Seit vergangenem Donnerstag gibt es bei jedem Telefonat mit Verwandten oder Freunden aus meiner britischen Heimat nur ein Gesprächsthema: „Spare“, die neue Autobiografie von Prinz Harry. Das ist tatsächlich so, obwohl ich keine einzige Person kenne, die das Buch gekauft hat. In London öffneten mehrere Buchhandlungen ihre Türen um Mitternacht in der Nacht zu Dienstag, dem Publikationstag, damit auch der ungeduldigste Leser nicht zu lang warten musste. Nach den ganzen Leaks aus dem Buch stand aber um Mitternacht vor einem solchen Buchladen nur eine Frau namens Caroline – umgeben von mindestens 20 Journalisten.
Offensichtlich hat nicht nur Caroline das Buch gekauft; mehr als 1,4 Millionen Exemplare gingen am ersten Tag über den Ladentisch, das ist ein Rekord für Sachbücher. Das Brisanteste daran – von Harrys Trauma nach dem Tod seiner Mutter Diana und dem Riss zwischen ihm und seinem Bruder William und Vater Charles bis hin zu zahlreichen Anekdoten über seinen Penis, die niemand erfahren musste – stand auf jeder britischen Titelseite. Natürlich neben viel wichtigeren Meldungen über steigende Lebensmittelkosten oder die aktuellen Streiks, etwa im Gesundheitssystem, im Bahnnetzwerk oder im Postdienst, die das Land teils zum Stillstand bringen.
Wahrscheinlich deswegen haben so viele – zumindest in meinen Kreisen – keinen Appetit mehr auf Harrys Geschichten. Wer vor der Wahl steht, entweder sein Haus zu heizen oder seine Kinder zu ernähren, weil er sich beides nicht leisten kann, interessiert sich kein bisschen dafür, dass es Harry peinlich gewesen sei, seine damalige Freundin Meghan in seinem schönen Häuschen auf dem Gelände des Kensington Palace in London zu empfangen, weil es nicht der Palast selbst war. Meine Mutter sagte mir am Telefon: „Die Sache bestätigt nur alles, was ich schon immer über die Royals gedacht habe – die taugen einfach nichts.“
Auch in einer königlichen Familie gibt es Familienkonflikte
Womit sich jedoch viele identifizieren können, ist der interne Familienkonflikt, den Harry beschreibt. Mit „Spare“ hat er ein für alle Mal bestätigt, dass die königliche Familie genau das ist – eine Familie. Trotz all ihrer immensen Privilegien ist es auch traurig zu sehen, wie die Beziehung zwischen William und Harry auseinanderfällt. Früher sollte das Königshaus eine perfekte vorbildliche Familie darstellen – ein Image, das spätestens seit den Serienaffären und Scheidungen der Kinder der verstorbenen Königin Elizabeth in den 80er- und 90er-Jahren nicht mehr tragfähig ist.
Aber kann die Familie den Konflikt zu ihrem Vorteil nutzen? Könnte eine Versöhnung zwischen Charles, William und Harry – wenn das überhaupt noch möglich ist – das Königshaus wieder beliebt machen bei den Untertanen, indem es seinen Status als dysfunktionale moderne Familie anerkennt? Es könnte schwierig sein – aber ich bin bereit, meine patriotische Pflicht zu erfüllen und den streitenden Brüdern zu helfen.
Meine Oma war nur ein Jahr jünger als die Queen, ich habe immer eine gewisse Parallele zwischen beiden gezogen. Vielleicht deswegen gibt es einen kleinen Teil von mir, der glaubt, dass wenn ich William und Harry dazu bringen könnte, sich zusammenzusetzen und miteinander zu reden, dann könnten wir zusammen alle ihre Probleme lösen.




