Mobilität

Rätsel am Südkreuz: Was ist mit der leuchtenden Bahnsteigkante passiert?

Das Eisenbahn-Bundesamt hat sich kritisch geäußert. Irreführende Anzeigen dürfe es nicht geben, so die Aufsichtsbehörde. Die DB kündigt eine Neuerung an.

Da war sie noch in Betrieb: die leuchtende Bahnsteigkante am Gleis 1 im Bahnhof Südkreuz.
Da war sie noch in Betrieb: die leuchtende Bahnsteigkante am Gleis 1 im Bahnhof Südkreuz.Benjamin Pritzkuleit/Berliner Zeitung

Die Plakate an Gleis 1 des Bahnhofs Südkreuz machen neugierig. „Folge dem Licht“, empfiehlt die Deutsche Bahn (DB). „Smarter reisen mit unserer leuchtenden Bahnsteigkante.“ Doch die Leuchtfelder im Boden sind dunkel. Was ist mit dem Prestigeprojekt passiert? Jetzt kam heraus: Das Eisenbahn-Bundesamt (EBA) hat sich kritisch geäußert. „Widersprüchliche und irreführende Anzeigen sind zu vermeiden“, warnte die Aufsichtsbehörde. Die DB arbeitet an der Technik – und an einer Neuerung: Künftig wird das System auch in die S-Bahnen hineinschauen und Fahrgäste zählen.

Nicht mal ein Jahr ist es her, dass die LED am stadtauswärts führenden S-Bahn-Gleis erstmals eingeschaltet wurden. Im vergangenen Juli besuchten Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) das Südkreuz, einen von 16 Zukunftsbahnhöfen der DB. Eines der Projekte, das sich die Gäste während des gut bewachten Medientermins anschauten, war die leuchtende Bahnsteigkante im unteren Bereich des Bahnhofs, deren Probebetrieb begonnen hatte.

Rotes Blinken: Vorsicht, ein Zug fährt ein. Weißes Dauerlicht: Hier wird er nicht halten. Grün: Der Haltebereich befindet sich stattdessen hier. Das sind einige Beispiele dafür, was das Lichtleitsystem des Berliner Start-ups Siut, das 2018 bereits im Bahnhof Stuttgart-Bad Cannstatt erprobt worden ist, alles kann. Mit Lauflichtern, Blinken und Dauerlicht soll die Technik die Orientierung erleichtern und die Aufmerksamkeit erhöhen – vorausgesetzt, die Fahrgäste wissen, was gemeint ist. „Wir wollen ermitteln, ob das Einsteigen schneller und sicherer werden kann“, sagte Bahnchef Richard Lutz.

„Widersprüchliche und irreführende Anzeigen sind zu vermeiden“

Doch im Mai 2023 sah sich das Eisenbahn-Bundesamt dazu veranlasst, tätig zu werden. Damals hätten erneut Beschwerden und Hinweise auf funktionale Mängel bei der leuchtenden Bahnsteigkante die Behörde erreicht, teilte eine Sprecherin auf Anfrage der Berliner Zeitung mit. Noch im selben Monat sei es zu einer Vor-Ort-Kontrolle gekommen. „Dabei hat das EBA festgestellt, dass Züge, die im Vorfeld des Bahnhofs Südkreuz das Gleis wechselten, durch das System nicht korrekt erkannt wurden“, so das Bundesamt. In diesen Fällen habe die Bahnsteigkante fälschlicherweise angezeigt, dass am Gleis 1 ein Zug eintrifft – tatsächlich sei die S-Bahn jedoch am Gleis 2 eingefahren.

Ein Plakat wirbt am Gleis 1 des Bahnhofs Südkreuz für die leuchtende Bahnsteigkante.
Ein Plakat wirbt am Gleis 1 des Bahnhofs Südkreuz für die leuchtende Bahnsteigkante.Peter Neumann/Berliner Zeitung

Nach Informationen der Berliner Zeitung fand die Kontrolle am Vormittag des 19. Mai statt. Die Bahnsteigkante habe rund hundert Sekunden lang rot geblinkt, ohne dass etwas auf Gleis 1 passierte, hieß es. Die S-Bahn aus Richtung Yorckstraße sei schließlich am Gleis 2 eingerollt, das normalerweise stadtauswärts fahrenden S-Bahnen vorbehalten ist. Das rote Blinken sei eine falsche Anzeige gewesen.

