„Sie wollen 1 Million DM. Haben mich in Wald gebracht u. in einen kleinen Loch gesteckt. Darf nur Wasser trinken, und nichts essen. Mutter, wenn Du mich liebst und wiedersehen willst, dann mache alles was sie sagen (wollen). Ich weiß du hast nicht soviel Geld, aber du kannst von Polizei Geld bekommen.(…) Ich weiß nicht wie du das machst, aber Du musst es schaffen.
Ich hoffe du hilfst mir, ich habe dich ganz doll lieb.“ Auszug aus dem Brief des entführten Matthias Hintze, der am 18. September 1997 in der Post seiner Eltern lag. Vier Tage, nachdem Hintze verschwunden war.
Der 13. September 1997 ist ein Sonnabend. Matthias Hintze feiert mit Freunden bei einer „Extasy-Wave-Party“ in Schwerin. Drei Tage zuvor ist er aus der Bundeswehr entlassen worden. Am Sonntag, dem darauffolgenden Tag, fährt er nach Geltow bei Potsdam zurück. Der 20-Jährige ist müde, legt sich zu Hause, im Wohnhaus seiner Eltern, schlafen. Hintzes Vater und Mutter sind in ihrer Gaststätte, die sie rund einen halben Kilometer von ihrem Wohnhaus entfernt betreiben. Am späten Nachmittag des 14. September fährt Matthias Hintze mit seinem zehn Jahre alten Mercedes-Coupé in das Lokal seiner Eltern.
Drei Stunden hält er sich dort auf, tritt schließlich gegen 20.30 Uhr den Heimweg an. Als seine Eltern später folgen, ist das Haus erleuchtet, die Tür steht offen. Der Sohn ist verschwunden. Auch sein diamantblaues Auto fehlt. Was sie zu dieser Zeit nicht wissen: Nur einmal noch werden sie Matthias lebend sehen: Auf einem Polaroidfoto, das sie vier Tage später im Briefkasten finden. Es liegt einem Schreiben bei, in dem die Kidnapper für die Freilassung Hintzes ein Lösegeld in Höhe von einer Million Mark fordern. Den Brief hat Matthias selbst geschrieben.
Auf einem weiteren Zettel haben die Entführer ausgeschnittene Zeitungswörter zu einem Text zusammengeklebt. Sie ergeben eine Forderung: „Wenn Sie Geld haben – in der BZ Anzeige mit Rahmen“. Wie gefordert, erscheint in der Zeitung folgendes Inserat: „Matthias! Alles ist vorhanden. Ich nehme die Sache in die eigene Hand. Habe Vertrauen! Mutti!“
Das Verschleppen des jungen Mannes passt in kein Raster: Weder das Opfer noch seine Eltern sind wohlhabend. Es beginnt eine bis dahin beispiellose Fahndungsaktion der Brandenburger Polizei. Hundertschaften suchen verlassene Kasernengelände ab. Hubschrauber kommen zum Einsatz. Bundeswehrtornados überfliegen mit Infrarotkameras Waldflächen. 1600 Hinweise werden die Beamten im Entführungsfall abzuarbeiten haben.

Die Sonderkommission „Matthias“ wird gebildet. Sie veröffentlich das aus einer Sofortbildkamera stammende Bild am 26. September und erklärt, das Entführungsopfer sei in höchster Gefahr. Das Foto sorgt für Entsetzen, es wird in allen deutschen Zeitungen und Fernsehsendern gezeigt. Darauf ist Matthias Hintze zu sehen, der in einer Erdgrube hockt. Er hat ein blaues Auge und klammert sich an einer Querstrebe fest. Hintze starrt mit flehendem Blick nach oben – in die Kamera.
„Lebendig begraben: Schlimmer kann es für einen Menschen nicht kommen“
25 Jahre nach dem wohl spektakulärsten Entführungsfall in der Brandenburger Kriminalgeschichte ist Gisbert Becker zu einem Treffen bereit. Becker, 67, ist ein drahtiger Mann mit feinen, freundlichen Gesichtszügen. 40 Jahre lang war er bei der Kripo, ging als Leitender Kriminaldirektor in Pension.
Der Entführungsfall Hintze war sein größter und wohl auch schwierigster Fall. „Der Junge wurde lebendig begraben, schlimmer kann es für einen Menschen nicht kommen“, sinniert er, den Blick in die Ferne gerichtet. Es sei auch ein tragischer Fall gewesen, sagt er dann. Weil es der Polizei nicht gelungen sei, Hintzes Eltern den Sohn lebend zurückzugeben.
