Bundesanwaltschaft

Berlin als Tummelplatz für die Reichsbürgerszene

Reichsbürger und Selbstverwalter haben oft große Netzwerke. Sie überziehen die gesamte Bundesrepublik, die sie gern abschaffen möchten.

Eine Person wird von Polizisten in Karlsruhe aus einem Hubschrauber gebracht. 
Eine Person wird von Polizisten in Karlsruhe aus einem Hubschrauber gebracht. dpa/Uli Deck

Das mutmaßliche Reichsbürger-Netzwerk, das von der Polizei am Mittwoch zerstört wurde, überspannte die gesamte Bundesrepublik. Und so erscheint es fast folgerichtig, dass seine Verbindungen auch nach Berlin reichten. Denn die Hauptstadt ist ein Tummelplatz für sogenannte Reichsbürger, die die Bundesrepublik beseitigen wollen.

3000 Polizisten waren am Morgen zu einer Großrazzia gegen eine mutmaßliche Terrorgruppe ausgerückt, die angeblich Umsturzpläne gehegt haben soll. Bei einem der größten Polizeieinsätze gegen Extremisten in der Geschichte der Bundesrepublik wurden 25 Personen auf Geheiß des Generalbundesanwaltes festgenommen. Acht kamen bislang in Untersuchungshaft, darunter der Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß aus Hessen, der als Rädelsführer gilt.

In Untersuchungshaft kam auch eine Berlinerin: Birgit Malsack-Winkemann. Polizisten durchsuchten am Morgen ihr Haus und Lagerräume in Kreuzberg. Die 58-Jährige war in der letzten Legislaturperiode Bundestagsabgeordnete der AfD und ist von Beruf Richterin. Am Mittwoch musste sie selbst vor einen Richter treten, am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, wo ihr der Haftbefehl verkündet wurde.

Sie gehört nun aus Sicht der Bundesanwaltschaft, wie auch die anderen Festgenommenen, einer terroristischen Vereinigung an, die den Umsturz des Staates vorbereitet haben soll. Dem Vernehmen nach war Birgit Malsack-Winkemann angeblich als „Justizministerin“ eines neu zu gründenden Staates vorgesehen.

Justizsenatorin bezeichnet Richterin als „brandgefährliche Person“

Im März war sie in den Richterdienst zurückgekehrt und arbeitete dann am Berliner Landgericht. Die Berliner Senatsjustizverwaltung und Senatorin Lena Kreck (Linkspartei) wollten Malsack-Winkemann in den Ruhestand versetzen. Sie sei als Richterin nicht mehr unvoreingenommen, argumentierten sie. Malsack-Winkemann habe im Bundestag wiederholt und öffentlich Flüchtlinge ausgegrenzt und wegen ihrer Herkunft herabgesetzt und sich in Debatten und im Internet mit konstruierten, offensichtlich falschen Behauptungen zu Flüchtlingen geäußert.

Malsack-Winkemann sagte damals, sie habe die Aufgaben getrennt und nach ihrem Ausscheiden aus dem Bundestag „sofort reagiert und davon Abstand genommen“. Das Dienstgericht für Richter lehnte ihre Versetzung in den Ruhestand ab mit Verweis auf die vom Grundgesetz garantiere Redefreiheit im Bundestag. Die Entscheidung vom vergangenen Oktober ist noch nicht rechtskräftig.

Jetzt, nach der Festnahme, bezeichnete Justizsenatorin Kreck Birgit Malsack-Winkemann als „brandgefährliche Person“, die als Richterin auf keinen Fall mehr tätig sein dürfe. Sie werde dafür kämpfen, dass die Richterin nicht nur ihr Amt verliere, sondern auch kein Ruhegehalt bekomme. „Wir werden alle Instrumente ausschöpfen, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst zu entfernen.“

Bestürzt äußerte sich die Berliner AfD-Vorsitzende Kristin Brinker über die Festnahme der Richterin. „Wir sind alle überrascht“, sagte Brinker. „Der Verdacht wiegt sehr schwer.“ Allerdings gelte auch für Malsack-Winkemann zunächst die Unschuldsvermutung, sagte Brinker. „Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, wäre sicher ein Parteiausschlussverfahren die Folge.“

AfD-Chefin: Auch für Malsack-Winkemann gilt die Unschuldsvermutung

Berlins Innensenatorin Iris Spranger betont, dass Berlin die weiteren Ermittlungen des Generalbundesanwalts vollumfänglich unterstützen werde. „Die heutigen Durchsuchungen zeigen einmal mehr“, sagt sie, „welche Bedrohung von den Anhängerinnen und Anhängern der ‚Reichsbürgerszene‘ ausgeht.“ Deren kruden Vorstellungen gingen oft mit Verschwörungserzählungen einher. „Sie sind eine toxische Mischung, aus der sich konkrete Gefährdungen für unsere Demokratie entwickeln.“ 

Ob der verhafte Prinz aus Hessen und die Richterin aus Berlin zusammen mit den anderen 23 Beschuldigten in der Lage gewesen wären, die Bundesrepublik Deutschland wegzuputschen, dürfte sich tatsächlich erst vor Gericht zeigen.

Selbstverwalter, Druiden und ein „König von Deutschland“

Reichsbürger und sogenannte Selbstverwalter sind allerdings des Öfteren bewaffnet, wie sich bei früheren Polizeieinsätzen zeigte. Sie haben eine Affinität zu Verschwörungserzählungen und halten die Bundesrepublik für ein illegales Konstrukt. Der Verfassungsschutz kennt in Berlin 670 Reichsbürger und Selbstverwalter. 150 davon gelten als rechtsextremistisch.

Dabei handelt es sich um ein äußerst heterogenes Spektrum. Einige Gruppierungen erstellen Fantasie-Personalausweise, andere aus der Szene erklären ihr Grundstück zu exterritorialem Gebiet – wie etwa ein gelernter Koch, der sich „König von Deutschland“ nennt und in allen Bundesländern nach Immobilien sucht. So soll er auch versucht haben, die ehemalige FDJ-Jugendhochschule am Bogensee nördlich von Berlin zu erwerben.

Vor allem am Anfang der Corona-Proteste beteiligten sich Reichsbürger-Gruppen an den Demonstrationen. So stürmten aus einer benachbarten Reichsbürger-Kundgebung im August 2020 mehrere Hundert Teilnehmer die Treppe zum Reichstag.

Im März 2020 wurde die von Berlin aus gesteuerte Gruppierung „Geeinte deutsche Völker und Stämme“ verboten. Sie hatte aggressive Schreiben an staatliche Stellen und Privatpersonen gerichtet, darin die „Reaktivierungen von Hoheitsgebieten“ erklärt und die Übergabe von Amtsgebäuden an die Gruppierung gefordert. Bei der bundesweiten Razzia, darunter in Berlin, stellte die Polizei Schrotflinten und Macheten sicher.

2016 zerschlug die Bundesanwaltschaft ebenfalls schon ein bundesweites Reichsbürger-Netzwerk, unter anderem bei Heidelberg und in Berlin-Wedding. Bei der Razzia nahm die Polizei einen 62-Jährigen fest, der sich als „keltischer Druide“ bezeichnete. Der frühere Versicherungsvertreter rief zur Vernichtung von Juden und Muslimen auf.