Solitär der Ost-Moderne

Auf Drängen des ukrainischen Botschafters: Café Moskau soll zu Café Kyiv werden

Interne Mails zeigen, dass sich Landesdenkmalamt und Bezirk Mitte sperren: eine langfristige Namensverdeckung sei „nicht genehmigungsfähig“. Droht ein neuer Kulturkampf?

Das Café Moskau in der Karl-Marx-Allee, ein Solitär der Nachkriegsmoderne im Osten, soll nach ukrainischem Willen zum Café Kyiv werden. Besonders markant: der Sputnik über dem prägenden Schriftzug.
Das Café Moskau in der Karl-Marx-Allee, ein Solitär der Nachkriegsmoderne im Osten, soll nach ukrainischem Willen zum Café Kyiv werden. Besonders markant: der Sputnik über dem prägenden Schriftzug.imago

Das Café Moskau in der Karl-Marx-Allee soll nicht mehr Café Moskau heißen, sondern Café Kyiv. Dieses Verlangen trug der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev am 17. Mai während seines Antrittsbesuchs beim Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU) vor. Dieser sagte eine Prüfung zu. Das bestätigte auf Nachfrage der Berliner Zeitung Senatspressesprecherin Christine Richter.

Genauso steht es auch in der Mail, die am 19. Juni 2023 die Senatskanzlei an das Bezirksamt Mitte, Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) richtete mit der Bitte um „Prüfung der dauerhaften Umbenennung des Café Moskau“.

Auch das Landesdenkmalamt wurde um eine Stellungnahme zu dem Drängen des ukrainischen Botschafters gebeten. Der interne Mail-Wechsel zwischen Senatskanzlei, Landesdenkmalamt und Bezirksamt liegt der Berliner Zeitung vor. Das Café Moskau, 1961 als Restaurant Moskau und zentrales Bauelement des Bauabschnitts II der Karl-Marx-Allee im Stil der Moderne eröffnet, steht seit 1989 unter Denkmalschutz.

Schriftzug ist Teil des Schutzgutes des Denkmals

In einer Mail bittet Christoph Rauhut, Leiter des Landesdenkmalamtes, ebenfalls am 19. Juni Fachleute in seinem Amt um Stellungnahmen, und diese antworten. Am 2. Juli geht der Vorschlag für ein Antwortschreiben in Sachen Namensänderung an die Senatskanzlei zur Bestätigung an die Konsultierten. Der Vorschlag fällt ausweichend, aber nicht gänzlich ablehnend aus. Zunächst wird auf den „kunstvollen und sachlichen“ „MOCKBA“-Schriftzug als „Teil des Schutzgutes des Denkmals“ verwiesen. Die zentrale Aussage: „Eine langfristige Verdeckung des prägenden Schriftzuges, welche die architektonische Idee verunklärt so wie die Gefahr für die Schaffung eines Präzedenzfalles birgt, ist aus unserer Sicht nicht genehmigungsfähig.“

Weil man aber der Bitte des Regierenden Bürgermeisters nach wohlwollender Prüfung nachkommen wolle, schlage man eine „denkmalverträgliche“ Variante vor. Vor dem Wort Moskau könnte das Wort Kyiv als zusätzliches Element, „dezidiert als Ergänzung“ zu erkennen sein. Eine moderne Schrift oder eine als Schreibschrift geformte Leucht- oder LED-Röhre käme infrage. Der Wortteil Moskau könne in der dunklen Tageszeit unbeleuchtet bleiben. Jedenfalls müsse die Konstruktion, also der Eingriff in das Baudenkmal, reversibel bleiben – will heißen: auch wieder spurlos entfernt werden können.

Im Februar 2023 wurde anlässlich des Jahrestags des russischen Überfalls auf die Ukraine das Café Moskau für ein paar Tage in Cafe Kyiv umbenannt.
Im Februar 2023 wurde anlässlich des Jahrestags des russischen Überfalls auf die Ukraine das Café Moskau für ein paar Tage in Cafe Kyiv umbenannt.Fabian Sommer/dpa

Aus der Abteilung Bau und Kunstdenkmalpflege kommt der dringende Wunsch, die Maßnahme „unbedingt reversibel“ zu gestalten, damit die Umbenennung „doch irgendwann hoffentlich wieder rückgängig“ gemacht werden könne. Entsprechend müsse die „Dauer der Änderung ggf. offen gehalten werden“.

Der ebenfalls konsultierte Baustadtrat Ephraim Gothe trägt seine Bedenken in einer Mail vom 19. Juni an den Zuständigen der Unteren Denkmalschutzbehörde vor. Er finde den Vorgang „einigermaßen schwierig“, schreibt der Sozialdemokrat. Er verstehe, dass die Stalinallee in Karl-Marx-Allee umbenannt wurde, aber „die Bezeichnung Moskau an einem Haus zu tilgen, das kommt mir dann doch schon so vor, als müsse man jetzt Tolstoi aus den Bücherregalen nehmen“.

Der Architekturkritiker Wolfgang Kil, der sich seit Jahrzehnten mit den Bauten an der Karl-Marx-Allee, deren Geschichte und Bedeutung für die Stadt beschäftigt, sieht es ganz ähnlich. Er hat nichts dagegen, dass man das Haus einen Tag besetzt, Aktionen macht, gegen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands protestiert, wie das im Februar zum ersten Jahrestag des Überfalls auf die Ukraine im Rahmen einer Kunstaktion schon einmal geschehen ist. Aber, so fragt er im Gespräch mit der Berliner Zeitung, solle der Rest der Welt seine Lexika und Chroniken umschreiben, weil sich die Ukraine in einem nationalen Selbstfindungsprozess befinde?

