Kriminalität

Berliner Staatsanwalt zum Grünen Gewölbe: „Der Deal gibt Kriminellen Auftrieb“

Wegen des Juwelen-Diebstahls in Dresden müssen die Remmos aus Berlin noch nicht ins Gefängnis. Am Dienstag endete ein Prozess voller Merkwürdigkeiten.

Verteidiger und Angeklagte warten am Dienstagmorgen in Dresden auf die Urteilsverkündung.
Verteidiger und Angeklagte warten am Dienstagmorgen in Dresden auf die Urteilsverkündung.Sebastian Kahnert/dpa

Der Prozess wegen des Einbruchs im Dresdner Grünen Gewölbe ist zu Ende – ein Mammut-Prozess voller Merkwürdigkeiten.

Der Einbruch in das Schatzkammermuseum am 25. November 2019 war einer der dreistesten Diebstähle in Deutschland. Einbrecher, die dem bekannten arabischstämmigen Remmo-Clan angehören, erbeuteten 21 Schmuckstücke aus barocken Juwelengarnituren des 18. Jahrhunderts. Sie haben einen Versicherungswert von 116,8 Millionen Euro.

Obwohl die aus Berlin-Neukölln stammenden Täter Menschenleben gefährdeten und obwohl mehrere Stücke noch immer verschwunden und die zurückgegebenen Schmuckstücke schwer beschädigt sind, verkündete die Strafkammer des Dresdner Landgerichts am Dienstag milde Strafen: Drei 26, 27 und 29 Jahre alte Männer erhielten sechs Jahre und drei Monate, fünf Jahre und zehn Monate sowie sechs Jahre und zwei Monate. Einer bekam vier Jahre und vier Monate Jugendstrafe. Ein 24-Jähriger erhielt sechs Jahre, unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung. Ein 25-Jähriger wurde freigesprochen, weil er zur Tatzeit ein Alibi hatte: Er war wegen Halsschmerzen in der Notaufnahme des Krankenhauses Neukölln.

Das Gericht befand die anderen Angeklagten besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Diebstahls mit Waffen, Sachbeschädigung und vorsätzlicher Brandstiftung für schuldig. Dafür hätten jedem Einzelnen bis zu 15 Jahre Haft gedroht.

Dass das Gericht Milde zeigte, liegt an einem „Deal“, also einer Verständigung zwischen Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung: Die Juwelen sollten zurückgegeben werden und die Angeklagten sollten umfassende Geständnisse ablegen. Im Gegenzug sollten sie mildere Strafen erhalten und bis zum eigentlichen Haftantritt auf freien Fuß bleiben können. Die Haft müssen sie dann auch nicht in Sachsen antreten, was für die Remmos eine Horrorvorstellung wäre, sondern im vertrauten Berliner Gefängnis.

Und so wurden der Polizei im Dezember in einer Berliner Anwaltskanzlei die meisten gestohlenen Juwelen präsentiert. Bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden jubelte man; Chefin Marion Ackermann sprach von einem „Weihnachtswunder“.

Weiterhin verschwunden: Die Große Brustschleife der Königin Amalie Auguste ist mit 650 Brillanten besetzt.
Weiterhin verschwunden: Die Große Brustschleife der Königin Amalie Auguste ist mit 650 Brillanten besetzt.Polizeidirektion Dresden

Allerdings sind viele der zurückgegebenen Stücke rostig, zerkratzt oder verbogen. Und drei Stücke bleiben verschwunden: die Epaulette unter anderem mit dem „Sächsischen Weißen“, einem 49,84 Karat schweren Brillanten, der sich seit 1728 in sächsischem Besitz befand. Vermisst wird auch die Große Brustschleife der Königin Amalie Auguste. Sie ist von 1782 und mit 650 Brillanten besetzt. Und es fehlt das mit 38 großen Diamanten besetzte Collier der Königin Amalie Auguste.

