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Christian Hardinghaus: Auch ukrainische Propaganda gelangt ungefiltert in unsere Medien

Der Historiker Christian Hardinghaus hat ein Buch über Kriegspropaganda geschrieben. Im Interview erklärt er, wie Propaganda im Ukraine-Krieg funktioniert – auf beiden Seiten.

Kinder setzen auf zerstörten Panzern in Kiew. 
Kinder setzen auf zerstörten Panzern in Kiew. Aziz Karimov/Imago

Der promovierte Historiker, Jahrgang 1978, klärt in seinem Buch ausführlich über die immer gleichen Strategien und Prinzipien medialer Manipulation in der Berichterstattung vergangener und heutiger Kriege auf. Er zeigt, dass die entsprechenden Propagandamethoden auch in Friedenszeiten zum Alltagsgeschäft von Politikern gehören. 

Mit Christian Hardinghaus sprach Ramon Schack.


Ihr neues Buch, „Kriegspropaganda und Medienmanipulation“, trägt den Untertitel „Was Sie wissen sollten, um sich nicht täuschen zu lassen“. Möchten Sie damit andeuten, dass auch im Westen Kriegspropaganda und Medienmanipulation existieren?

Propaganda orientiert sich nicht an Himmelsrichtungen. Man kann sagen, sie weht von überall her. Ich verstehe aber, worauf Sie hinauswollen. Menschen neigen dazu, Propaganda immer nur dort zu verorten, wo sie selbst nicht stehen. Das ist schon ein Erfolg der Propaganda an sich, die verschleiert, dass sie überhaupt von den Mächtigen des jeweiligen Staates, der Partei oder Ideologie ausgeht, der man sich zugehörig fühlt. Überall da, wo Medien Menschen erreichen können, wird sich Propaganda den schnellstmöglichen Weg zu ihnen suchen, um sie nach ihren Vorgaben zu manipulieren. Das gilt auch für Kriegspropaganda, die im Übrigen nicht nur während eines laufenden Krieges verbreitet wird, sondern bereits dazu dient, Kriege vorzubereiten oder im Nachhinein „zurechtzurücken“. Kriegspropaganda ist eine stete Begleiterscheinung von militärischen Konflikten.

Seit Jahrhunderten sind die grundsätzlichen Methoden der Kriegspropaganda dabei nahezu gleich geblieben und haben immer ihre Wirkung entfaltet. Ist die heutige Öffentlichkeit in Deutschland beispielsweise denn aber nicht aufgeklärt genug, Kriegspropaganda zu erkennen und zu entlarven?

Dass wir so anfällig für Propaganda bleiben, hat damit zu tun, dass sie da ansetzt, wo wir uns verirren. Sie will uns einen Paradeweg vorgeben, der uns durchs Leben führt, spricht alle Bedürfnisse und Schwächen menschlichen Lebens an. Propaganda setzt im Besonderen auch auf Vorurteile, die es immer gegeben hat, völlig unabhängig davon, wie gebildet ein Mensch ist. Bei der enormen Informationsflut, die gerade jetzt im digitalen Zeitalter auf uns einprasselt, haben wir kaum Zeit für fundierte Urteile, werden aber dennoch gezwungen, uns schnell entscheiden zu müssen, um nicht die Orientierung zu verlieren. Propaganda erleichtert diese Entscheidungsfindung. Eine Nachricht oder ein Bild in den sozialen Medien wird vom Propagandisten so inszeniert, fragmentiert und in den gewünschten Rahmen eingebettet, dass wir sofort zustimmen oder ablehnen, die Botschaft teilen oder empört kommentieren sollen, ohne dass uns bewusst wird, dass wir mit einfachsten psychologischen und medientechnischen Mitteln beeinflusst worden sind. Was wirklich hinter einer Nachricht oder einem Bild steckt, kann erst erschlossen werden, wenn man sich mit verschiedenen Perspektiven auseinandersetzt und abwägt.

Das letzte Kapitel Ihres Buches widmet sich der Propaganda im Ukraine-Krieg, ein Unterkapitel der ukrainischen Propaganda. Welchen Einfluss hat die ukrainische Propaganda auf die hiesige Berichterstattung über diesen Krieg?