Ein paar Tage nach der Entführung des Gastwirtssohnes war Becker aus dem Urlaub gekommen, wurde stellvertretender Chef des Einsatzabschnitts Ermittlungen der Sonderkommission. Was niemand in der Soko wusste: Zu dieser Zeit war Matthias Hintze längst tot. Trotzdem spielten seine Entführer das perfide Spiel weiter, das seine verzweifelten Eltern in dem Glauben ließ, ihren Jungen am Ende lebend in die Arme schließen zu können.
Gisbert Becker kann sich an viele Details des Falls noch heute erinnern. Er weiß noch, dass die Entführung schon kurz nach der Tat beinahe gescheitert wäre. Kurz nachdem Matthias Hintze verschleppt worden war, ereignete sich gegen 21.50 Uhr auf der Bundesstraße 1 im nahen Glindow ein Unfall. Ein BMW mit Berliner Kennzeichen war auf ein diamantblaues Mercedes-Coupé aufgefahren. Durch den Aufprall öffnete sich die Heckklappe des Coupés. „Ein Zeuge sah, wie ein Mann versuchte, aus dem Kofferraum zu steigen“, sagt Becker. Es war Matthias Hintze.
Was dann geschah, beschreibt der pensionierte Kriminalist so: Der Unfallverursacher stieg aus seinem BMW. Er drückte den um Hilfe Rufenden in den Kofferraum des Mercedes zurück und schloss notdürftig die Heckklappe. Dann ließ er sein Fahrzeug einfach stehen, stieg mit in das Coupé, und der Wagen raste davon. Ein Mann, der das Fahrzeug mit seinem Auto verfolgen wollte, brach die Fahrt wegen der hohen Geschwindigkeit der Täter ab.
Anwohner warteten derweil an dem zurückgelassenen BMW auf die alarmierte Polizei. Der Wagen war beschädigt, Kühlerflüssigkeit lief aus. Doch rund 15 Minuten nach dem Unfall erschien ein unbekannter Mann. Er stieg wortlos in den Unfallwagen und fuhr in Richtung Brandenburg davon.
Zwei Tage nach dem Verschwinden von Matthias Hintze wurde der am Unfall beteiligte BMW in einer Siloanlage bei Schmergow im Landkreis Potsdam-Mittelmark entdeckt. Die Täter hatten Dieselkraftstoff in dem Fahrzeug verschüttet und es angezündet. Doch das Berliner Kennzeichen war noch erkennbar.
So konnte die Kripo ermitteln, dass das 17 Jahre alte Fahrzeug Ende Mai 1997 von einem Berliner Rentner verkauft worden war. Er hatte das Auto nicht abgemeldet. Der Käufer behielt den Wagen nicht lange, bot ihn in der Zeitschrift „Zweite Hand“ zum Verkauf an. Ein angeblich in Moskau lebender Russe erwarb das Fahrzeug: Wjatscheslaw Kourganow. Weitere Erkenntnisse über den Mann hatte die Polizei zu diesem Zeitpunkt nicht. Später fanden die Ermittler heraus, dass es um Wjatscheslaw Orlow handelte, der den Namen seiner Mutter angenommen hatte.
Vier gescheiterte Geldübergaben
Am 17. September wurde auch das Coupé von Matthias Hintze gefunden – in einem Waldstück in Berlin-Heiligensee. Auch dieser Wagen war mit Kraftstoff übergossen, aber nicht angezündet worden. Die Sicherheitsgurte waren herausgeschnitten, auch das Lammfell vom Fahrersitz fehlte. „Bis dahin war die Polizei noch nicht von einer Entführung ausgegangen“, erzählt Gisbert Becker. „Und wir sind damals noch mehrgleisig gefahren, haben geschaut, ob die Familie etwas mit dem Verschwinden des Jungen zu tun haben könnte, oder ob Matthias vielleicht einfach nur abgehauen ist.“
Doch der erste Erpresserbrief mit der Lösegeldforderung, von Hintze selbst mit flehenden Worten an seine Mutter geschrieben, veränderte die Lage. Er traf vier Tage nach dem Verschwinden des jungen Mannes in Geltow ein. Ein zweites Schreiben folgte am 20. September. Darin stand in gebrochenem Deutsch: „das Geld muß ganz sein – 1 Millionen Mark nur mit Tausende Geld Schein – Wenn Sie Geld dabei haben – Dann Anzeige in der BZ mit Rahmen machen können – nur dann Sie können Ihrer Sohn wieder sehen“. Zum Schluss wird gefordert: „und kein Polizei“.