Schmuckstücke sind unverkäuflich – wenn sie komplett sind

Zumindest auf dem legalen Markt können die Kriminellen solche Stücke nicht verkaufen. Denn das Diebesgut kann auf den Internetseiten von BKA und Interpol angesehen werden. Auch an ihren einzigartigen Schliff wären herausgebrochene Diamanten identifizierbar. Allerdings sagte ein Makler für Kunstversicherungen früher schon einmal dieser Zeitung: „Wenn man einen Vierzigkaräter schleift, dann bleiben noch 30 übrig.“

Am ersten und zweiten Weihnachtsfeiertag im vergangenen Jahr suchten 20 Polizeitaucher einen 150 Meter langen Abschnitt des Neuköllner Schifffahrtskanals nach der Klinge des Degens aus der Diamantrosengarnitur ab – allerdings vergeblich.

Trotz der Rückgabe eines Großteils des Schmucks beziffert der Freistaat Sachsen den Beuteschaden auf mehr als 88,8 Millionen Euro. Allerdings wollte das Gericht nicht über Schadenersatz entscheiden. Sachsen muss seine Forderung in einem Zivilprozess durchsetzen.

Rund drei Jahre nach dem Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden haben die Ermittler einen Großteil der Beute gefunden.
Rund drei Jahre nach dem Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden haben die Ermittler einen Großteil der Beute gefunden.Sebastian Kahnert/dpa

Die Täter, die nach Einschätzung von Ermittlern über eine gewisse „kriminelle Intelligenz“ verfügen, hatten den Coup gründlich vorbereitet. Mehrmals kletterten sie über den Zaun, um das Einstiegsfenster zu inspizieren – von Wachleuten und den funktionsuntüchtigen Fassadenscannern unbehelligt und unentdeckt.

Am Tattag zündeten die Täter in der Altstadt einen Verteilerkasten an. Dadurch gingen in der Umgebung und im Residenzschloss mit der Schatzkammer die Lichter aus. Auch die Polizei war abgelenkt. Mit einer hydraulischen Schere, die einer der Täter bei einer Firma in Erlangen entwendet hatte, durchtrennten sie das Fenstergitter des Museums. Mit Äxten zertrümmerten sie im Juwelenzimmer die Vitrinen, in denen die Brillanten lagen. Dann entleerten sie einen Feuerlöscher, um ihre Spuren zu verwischen.

Mit ihrer Beute verschwanden sie in einem Audi A6. In einer der Tiefgarage eines Wohnhauses zündeten sie ihn an, um ihre Spuren zu vernichten. In den Wohnungen darüber schliefen zu der Zeit Menschen, von denen mehrere Rauchvergiftungen erlitten. In dem ausgebrannten Audi fanden die Ermittler einen geladenen Revolver und eine Pistole mit Schalldämpfer. Von der Tiefgarage aus setzten die Diebe ihre Flucht in einem Mercedes fort, den sie mit Folie als Taxi getarnt hatten. Am Auto hatten sie ein gefälschtes Kennzeichen.

DNA am Tatort und am Auto überführte die Täter

Wahrscheinlich waren noch weitere Beteiligte in die Tat verwickelt, etwa beim Auskundschaften der Räumlichkeiten. Doch dazu schwiegen die Angeklagten vor Gericht.

Die Einbrecher hinterließen am Tatort und an ihrem „Taxi“ ihre DNA, über die erste Tatverdächtige identifiziert werden konnten. Bei mehreren Razzien wurden dann die Verdächtigen in Neukölln festgenommen.

Polizeitaucher suchten an den beiden Weihnachtsfeiertagen im Neuköllner Schifffahrtskanal.
Polizeitaucher suchten an den beiden Weihnachtsfeiertagen im Neuköllner Schifffahrtskanal.Christophe Gateau/dpa

In seiner Begehungsweise ist der Coup ähnlich dreist, wie der Diebstahl der hundert Kilogramm schweren Goldmünze aus dem Berliner Bode-Museum im März 2017 – ebenfalls ausgeführt von Angehörigen des Remmo-Clans. Damals waren die Täter über die S-Bahn-Gleise gelaufen und durch ein Fenster ins Museum gestiegen. Mit Rollbrett und Schubkarre transportierten sie die Münze ab.

Zwei der Täter waren später auch in Dresden dabei – sie nutzten eine Prozesspause im Goldmünzen-Prozess für einen Abstecher zum sächsischen Staatsschatz.