Er erinnert daran, dass Historiker, Denkmalfreunde und Anwohner lange und hart für den Erhalt und die Anerkennung des Baudenkmals Café Moskau als zentraler Teil der Ost-Moderne gekämpft haben. Im Moskau-Kontext könnten Anliegen und Gestik des gesamten Baudenkmals differenziert erklärt werden, sagt Kil: „Was bliebe unter dem Label Kyiv?“

Senatssprecherin Christine Richter bestätigt, dass strenge Vorgaben des Denkmalschutzes bislang eine dauerhafte Umbenennung verhindern: „Die Prüfung läuft derzeit noch.“

Der Eigentümer des architektonischen Solitärs ist die Holding des Kunstmäzens Nicolas Berggruen und des Mitgesellschafters Samuel Czarny. Bergruen kaufte das Haus 2007 von der Treuhand nach Jahren von Leerstand und Zwischennutzung und ließ es sanieren. Derzeit ist es an die Veranstaltungsagentur Wahre Werte verpachtet. Eine Anfrage der Berliner Zeitung, wie sich die Eigentümer zu einer dauerhaften Umbenennung positionieren, blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Die Senatssprecherin bestätigt, dass Makeiev und Wegner auch den Wunsch der ukrainischen Exil-Community nach einem Ukrainischen Haus, in dem „zivilgesellschaftliche und kulturelle Aktivitäten gebündelt werden“, erörtert haben. Kai Wegner habe sich „grundsätzlich offen“ gezeigt, die Prüfung sei noch nicht abgeschlossen. Das Café Moskau spielt in der Debatte eine Rolle.

Der exilukrainische Verein Vitsche unterstützt eine Umbenennung des Café Moskau, ist aber der Meinung, dass eine solche „Initiative aus der deutschen Bevölkerung oder Politik kommen muss“. Krista-Marija Läbe, Sprecherin des Vereins, äußert Verständnis, dass der Diskurs bezüglich des Erbes der Sowjetunion „sehr emotional sein kann, da es ja trotzdem Teil der eigenen Geschichte ist“. Trotzdem müsse die Geschichte aufgearbeitet werden, um „besser zu verstehen, warum Russland in den Jahren vor 2022 so viel Einfluss auf Deutschland ausüben konnte“.

Auf die Frage, ob das Café Moskau als Ukrainisches Haus genutzt werden könnte, antwortet sie, tatsächlich suche man „händeringend“ einen solchen Ort. Eine eigene Initiative habe man nicht gestartet, von Erwägungen hinsichtlich des Café Moskau wisse man nichts. Doch sei der Denkmalstatus eine „zusätzliche Hürde“, antwortet Krista-Marija Läbe.

Spielball außenpolitischer Gefälligkeitsgesten

Mit dem Bauabschnitt II der Karl-Marx-Allee hatte sich die DDR-Führung Anfang der 1960er allseits sichtbar vom Stalin’schen Stil der Bauabschnitte vom Strausberger Platz östlich gelöst und sich der Moderne zugewandt – der wichtigste Grund, warum Berlin beantragt, diesen Straßenabschnitt im Zentrum Ost gemeinsam mit dem Hansaviertel West in die Unesco-Welterbeliste aufzunehmen. Der in den Himmel schießende Sputnik über der Dachkante des Moskau, das bis 1991 Restaurant Moskau hieß, steht als Zeichen für einen Aufbruch. Auf den Sputnik war man seinerzeit mit guten Gründen in der ganzen Sowjetunion, auch in Kiew, stolz.

Nationalitätenrestaurants wie das Moskau gab es in jeder DDR-Bezirkshauptstadt. In Potsdam wurde erst kürzlich das Minsk generalsaniert als Kunsthaus wiedereröffnet. Das Restaurant Stadt Kiew hat seinen Standort am Leipziger Markt.

Architekturkritiker Wolfgang Kil sieht im Café Moskau heute einen bildreich-erzählerischen Solitär, der immer aufs Neue Gegenstand der Interpretation baukultureller Entwicklungen der Nachkriegsmoderne sei. Er sorgt sich, dass der „leidlich geprüfte Schauplatz kultureller Auseinandersetzungen der deutschen Vereinigung“, eine „gefeierte Ikone der Ost-Berliner Baugeschichte zum Spielball außenpolitischer Gefälligkeitsgesten“ gemacht wird. Es wird klar: Eine Debatte um die Missachtung des DDR-Erbes hat das Potenzial, latenten Zorn wieder aufwallen zu lassen.

Der aus Spandau stammende Regierende Bürgermeister lässt auf die Frage, ob bei den Bestrebungen zur Moskau-Tilgung in einem Gebäude der Ost-Moderne die im Osten vielfach skeptische Sicht auf die Unterstützung für die Ukraine eine Rolle spiele, antworten: „Die Entscheidung einer Umbenennung bzw. Umgestaltung des Café Moskau liegt nicht beim Regierenden Bürgermeister von Berlin.“ Unabhängig davon solidarisiere er sich ausdrücklich mit den Menschen in der Ukraine und sage ihnen seine Unterstützung zu.