Vor jedem Krieg sortieren Propagandisten der Kriegsparteien die Welt in einfache Schemata ein, damit Volk und Soldaten blind folgen. Es darf nur noch gut und böse geben und nichts dazwischen. Sie kreieren sogenannte manichäistische Weltbilder. Diese schwarz-weiß Narrative werden über den gesamten Krieg aufrechterhalten. Das heißt, ganz unabhängig von der Wahrheit muss Kriegspropaganda konsequent die eigene Seite glorifizieren, die andere dämonisieren. Kriegsführende Länder können sich deshalb keinen unabhängigen Journalismus leisten, sie schalten durch Kriegsgesetze ihre Medien gleich. Jedes Land, das Krieg führt, ist zwingend auf Unterstützung anderer Länder angewiesen. Man braucht Geld, Waffen und moralischen Support, um seine Kriegsziele zu erreichen. Spezielle Abteilungen für Auslandspropaganda füttern Journalisten anderer Länder sozusagen mit Informationen an, die nicht nachprüfbar sind, aber immer zweckgebunden. Da Russland den Krieg begonnen hat und Deutschlands politische Agenda von Bündnissen beeinflusst ist, die aufseiten der Ukraine stehen, hat es die Propaganda des ukrainischen Verteidigungsministeriums recht einfach, ungefiltert in unsere Medien zu gelangen. Wobei das eher die sogenannten Leitmedien betrifft, deren mediale Agenda sich zu sehr an der Regierungssicht ausrichtet. Russische Propaganda setzt bezogen auf die westliche Welt wiederum ganz darauf, dass sie in sozialen Medien wirken kann. Auch entsprechende Telegramkanäle, in denen sich Millionen nur darauf verlassen, was die russische Seite sagt, folgen den immer gleichen Prinzipien der Propaganda.

Sehen Sie seit dem 24. Februar 2022 eine Zäsur, was das Ausmaß der Kriegspropaganda angeht, eine Veränderung gegenüber Kriegen und Krisen der Vergangenheit?

Propaganda verändert sich immer mit den jeweiligen Medien ihrer Zeit, ist diesen in der Regel sogar voraus. Im Ersten Weltkrieg beispielsweise ließen sich Millionen Menschen von simplen Collagen oder einfachsten Bildbearbeitungen täuschen, die wir heute, weil wir sie gewohnt sind, sofort entlarven können. Jetzt bereiten uns sogenannte Deepfakes Schwierigkeiten. In ein paar Jahren werden wir darüber schmunzeln – oder je nachdem uns erschrecken – wie leicht wir manipuliert worden sind, weil die Medien wieder ganz andere Techniken zur Verfügung haben. Es ist also kein Wunder, dass Kriegspropaganda sich heute an unserem global vernetzten und digitalisierten Alltag orientiert. So wie wir eben heute zu jeder Zeit theoretisch mit jedem Menschen an jedem Punkt der Erde kommunizieren können, versucht auch Propaganda jeden überall zu erreichen und für sich zu gewinnen. Wir sprechen daher von Informationskriegen, an denen so gesehen alle teilhaben, unabhängig von den Orten, an denen die Bomben fallen.

Christian Hardinghaus
Christian HardinghausMichael Rasper

Was den aktuellen Stand der natürlich von allen Seiten betriebenen Kriegspropaganda im Zusammenhang mit dem russischen Einmarsch in der Ukraine betrifft, so ist mir aufgefallen, dass es auf westlicher Seite zu einer Art Osmose gekommen ist. Die westliche Sicht auf das Kriegsgeschehen ist mit der ukrainischen und der dort verfolgten PR-Strategie verschmolzen, mit gravierenden Folgen für die Annahmen über den Verlauf dieses Konfliktes. Würden Sie dieser Einschätzung zustimmen?