Eine Woche nach Hintzes Verschleppung meldeten sich die Entführer erstmals in gebrochenem Deutsch telefonisch bei den Eltern. Es war der Beginn mehrerer Schnitzeljagden, die in Geldübergaben münden sollten. Doch die vier Versuche scheiterten.
Beim ersten Mal sollten die Eltern das Geld in einer großen Plastikflasche am Pier F des Potsdamer Hafens deponieren. Doch die Täter erschienen nicht. Drei Tage später meldeten sich die Kidnapper erneut. Aus einer Telefonzelle spielten sie eine von dem Entführungsopfer besprochene Kassette ab, mit der die zweite Geldübergabe begann. Sie führte zu einem Restaurant am Berliner Stößensee. „Die Täter hatten einen Bootssteg für die Geldübergabe präpariert“, sagt Becker. Sie hätten sich durchaus einiges ausgedacht, um an die Million zu gelangen.
Die Täter hatten ein Loch in den Steg gesägt und dort ein 82 Zentimeter langes, ferngesteuertes Modellboot deponiert. Das Geld sollte in eine leere 1,5-Liter-Plastikflasche mit erweiterter Öffnung gesteckt werden, die scheinbar mit dem Schiff verbunden war. Doch die Täter hatten eine Angelsehne an der Flasche befestigt. Damit, so ihr Plan, wollten sie die Flasche über den See ans Ufer ziehen, während die Polizei das Boot verfolgen würde. Die Aktion scheiterte, weil das Modellschiff nicht fuhr.
Tags darauf meldeten sich die Entführer erneut telefonisch, drohten nun, Matthias in dem Erdloch sterben zu lassen, wenn sie nicht bald das Lösegeld bekommen würden. 13 Tage, nachdem Hintze verschleppt worden war, scheiterte auch diese Geldübergabe. Die Täter hatten den Vater von Matthias Hintze mit handschriftlich beschriebenen Zetteln zur Stadtautobahn A111 geleitet, zu einem 20 Zentimeter großen in die Schallschutzwand geschnittenen Loch. Durch diese Öffnung sollten die Geldscheine gesteckt werden. Doch die Täter blieben weg. Sie hatten offenbar die Polizei bemerkt.
Entführer schickten Briefe an zwei Boulevardzeitungen
Rund eineinhalb Stunden später riefen die Entführer in der Gaststätte der Familie an, drohten, dass Matthias nun langsam und qualvoll sterben müsse, da die Polizei eingeschaltet worden sei. Sie schickten Briefe an zwei Boulevardzeitungen, in denen es hieß: „Wir sind keine Mörder und möchten keine Mörder werden sein. Es tut uns sehr leid, was Matthias so lange in ein Bunker gestekt. Ja dort ist kalt, er hat Hunger. Er ist schon krank, hat Fiber.“ Aber man habe noch kein Geld bekommen.
Lange Zeit gab es nun kein Zeichen mehr von den Tätern. Bis sie am frühen Abend des 2. Oktober die Nummer des Geltower Lokals von Hintzes Eltern erneut wählten. Die Verbindung war schlecht, der Anrufer nannte einen Ort, an dem Weisungen für eine Geldübergabe liegen würden. Die Polizei hörte mit. „Doch wir konnten die Straße in Berlin nicht verstehen, und der Täter legte auf, als er den Ort wiederholen sollte“, erinnert sich Gisbert Becker.
Zwei Tage lang habe man alle möglichen Straßen abgesucht, die phonetisch ähnlich klangen. Dann wurde die Stelle, an der die Entführer eine Nachricht an Hintzes Vater hinterlegt hatten, gefunden: An einem Müllcontainer. Darin hieß es, Matthias sei „schwer krank und schwach, er schafft nicht lange.“ Sollte die nächste Geldübergabe klappen, wäre der junge Mann aber drei Stunden später frei.
Doch dazu sollte es nicht mehr kommen. Da die Täter stets von öffentlichen Kartentelefonen im Südwesten Berlins oder im Raum Potsdam angerufen hatten, wurden zahlreiche Telefonzellen überwacht. „Das hat unheimlich viel Personal gebunden, aber letztlich zum Erfolg geführt“, erzählt Becker.