Angeklagte kommen frei

Die Beweisaufnahme des am Dienstag zu Ende gegangenen Prozesses dauerte fast 50 Verhandlungstage. Trotz des „Deals“ kam es zu Verzögerungen. Ein Grund dafür war ein aufwendiges Frage-Antwort-Spiel: Die Angeklagten sammelten jeweils einige Fragen schriftlich und antworteten erst nach einer Pause in der Verhandlung und Rücksprache mit ihren Verteidigern.

Gleichwohl verfügte das Gericht am Dienstag die Entlassung von drei der Angeklagten und setzte die Haftbefehle gegen Meldeauflagen außer Vollzug. Ihre verbleibende Haftstrafe, auf die die Untersuchungshaft angerechnet wird, müssen sie nach Rechtskraft des Urteils zu einem späteren Zeitpunkt in Berlin verbüßen. Zwei Angeklagte bleiben im Gefängnis, weil sie wegen des Diebstahls im Berliner Bode-Museum einsitzen.

So mancher schüttelt über den „Deal“ den Kopf. Es bleibe ein fader Beigeschmack, wenn man bedenke, wie viel Schaden die Täter angerichtet und dass sie mindestens mit ihrer Brandstiftung in der Tiefgarage Menschenleben gefährdet hätten, sagte der Linke-Fraktionschef im sächsischen Landtag, Rico Gebhardt. Und der AfD-Abgeordnete Thomas Kirste schrieb auf Facebook: „Da die Täter bereits einige Zeit Untersuchungshaft hinter sich haben, dürften sie in Kürze das Gefängnis verlassen können.“ Den ausgehandelten Deal bezeichnete er als Mogelpackung. „Die Täter erwartet nun dank des milden Urteils ein Leben in Saus und Braus.“

Weiterhin verschwunden: die Epaulette mit mehreren großen Diamanten, darunter dem „Sächsischen Weißen“ mit 49,84 Karat.
Weiterhin verschwunden: die Epaulette mit mehreren großen Diamanten, darunter dem „Sächsischen Weißen“ mit 49,84 Karat.polizeidirektion dresden

Der Vorsitzende der Vereinigung Berliner Staatsanwälte, Ralph Knispel, kritisiert die Absprache ebenfalls. Der Deal sende ein negatives Signal, sagte er der Berliner Zeitung. Die Geständnisse seien lediglich in wenigen Worten erfolgt, ohne Dritte zu belasten. Die Diebesbeute sei teils erheblich beschädigt zurückgegeben worden. „In Berlin sind ähnliche Vereinbarungen mit Angeklagten der Remmo-Familie bisher nicht zustande gekommen, weil die Staatsanwaltschaft höhere Bedingungen gestellt hat“, so Oberstaatsanwalt Knispel. Die Vereinbarung in Dresden werde kriminellen Kreisen Auftrieb geben und führe zu Frustration bei der Polizei, die mit großem Engagement gegen kriminelle Strukturen vorgehe.

Der Prozess ist zu Ende, doch viele Fragen bleiben: Gab es weitere Mittäter? Warum fiel es niemandem auf, dass die Einbrecher vor der Tat mehrfach nachts über den Zaun geklettert waren? Warum hatten die Videoaufnahmen aus dem Juwelenzimmer eine so schlechte Qualität? Warum gelangten die Täter so einfach in die Räume? Das Sicherheitskonzept sei an vielen Stellen angepasst worden, ließ Sachsens Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) am Dienstag mitteilen.

Zu den Merkwürdigkeiten des Falls gehört im Übrigen auch die Offerte eines Niederländers, der im Dezember 2021 in Antwerpen anbot, an der Rückgewinnung des in Dresden entwendeten Bruststerns des polnischen Weißen Adler-Ordens mitzuwirken. Die Staatlichen Kunstsammlungen übergaben ihm 40.000 Euro für den Rückkauf. Damit machte er sich davon. Inzwischen wurde er gefasst und sitzt in Untersuchungshaft. Im März klagte die Staatsanwaltschaft Dresden den einschlägig bekannten Kriminellen wegen gewerbsmäßigen Betrugs an.