Dem stimme ich zu, würde aber nicht von PR sprechen, sondern es ist genauso Propaganda, wenngleich die Ukraine sich anderer Narrative und Inhalte bedient als Russland. Kiew muss darauf bedacht sein, dass die Europäer sich verantwortlich fühlen, daher wird ständig betont, dass der Krieg für die gesamte europäische Freiheit geführt werde. Beide Seiten lügen für ihre Ziele, das sieht man zum Beispiel an den komplett auseinanderklaffenden Angaben über Opferzahlen. Wenn wir hier also die ukrainische Sicht immer für die Wahrheit halten, müssten wir ständig annehmen, ihr Sieg stünde kurz bevor – ja, wenn wir jetzt nur noch diese oder jene Waffe liefern würden. Wir müssen uns immer darüber bewusst sein, dass wir Täuschungen unterlegen sein könnten. Ein Regierungsverantwortlicher, der nach einem Ereignis wie der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines oder dem Staudamm von Kachowka sofort die Erklärung der Ukraine übernimmt, nach der Russland verantwortlich für alles sei, kann seinem Land erheblichen Schaden, sollte später anderes bekannt werden. Warum also halten sich Politiker in dieser Zeit nicht an das, was sie uns sonst immer allen anraten? Warten Sie in Ruhe die Ermittlungen ab und spekulieren Sie nicht!

Haben sich westliche und russische Methoden der Beeinflussung angenähert oder sind dabei, dieses zu tun?

Die Grundformen und Methoden von Propaganda sind sowieso überall gleich. Allerdings sind Russland, aber auch die Ukraine technisch viel besser ausgerüstet und vorbereitet. In Deutschland scheint man völlig überfordert davon zu sein, was ein Informationskrieg überhaupt bedeutet. Offensichtlich glaubt man immer noch, durch die Sperrung von einschlägigen Nachrichtenseiten könne man Manipulationen verhindern. Das Gegenteil ist der Fall, jegliche Form von Zensur begünstigt heute die Propaganda, die man versucht zu verhindern. Es entspricht dann Putins Narrativ, dass der Westen genauso zensieren würde wie sein Land. Er bekommt quasi immer wieder Steilvorlagen geliefert und kann diese wieder in seiner Nachrichtenkanäle einbauen, die wahrscheinlich nach Sperrung häufiger geschaut werden als jemals zuvor. 

Sie plädieren für einen besseren Journalismus, angesichts der grassierenden Medien-Manipulation. Wie könnte dieser aussehen? Hat die Digitalisierung in der Berichterstattung zu einer Provinzialisierung geführt, welche anfällig ist für Manipulation?

Ich beobachte unabhängig vom Ukraine-Krieg und schon lange davor, dass unsere Medien zu unkritisch geworden sind und zu regierungsnah berichten. Sie sprechen im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr die Stimme des Volkes, hinterfragen zu zaghaft politische Entscheidungen, nicht mal, wenn sie nachweislich gegen den Mehrheitswillen im Volk getroffen werden. Das Problem liegt nicht bei den einfachen Journalisten. Ich bin ja selbst einer davon. Viele, vor allem diejenigen, die in einer Festanstellung arbeiten, würden gerne anders, freier, mutiger berichten, können sich aber nach oben hin nicht durchsetzen. Im Grunde geht es Journalisten nicht anders als allen anderen. Die Menschen trauen sich zunehmend seltener, ihre Meinung offen zu sagen, wenn diese zu weit von der Mitte des Overton-Fensters verortet werden könnte. Für den Journalismus ist das natürlich besonders fatal, denn so kann er seinen Grundstatuten selbst nicht mehr nachkommen. Wir alle müssen also lernen, mutiger zu sein, damit sich im Gesamten, was ändert.

Was sollten wir also wissen, damit wir uns nicht täuschen lassen?

Wir sollten damit beginnen, uns bewusst zu werden, dass wir getäuscht werden. Jeder von uns auf die eine oder andere Weise, von dem ein oder anderen Medium, von der ein oder anderen Ideologie. Wer bereit ist, dem entgegenzuwirken, dem verrate ich in meinem Buch praxisnah mindestens 75 Methoden, mit denen man propagandistische Techniken entlarven kann. Die Voraussetzung ist der Willen dafür und die Bereitschaft, einzusehen, dass man selbst nicht unbedingt immer auf der richtigen Seite liegt.

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