Angelique D. war noch nie im Urlaub. Ein paar kurze Städtereisen hat sie gemacht, mehr nicht. „Mein Traum war es immer, mal eine Flugreise an meinem Geburtstag zu machen, wenn es mir besser geht“, sagt sie. Doch momentan ist ihr Wunsch in weite Ferne gerückt. „Urlaub kann ich mir bei den Preisen erst recht nicht leisten.“
Angelique D., 54, hat in ihrem Leben mit schweren Schicksalsschlägen fertig werden müssen. Ihr Ehemann starb 2006 mit 43 Jahren an Krebs. Kurz danach erkrankten auch zwei ihrer Söhne. Sie waren erst zwölf und 14 Jahre alt, als sie starben.
Die Probleme sind ihr auf die Wirbelsäule geschlagen. „Ich habe kein so breites Kreuz, um all die Last zu tragen“, sagt sie leise. Vor zehn Jahren hatte sie kurz hintereinander drei schwere Bandscheibenvorfälle, zeitweise war sie sogar gelähmt. „Ich musste von den Pflegerinnen in der Reha im Rollstuhl unter die Dusche gefahren werden und konnte in meinem Bett nicht mehr aufrecht sitzen.“
Ihren Job als Sachbearbeiterin im öffentlichen Dienst kann Angelique D. seitdem nicht mehr bewältigen. Ein Jahr nach ihrer Erkrankung musste sie eine Erwerbsunfähigkeitsrente beantragen. „Der Job hat mir großen Spaß gemacht, und ich hatte tolle Kollegen. Aber seit meiner Operation kann ich nicht mehr lange sitzen und stehen“, erzählt sie. Ein Teil ihrer Wirbelsäule musste versteift werden, Angelique D. muss sich immer noch mehrmals am Tag hinlegen und ausruhen.
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Sie hat sich mit dieser Situation arrangiert, wie sie sagt. Sie lebt allein und bescheiden in ihrer Zweizimmerwohnung in Lichtenberg. „Ich versuche, mich einzuschränken und kann sogar Auto fahren. Das ist mir sehr wichtig, weil ich so schlecht laufen kann und Schmerzen bekomme, wenn ich zu lange stehe.“ Ohne eigenes Auto sei sie in ihrem schlechten körperlichen Zustand aufgeschmissen.
Sie macht sich große Sorgen um ihre Existenz
In zehn Jahren, wenn sie das reguläre Rentenalter erreicht hat, fällt ihre Betriebsrente weg. Dann bleiben der Witwe nur noch 1500 Euro netto statt der 1700 Euro, die sie im Moment bekommt. Ein weiterer Einschnitt.
Bislang habe sie immer gedacht, sie komme schon irgendwie zurecht und werde es schaffen, nicht in die Altersarmut abzurutschen. Doch inzwischen ist Angelique D. mehr als skeptisch. „Seitdem die Preise so gestiegen sind, mache ich mir große Sorgen um meine Existenz. Ich fühle mich sehr allein und bemerke, dass ich mich auf die Politiker nicht mehr verlassen kann“, betont sie. Was heute zähle, könne morgen schon ganz anders sein.
Wo führt das alles hin? Das fragt sich Angelique D., wenn sie abends allein in ihrem Bett liegt. In solchen Momenten vermisst sie ihren Mann und die verstorbenen Söhne besonders. „Wir haben früher alle zusammengehalten. Jetzt muss ich für mich allein sorgen“, sagt sie.
Angelique D. hat noch einen erwachsenen Sohn und eine erwachsene Tochter, die mit ihrem Kind in Süddeutschland lebt und alleinerziehend ist. Man sieht sich nur selten. Sie könne sich die Fahrt bei den Spritpreisen momentan gar nicht leisten, sagt Angelique D. Bahnfahren komme auch nicht infrage, da ihr das Treppensteigen auf den Bahnhöfen schwer falle und die Aufzüge häufig kaputt seien.
Bis zum Beginn der Inflation sei sie ganz gut klargekommen. 530 Euro kostet die Zweizimmerwohnung, die 60 Quadratmeter hat, der Stellplatz für das Auto 100 Euro. Der monatliche Kredit kostet sie weitere 300 Euro. 100 Euro gibt sie gerade pro Monat für Benzin aus sowie 100 Euro für einen weiteren Kredit, den sie für einen Umzug aufnehmen musste.
