Die Verwendung von Urin als Dünger ist in der Schweiz und Liechtenstein anders als in Deutschland längst gestattet und der Verkauf auch. 500 Milliliter „Aurin“ kosten circa 12,40 Euro.

Nicht nur mit Urin, auch mit Kot kann gedüngt werden. Fäzes – das ist der medizinische Fachausdruck für menschlichen Kot –ist in einer weiteren Studie des Leibniz-Instituts mit dem Titel „zirkulierBAR“ Gegenstand der Untersuchung. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dort mit aus menschlichen Fäzes-Hinterlassenschaften erzeugtem Kompost erfolgreich Tomaten und Roggen angebaut. Fäzes stinken nur, wenn sie mit Wasser gemischt und als Schlamm gelagert werden. Ein trockenes Häufchen riecht sehr bald nicht mehr. „Unsere Ernte roch und schmeckte gut, und auch alle Labor-Untersuchungen verliefen positiv“, sagt Ariane Krause.

Wertvolles Wasser sparen

Menschliche Hinterlassenschaften als Dünger auf den Äckern der Landwirtschaft wiederzuverwenden, war über Jahrtausende völlig normal – mit allen Risiken wie der Krankheitsverbreitung, auch durch Ratten und andere Tiere. Erst ab dem 19. Jahrhundert bauten Menschen immer häufiger moderne Wasserklosetts in die Häuser, planten Abwassersysteme und Kläranlagen. Eine hygienische Lösung, aber auch eine für die Umwelt schädliche. Denn das Wasser auf der Erde ist endlich und schützenswert.

In Berlin und Brandenburg sinkt der Wasserspiegel beständig. Stattliche 110 Liter Wasser verbraucht ein Berliner am Tag, jedes Jahr sind es in ganz Deutschland insgesamt über eine Milliarde Kubikmeter Frischwasser – viel zu viel. Ariane Krause sagt: „Mit dem WC-Abziehen ist eine wertvolle Ressource futsch: Besonders Urin enthält viel Phosphor.“

Die Ressource Phosphor ist begrenzt, schon in 50 bis 100 Jahren erschöpft, und der Abbau oft gesundheitsschädlich und energieintensiv. Außerdem gibt es einen rasanten globalen Preisanstieg im Dünger-Bereich, die Preise haben sich seit Anfang 2020 verdrei- und vervierfacht.

Politik und Gesellschaft überzeugen

Was sind die Alternativen? Ariane Krause und ihre Kolleginnen und Kollegen forschen für die Zukunft und versuchen mit ihren Ergebnissen, Politik und Gesellschaft zum Umdenken zu bringen.

Sechs Mitarbeiterinnen arbeiten für das Projekt „Urban Cycles“, die 10.000 Euro dafür gibt „Wissenschaft im Dialog“. Die von den führenden deutschen Wissenschaftsorganisationen gegründete GmbH entwickelt neue Formen der Wissenschaftskommunikation – mithilfe von Berlinerinnen und Berlinern. 2,4 Millionen Euro investiert das Bundesministerium für Bildung und Forschung in das Projekt „zirkulierBAR“ mit etwa 25 Mitarbeitenden. Ziel ist es, sparsame Kreislaufwirtschaften zu konstruieren, wie im Koalitionsvertrag vereinbart.

Fäkalien entwickeln nützliche Wärme

Wenn es dann endlich erlaubt wäre, alternativ zu düngen, müsste die Infrastruktur umgebaut werden. Urin und Fäzes müssten bereits in der Toilette getrennt aufgefangen werden. Ariane Krause erläutert: „In Wohnhäusern müssten getrennte Entsorgungsleitungen für Fäkalien eingebaut werden. Das ist bei den ohnehin regelmäßig notwendigen Strangsanierungen problemlos möglich.“ Bis es so weit ist, wird noch manche Tomate ganz konventionell gedüngt werden und reifen.

Interessierte melden sich hier: urbancycles@igzev.de