An Gleis 1 des Bahnhofs Südkreuz macht sich Spannung breit. „Vorsicht, er kommt von hinten“, sagt jemand. Und da ist er auch schon, der S-Bahn-Zug nach Bernau. Doch Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) sind nicht wegen der S2 zu dem Bahnhof am Südrand der Berliner Innenstadt gekommen.
Bei dem Fototermin am Donnerstag geht es um die Bahnsteigkante, die in verschiedenen Farben leuchtet und blinkt. Die Betonsteine mit den eingebauten LEDs sollen Fahrgäste warnen und informieren. Nun hat ein einjähriger Probelauf begonnen.
Rotes Blinken: Vorsicht, ein Zug fährt ein. Weißes Dauerlicht: Hier wird er nicht halten. Grün: Der Haltebereich befindet sich stattdessen hier. Das sind einige Beispiele dafür, was das Lichtleitsystem des Berliner Start-ups Siut, das in den vergangenen Monaten an Gleis 1 im unteren Bereich des Bahnhofs Südkreuz eingebaut worden ist, alles kann. Mit Lauflichtern, Blinken und Dauerlicht soll die leuchtende Bahnsteigkante die Orientierung erleichtern und die Aufmerksamkeit erhöhen. „Wir wollen ermitteln, ob sie das Einsteigen schneller und sicherer machen kann“, sagt Bahnchef Richard Lutz, der am Donnerstagmorgen ebenfalls zum gut bewachten Medientermin gekommen ist.
Ein Ampelsystem wird über die Auslastung der S-Bahnen informieren
In einer der nächsten Phasen, die noch in diesem Jahr beginnt, soll das System den Fahrgästen an diesem Gleis auch zeigen, wie voll die Wagen der nächsten einfahrenden S-Bahn sind. „Dann wird die leuchtende Bahnsteigkante auch über die Auslastung informieren, damit alle einen Sitzplatz finden“, sagt Christopher Schubert, Projektleiter bei der Deutschen Bahn (DB).
Vorausgesetzt, die Reisenden verstehen, was die Lichtfarben bedeuten. Grünes Licht soll ein ausreichendes Platzangebot signalisieren. Gelb bedeutet, dass es schon etwas voller ist. Orange weist auf ein eingeschränktes Angebot im entsprechenden Zugabschnitt hin. Ein Sensor, der im benachbarten S-Bahnhof Yorckstraße die Auslastung der S-Bahnen zum Südkreuz und die Zuglänge ermittelt, unterstützt das System, erklärt Schubert. Die Daten werden in Licht umgesetzt.
Im Berlin-Brandenburger Regionalverkehr hat die DB schon einmal eine andere Auslastungsinformation erprobt. Elektronische Anzeigen an Doppelstockwagen sollten darüber informieren, wie voll es drinnen ist. Doch der Versuch versandete.
Mit der App SafeNow können Bahnhofsnutzer unauffällig Hilfe rufen
Brandneu ist das LED-Leitsystem im Südkreuz nicht. Im Bahnhof Stuttgart-Bad Cannstatt wurde es 2018 bereits erprobt. „Nun hat die leuchtende Bahnsteigkante die Serienreife erreicht“, erklärte der Projektleiter von der Bahn. Der Test am Südkreuz soll den Einsatz in weiteren Bahnstationen vorbereiten helfen. Der Berliner Fern-, Regional- und S-Bahnhof, der laut DB im Jahr 2019 täglich im Schnitt von 180.000 Menschen genutzt wurde, gilt seit Langem als Testlabor für neue Technik und Dienstleistungen.
„Hier gibt es innovative Projekte, die dazu beitragen soll, die Sicherheit zu erhöhen“, sagte Innenministerin Faeser. „Damit wir sie hoffentlich auch auf viele andere Bahnhöfe ausrollen können.“ Am Donnerstag wurde auch die neue App Safe Now fürs Mobiltelefon vorgestellt. „Damit können Menschen Hilfe rufen, ganz einfach durch das Loslassen eines Buttons“, erläuterte die SPD-Politikerin. Der Alarm, der sich unauffällig am Handy auslösen lässt, geht im Sicherheitslabor des Bahnhofs ein.