Einsatzkräften der Berliner Polizei fielen in der Nacht zum 7. Oktober an einer entlegenen Telefonzelle an der Havelchaussee in Spandau zwei verdächtige Männer und deren goldfarbener BMW mit russischem Kennzeichen auf. Als sie versuchten zu fliehen, wurden sie festgenommen.
Im Auto stellte die Polizei einen Block sicher, der als Schreibunterlage für einen Erpresserbrief gedient hatte. Und auch im Kofferraum wurden die Ermittler fündig: Dort lagen Angelsehnen, Leinen, ein Schlauchboot und Funkgeräte – Dinge, die bei den Geldübergaben eine Rolle gespielt hatten.
Täter lernten sich im Knast kennen
Und auch in der Wilmersdorfer Wohnung der beiden Männer, in der sie Untermieter waren, stießen die Fahnder auf weiteres Beweismaterial. „Die beiden Festgenommenen hatten bereits weitere Schnitzeljagden vorbereitet“, sagt Becker. Auch der Kaufvertrag des bei der Entführung genutzten und später angezündeten BMW wurde sichergestellt.
Die Polizei hatte die Entführer des 20 Jahre alten Gastwirtssohn gefasst. Es waren zwei Russen: der 37-jährige Sergej Serow oder auch Sergej Isaichew und der 26-jährige Wjatscheslaw Orlow, alias Wjatscheslaw Kourganow. Der eine aufgewachsen in Sibirien, der andere aus Krasnogorsk.
1992 lernten sie sich in der Justizvollzugsanstalt Tegel kennen. Serow hatte mit einem Messer bewaffnet gemeinsam mit einem Komplizen ein Rundfunkgeschäft in Charlottenburg überfallen. Orlow saß eine Haftstrafe wegen Autoschiebereien ab.
Nach der Verbüßung von zwei Dritteln ihrer Freiheitsstrafe waren sie in ihre Heimat abgeschoben worden, jedoch Mitte Mai 1997 erneut nach Deutschland eingereist. Zunächst mit Schengen-Visa, die ihnen die spanische Botschaft in Moskau ausgestellt haben soll. Sie wollten angeblich gebrauchte Autos kaufen und in Osteuropa veräußern, so das schnelle Geld machen.
Doch wo war ihr Entführungsopfer?
Gisbert Becker erinnert sich, dass die Vernehmungen der beiden zunächst erfolglos geblieben seien. Er habe schließlich eine Verwandte von Sergej Serow dazu gebracht, mit der Polizei zusammenzuarbeiten. Die Frau habe an Serow appelliert, das Versteck Hintzes preiszugeben. „Er ist dann wirklich in meiner Vernehmung zusammengebrochen, hat ein Teilgeständnis abgelegt“, sagt Becker. Serow sagte, dass Matthias Hintze tot sei. Er erklärte sich bereit, die Polizei zu dem Erdloch zu führen.
Ein Konvoi aus Polizeifahrzeugen fuhr am Nachmittag des 8. Oktober in Richtung Norden, nach Mecklenburg-Vorpommern. Serow lenkte die Kolonne in die Röbeler Sandbergtannen, ein Waldgebiet bei der Ortschaft Gotthun. Kurz vor Einbruch der Dunkelheit kamen die Fahnder dort an.
Doch als Serow aus dem Auto gestiegen sei, habe er gezögert, erinnert sich Becker. „Er sagte, dass wir ohne ihn die Leiche von Matthias Hintze niemals finden würden. Ich musste ihm zureden, damit er keinen Rückzieher macht.“ Eine Zigarette nach der anderen hätten sie geraucht.
Letztlich sei Serow im Zickzackkurs durch den Wald gelaufen, habe schließlich auf eine Stelle gewiesen. „Dort war wirklich nichts zu erkennen, der Waldboden sah völlig unauffällig aus“, erzählt der einstige Ermittler. Kriminaltechniker fingen an, zu graben. Das Erdreich sei lockerer gewesen als an anderen Stellen.