Damit sie noch 200 Euro für Rücklagen behält, versucht sie, an Lebensmitteln zu sparen. „Ich gehe montags bis freitags in einer öffentlichen Betriebskantine essen. Dort erhalte ich für 2,80 Euro einen leckeren Eintopf. Der macht total satt. Manchmal leiste ich mir auch ein Fleisch-Gericht für 4,70 Euro. Wenn ich mir mal etwas gönnen möchte.“ 60 Euro gibt sie in etwa jeden Monat für ihr Mittagessen aus.
Günstige Pizza und Cola obendrauf: Sparen beim Ausflug nach Polen
Frühstück und Abendessen lässt sie meistens aus, um die Kosten für Lebensmittel so niedrig wie möglich zu halten. „Ich esse zwischendurch noch mal eine Banane oder einen Joghurt. Das reicht mir vor allem im Sommer aus.“
Mitunter macht sie auch einen Ausflug nach Polen. „Da kostet die üppig belegte Pizza mit 32er-Durchmesser nur 4,70 Euro und eine große Cola gibt es noch oben drauf.“ Außerdem kann sie dort gleich zur Maniküre und Pediküre gehen, das tut sie alle sechs bis acht Wochen. Beides zusammen kostet dort 32 Euro. „Dafür bekomme ich hier in Berlin noch nicht einmal eine Maniküre mit Gel-Lack.“ Sie brauche diese Behandlungen, die seien „Balsam für die Seele“, gerade jetzt. Wenn sie in Polen unterwegs ist, nutzt sie die Gelegenheit, um ihr Auto aufzutanken, die Spritpreise sind dort niedriger als in Deutschland.
Für Kosmetikartikel wie Shampoo und Klopapier zahlt Angelique D. rund 15 Euro monatlich sowie rund zehn Euro für ihre Hausrat- und Haftpflichtversicherung. Die Versicherung für ihr Auto kostet sie 141,37 Euro im Vierteljahr.
Ein Frust-Kauf: 87 Euro für ein Paar Sandalen
Auch an Kleidung versucht die 54-Jährige zu sparen. Doch das gelingt ihr nicht immer. „Ich habe gerade einen Frust-Kauf hinter mir und mir ein Paar Sandalen für 87 Euro gekauft, die ich mir eigentlich nicht leisten kann“, sagt sie. Das sei ärgerlich. Und doch: Sie habe einfach Trost gebraucht.
„Die soziale Ungerechtigkeit macht mich wütend. Ich bin nicht in der Lage, das Dreifache an Energiekosten zu zahlen, und viele meiner Mitmenschen auch nicht. Ich habe Angst, dass ich eines Tages hungern und frieren muss oder gar nicht mehr warm duschen kann“, sagt Angelique D. Die soziale Benachteiligung werde immer größer.
Wenn die Preise weiter so steigen, wird es mit den Rücklagen ein Problem werden, befürchtet sie. Sie hat sich daher einen Nebenjob zugelegt. Sie erwirbt günstig Gläser einer Fastfood-Kette und verkauft diese über das Internet weiter.
Einsam durch die Krise: Jeder kämpft für sich allein
Die limitierten Sonderausgaben gibt es beim Kauf eines Menüs des Schnellrestaurants dazu, viele Fans sammeln sie inzwischen. „Ich verkaufe die Serien immer zeitversetzt, wenn sie auf dem Markt nicht mehr zu kriegen sind. Dann mache ich den meisten Gewinn“, erklärt sie. In ihrem Wohnzimmerschrank stehen zahlreiche Verpackungen, die noch auf Abnehmer warten. Man muss sich zu helfen wissen.
Angelique D. liegt nachts oft wach und grübelt. Sie würde so gern in der Nähe ihrer Tochter wohnen, um diese bei der Betreuung des Kindes zu unterstützen. Doch einen weiteren Umzug kann sie nicht bezahlen. Und in der Stadt, in der ihre Tochter lebt, sind die Mieten noch höher als in Berlin. „Es tut mir so weh, dass ich in dieser Krise nicht für meine Tochter und mein Enkelkind da sein kann“, sagt sie. „Jeder, der keinen Partner oder keine Partnerin hat, kämpft jetzt für sich allein.“
* Alle Namen sind verändert, der Redaktion aber bekannt.









