Kolumne Ostbesuch (6)

Ungeklärte Wohnungseinbrüche in Sachsen: Wie Nazi-Opfer zu Tätern gemacht werden

Weihnachtsfreunde machen schockierende Entdeckungen in ihren Wohnungen. Jemand verziert ihre Schwibbögen mit Nazisymbolik. Was ist faul im Freistaate Sachsen?

Von Berlin nach Chemnitz, Ostbesuch, 263 km
Von Berlin nach Chemnitz, Ostbesuch, 263 kmBerliner Zeitung/Pajović/Amini

Irgendwas scheint faul zu sein im Freistaate Sachsen, wo es in den vergangenen Vorweihnachtsjahren zu einer bislang ungeklärten Serie von Wohnungseinbrüchen kam, bei denen vor allem ahnungslosen Männern dekorativer Nazischeiß in die Schwibbögen geschoben worden ist. Da die traditionell auf dem linken Auge blinde Polizei Sachsen nicht den wahren Täter ermitteln konnte, mussten sich die Opfer des Schwibbogenschiebers wegen der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor Gericht verantworten. Mitte Mai, wenn in Sachsen die Vorweihnachtszeit beginnt, traf es einen 75-jährigen Rentner aus Marienberg, in dessen Fenster jemand heimtückisch einen Schwibbogen mit SS-Runen so sichtbar platziert hatte, dass ein Streifenpolizist ein Foto schießen konnte.

Auch andere sächsische Schwibbogenbesitzer mussten bereits schockierende Entdeckungen in ihren Wohnungen machen. In Chemnitz tauchte mal ein Schwibbogen mit Hakenkreuz, SS-Runen und Auschwitz-Tor aus dem Nichts auf, in Dippoldiswalde wurde ein Hitler im Fenster gesichtet und in Reinsdorf schlug der Schwibbogenschieber so dreist dazu, dass ein 16-Jähriger lange nichts von der Nazisymbolik gemerkt hatte.

Aus Reinsdorf stammt auch der bislang brisanteste Fall, bei dem die Polizei erneut nur eine Ermittlungsrichtung kannte und die Justiz wissentlich alle alternativen Fakten außer Acht ließ. In der Wohnung eines 61-Jährigen fanden Beamte nicht nur einen Schwibbogen mit Hakenkreuz, sondern auch einen Mehrladekarabiner, einen geladenen Trommelrevolver, vier weitere Handfeuerwaffen, eine Mörsergranate, zwei Panzerabwehrgranaten und Munition verschiedener Kaliber. Dass ein unschuldiger Mann wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz mehrere Jahre ins Gefängnis kommen könnte, ist ein Justizskandal und ein weiteres Indiz für die besorgniserregende Entwicklung in Sachsen.

Dieser gezielten Rufmordkampagne gegen unbescholtene Weihnachtsfreunde stellen sich einzig die „Freien Sachsen“ entgegen, eine Partei, die vom traditionell auf dem linken Auge blinden Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft wird. Doch auch für den eingangs erwähnten Rentner aus Marienberg kam jede Hilfe zu spät. Obwohl er nicht wusste, wie die SS-Runen auf seinen Schwibbogen gekommen waren, wurde er zu einer Geldstrafe in Höhe von 1500 Euro verurteilt. Die entlastenden Worte seines Anwalts Martin Kohlmann – „Wir wissen nicht, wem der Schwibbogen gehört“ – wurden vom Gericht mutwillig überhört.

Das sächsische Schwibbogenkontrollgesetz

Kohlmann ist der Vorsitzende der „Freien Sachsen“, als Anwalt vertritt er sogenannte Holocaustleugner, Rechtsterroristen und Reichsbürger und ist bereits selbst zweimal wegen Volksverhetzung verurteilt worden. Zuletzt vor ein paar Tagen in Chemnitz, und natürlich war es wieder ein „klares Fehlurteil“, wie Kohlmann, früher Landesvorsitzender der Republikaner, nach der Verhandlung richtigstellte.

Was die Taten des Schwibbogenschiebers zur Folge haben könnten, das wussten die „Freien Sachsen“ bereits Ende September. In einem offenen Brief an die sächsischen Landräte warnten sie davor, dass es nur noch eine Frage von Wochen sei, „bis die heimischen Schwibbögen in unseren Fenstern als Feindbild auserkoren und mit entsprechenden Verboten überzogen werden“. Wer bislang nichts vom sächsischen Schwibbogenkontrollgesetz gehört hat, glaubt wohl an den Weihnachtsmann.


In der Kolumne „Ostbesuch“ berichtet Paul Linke alle zwei Wochen aus seinem Zwischenleben in Chemnitz und Umgebung. Sachsen sucks? Von wegen!