Im Eisenbahn-Bundesamt zeigte man sich besorgt. „Bahnsteigkanten sind sensible Bereiche“, erklärte die Sprecherin. „Um die Sicherheit der Reisenden zu gewährleisten, sind inkonsistente, widersprüchliche und irreführende Anzeigen oder Signalisierungen grundsätzlich zu vermeiden.“ Deshalb habe die Behörde DB Station & Service darum gebeten, eine Stellungnahme abzugeben. Das Unternehmen habe daraufhin „den Betriebsversuch vorläufig eingestellt und die leuchtende Bahnsteigkante deaktiviert, um zunächst weitergehende Sicherheitsbetrachtungen anzustellen. Daran ist aus Sicht der Aufsichtsbehörde nichts zu beanstanden“, so das EBA.

Ab Mitte Juli soll die Technik auch die Auslastung der Züge anzeigen

Eine Bahnsprecherin erklärte, was an jenem Vormittag, als das Amt vor Ort war, zufällig passiert sei. „Eine S-Bahn hatte den Bahnhof Yorckstraße verlassen und den Sensor passiert, der die leuchtende Bahnsteigkante aktiviert“, sagte sie. Die LED am Gleis 1 begannen rot zu blinken. Doch kurz danach sei der Zug auf der Strecke liegengeblieben – und musste später am Gleis 2 einfahren.

Es könne in speziellen Fällen vorkommen, dass die LED am Gleis 1 rot blinkt, auch wenn der Zug stattdessen am Gleis 2 einfährt. Dies soll dazu beitragen, in diesen Lagen die Aufmerksamkeit zu erhöhen. „Für jede betriebliche Sondersituation beziehungsweise Fahrplanabweichung gibt es vorprogrammierte Lichtmuster“, so die Bahnsprecherin.

Die leuchtende Bahnsteigkante sei am 2. Juni abgeschaltet worden, weil Sensorik und Lichtmuster angepasst werden, erklärte sie. So soll die Technik künftig auch anzeigen, wie die einzelnen Wagen der einfahrenden S-Bahn ausgelastet sind. Dann wird der Sensor, der in einer entsprechenden Höhe angebracht ist, durch die Wagenfenster in die Züge hineinscannen und die Zahl der Fahrgäste feststellen.

Das System setzt die Daten dann in Licht um. So wurde es angekündigt: Grünes Licht soll ein ausreichendes Platzangebot signalisieren. Gelb bedeutet, dass es schon etwas voller ist. Orange weist auf ein eingeschränktes Angebot im entsprechenden Zugabschnitt hin. Ab Mitte dieses Monats werden die Fahrgäste das neue Angebot nutzen können, so die Sprecherin. Zuletzt hieß es, dass die Auslastungsanzeige zum 17. Juli aktiviert wird.

Da soll die leuchtende Bahnsteigkante dann schon eine Woche wieder funktionieren. „Wir gehen davon aus, dass sie am 10. Juli wieder eingeschaltet wird“, so die Bahn.

Am Alexanderplatz wurden blinkende Bahnsteigkanten wieder abgebaut

Der Fahrgastverband IGEB steht der Technik, die in diesem Fall Berichten zufolge mehrere Hunderttausend Euro gekostet hat, skeptisch gegenüber. Die unterschiedlichen Lichtsignale würden Reisende verwirren, das Geld wäre in anderen Bereichen besser angelegt, hieß es. In den S-Bahnhöfen Alexanderplatz und Friedrichstraße habe es nach deren Umbau in den 1990er-Jahren schon einmal blinkende Bahnsteigkanten gegeben – die aber nicht wie gewünscht funktionierten und wieder entfernt wurden.

„Bei der damaligen Erprobung wurden Leuchtstoffröhren eingesetzt. Die Technik war jedoch sehr anfällig, sodass der Testbetrieb nach wenigen Monaten abgebrochen wurde“, erklärte die Bahn. Das System am Südkreuz mit seiner „innovativen LED-Technik und intelligenten Lichtsteuerungssoftware“ sei eine Neuentwicklung.