Zahl der Videokameras in deutschen Bahnhöfen soll um 2000 steigen
Bahn und Bundespolizei kümmern sich auch um den Ausbau der Videotechnik. „Künstliche Intelligenz kann erkennen, wenn jemand Hilfe benötigt oder eine Gefahr entstanden ist“, sagte Bahnchef Lutz. In einer schon seit Jahren angekündigten Studie wird nun geprüft, wie Software dabei helfen könnte, mögliche Gefahrensituationen wie Menschen im Gleis oder herrenlose Gepäckstücke zu erkennen. „Sicherheitsbahnhof“: So heißt das Projekt im Südkreuz. Richard Lutz kündigte an, dass die Videotechnik erweitert wird. „Heute gibt es in rund 800 Bahnhöfen in Deutschland insgesamt 9000 Kameras“, sagte er. „Bis 2024 soll die Zahl auf 11.000 Kameras wachsen.“
Die Fahrgastzahlen im Schienenverkehr erreichen gerade Rekordwerte, berichtete Verkehrsminister Wissing. Dazu trage das noch bis August erhältliche Neun-Euro-Monatsticket bei, das von den Bürgern „geradezu geliebt“ werde, so der FDP-Politiker. Die Technik, die am Südkreuz erprobt wird, soll dazu beitragen, dass Menschen „Vorfreude verspüren, wenn sie einen Bahnhof betreten“. Hinter ihm zeigte eine Abfahrtstafel allerdings viele Zugverspätungen an – bis zu 40 Minuten.
Der Bahnhof Südkreuz, der 2006 eröffnet wurde, ist einer von 16 „Zukunftsbahnhöfen“ der DB in Deutschland – die zweite Station dieser Art in Berlin ist der S-Bahnhof Bornholmer Straße. So versorgte ein Tea-Bike die Reisenden am Südkreuz mit einem guten Tee, während sie auf den Anschluss warteten. Dauerhaft installiert wurde ein pastelliges Farbkonzept, das Fahrgästen den Weg auch heute noch weist.
2017 war schon einmal das Bundesinnenministerium am Südkreuz zu Besuch, damals vertreten durch Minister Thomas de Maizière (CDU). Der Anlass: der Test einer Software zur biometrischen Gesichtserkennung – die bei der damaligen Berliner Datenschutzbeauftragten Maja Smoltczyk und dem Linke-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko auf Kritik stieß. Die Testpersonen, die sich freiwillig gemeldet hatten, wurden fotografiert, die Porträts in einer Datenbank hinterlegt. Ihre Aufgabe war es dann, möglichst oft durch das Blickfeld von Videokameras zu laufen, die drei Türen zum Hildegard-Knef-Platz und eine in die Westhalle führende Rolltreppe ins Visier nahmen. Der Computer sollte die Testpersonen anhand der Fotodatenbank herausfiltern.
Kameras scannten die Gesichter von Menschen im Südkreuz
Denn das war das Ziel des Versuchs: Er sollte zeigen, ob sich die Technik dazu eignet, Straftäter und andere gesuchte Personen aufzuspüren. Mit Erfolg, wie das Innenministerium nach einem Jahr mitteilte. „In über 80 Prozent der Fälle wurden die Testpersonen durch die Systeme zuverlässig erkannt.“ In weniger als 0,1 Prozent der Fälle sei ein Mensch von der Software verwechselt worden.
28 Jahre nachdem @DB_Presse zuletzt versuchte, leuchtende und blinkende Bahnsteigkanten bei @SBahnBerlin als Innovation zu verkaufen, nun ein neuer Anlauf. Damals, am S-Alex und S-Friedrichstr., scheiterte die DB an der Pflege und Enstörung der Anlage ... 1/x https://t.co/704164WaMl
— IGEB Fahrgastverband Berlin (@IGEB_Berlin) July 21, 2022
Der Berliner Fahrgastverband IGE äußerte sich bei Twitter kritisch. „28 Jahre nachdem die DB zuletzt versuchte, leuchtende und blinkende Bahnsteigkanten bei der S-Bahn Berlin als Innovation zu verkaufen, nun ein neuer Anlauf. Damals, am S-Alex und S-Friedrichstr., scheiterte die DB an der Pflege und Entstörung der Anlage. DB Station & Service gelang es fast nie, die Anlagen dauerhaft störungsfrei herzurichten. Schließlich wurden die Leuchtbänder abgeklemmt und aus dem nur wenige Jahre zuvor frisch sanierten Bahnsteig wieder rausgerissen. Die Erfahrung mit DB Station & Service lehrt, dass 'Innovationen' seltenst auf ihre Sinnhaftigkeit oder ihre Langlebigkeit geprüft sind. Wir gehen deshalb auch in diesem Fall von kurzer Lebensdauer bei hoher Irrelevanz aus.“