In einer Tiefe von 1,20 Metern stießen sie auf Spanplatten und Rohre und schließlich auf Holzwände, die den einstigen Hohlraum verschalt hatten. Auf dem Boden der Grube, die mit Sand verfüllt worden war, lag die bereits stark verweste Leiche des Gastwirtssohns. Der Tote trug noch die Kleidung, mit der er aus dem Haus entführt worden war: Ein Sweatshirt und eine Jogginghose. Schuhe und Strümpfe fehlten. In vielen Zeitungen war damals spekuliert worden, dass Hintze vor Hunger seine Schuhe aufgegessen haben könnte. „Das war Blödsinn“, sagt Becker. Vielmehr war der junge Mann entführt worden, als er es sich zu Hause bequem gemacht hatte.
Auch das Lammfell aus Hintzes Auto und eine Decke lagen in der Grube. „Matthias Hintze hatte keine Chance. Er ist vermutlich noch in der ersten Nacht in dem Erdloch erstickt“, sagt Becker. Im Urteil gegen Serow und Orlow heißt es, dass die Täter ihr Opfer in eine vorbereitete 1,60 Meter lange, 73 Zentimeter breite und 55 Zentimeter tiefe Grube gesteckt hatte. Das Loch deckten sie mit Spanplatten ab, auf die sie eine 1,40 Meter dicke Sandschicht schaufelten.
Entführter Computerhändler Galius
Zwei Belüftungsrohre sollte für genügend Sauerstoff sorgen. Doch wegen eines Konstruktionsfehlers funktionierte nur ein Rohr und das Opfer habe nach und nach den Sauerstoff in seinem Erdgrab verbraucht. Dadurch habe Hintze eine Kohlendioxidvergiftung erlitten. Spätestens nach vier Stunden sei der Entführte bewusstlos geworden und eine weitere Stunde später verstorben. Als Serow und Orlow den Toten fanden, schütteten sie die Grube mit Sand voll.
Im Februar 1999 begann vor dem Landgericht Potsdam der Prozess gegen die Hintze-Entführer, in dem die Eltern des Opfers als Nebenkläger auftraten. Sie erfuhren, dass sie von den Tätern offenbar als wohlhabende Gastleute ausgekundschaftet worden seien. Die Tat war lange geplant, das Erdloch und eine baugleiche Grube Tage zuvor ausgehoben worden. Serow und Orlow klingelten am Tatabend an der Haustür der Familie. Sie überwältigten den jungen Mann, als er ahnungslos die Tür öffnete.
Nach 20 Verhandlungstagen wurden Serow und Orlow wegen erpresserischen Menschenraubs mit Todesfolge, Raub und versuchter räuberischer Erpressung mit Todesfolge zu je vierzehneinhalb Jahren Haft verurteilt. Für die Eltern ein Schock. Sie hatten eine lebenslange Freiheitsstrafe verlangt.
Der Vorsitzende Richter Horst Barteldes sagte damals, die Angeklagten seien nach Deutschland gekommen, um viel Geld mit Straftaten zu erlangen. Die Vorbereitung der Entführung des Gastwirtssohn zeuge von hoher krimineller Energie. Die Täter seien nicht fahrlässig, sondern leichtfertig vorgegangen. Einen Tötungsvorsatz konnten die Richter nicht erkennen.
Doch es war nicht die letzte Verurteilung von Serow und Orlow. Im November 2001 wurden sie vom Landgericht Berlin wegen der Entführung des Berliner Computerhändlers Alexander Galius zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden Russen den 50 Jahre alten Geschäftsmann am 9. Juni 1997 in seinem Laden betäubt und in ein Waldstück verschleppt hatten.
Es gab viele Übereinstimmungen mit dem Fall des entführten Geltower Gastwirtssohns. So hatte sich Alexander Galius einen Tag nach seinem Verschwinden telefonisch bei seiner Familie gemeldet und erklärt, dass er lebendig begraben werden solle. Die Kidnapper würden für seine Freilassung eine Million Mark fordern. Ein Stimmenvergleich der Erpresseranrufe ergab, dass Serow die Worte „Haben Sie Geld“ gesprochen hatte.
Zu einer Übergabe von Lösegeld kam es nie. Vieles habe dafür gesprochen, dass die Angeklagten das Opfer nach erfolgloser Erpressung getötet hätten, urteilten die Richter. Von Alexander Galius fehlt bis heute jede Spur. Der einstige Hintze-Ermittler Becker sagt dazu: „Ich bin mir relativ sicher, dass seine Leiche auch dort draußen irgendwo in einem Erdloch liegt.“






