In der hellen Morgensonne am Montag entspricht der blaue, wolkenlose Himmel über Berlin-Karlshorst fast genau der blauen Farbe der ukrainischen Fahnen, mit denen Evgenii und Dmytro für Fotos posieren. Auf die Frage, wie die letzten Monate für sie waren, muss Dmytro zunächst tief seufzen. Bei diesem Seufzer klingt viel mit, auch etwas Trauer, aber trotzdem lächelt Dmytro stolz und blickt auf das Straßenschild, denn es zeigt einen Namen, der ihn an sein Heimatland erinnert: Odesa.
Odesa ist die drittgrößte Stadt der Ukraine und ein wichtiger strategischer Ort im Krieg. Das liegt vor allem am Hafen, dem Zugang zum Schwarzen Meer. Und die Stadt ist ab diesem Montag auch Namensgeber des Platzes an der Treskowallee. Die beiden Schüler Evgenii und Dmytro sind 18 Jahre alt und leben seit zehn Monaten in Berlin. Sie sind aus ihrem Heimatland nach der russischen Invasion geflohen. Sie gehen in die Willkommensklasse im Marzahner Victor-Klemperer-Kolleg.
Die Umbenennung ist für die beiden Schüler ein Zeichen von Respekt und Solidarität mit ihrem Land in Kriegszeiten. „Das ist einfach so eine coole Geste“, sagt Dmytro. „Da sehen wir den Respekt der Deutschen vor allem, was unser Land aktuell leistet, und vor dem Opfer unserer Landsleute.“ Evgenii stammt ursprünglich aus der ostukrainischen Stadt Charkiw, freut sich aber, dass mit dem Odesaplatz jetzt „ein kleines Stück der Ukraine in Berlin ist – mit ganz großer Bedeutung für uns“.
Die Umbenennung des früheren Marktplatzes zwischen Rheinsteinstraße und Ehrenfelsstraße wurde vom Bezirksamt Lichtenberg bereits im August 2022 beschlossen. Sie folgte einem Aufruf der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) vom Sommer 2022 an die Berliner Bezirke, womöglich Straßen und Plätze nach kriegsbetroffenen Orten in der Ukraine zu benennen – als Zeichen der Solidarität. Eine solche Aktion erfolgte etwa im Oktober letzten Jahres in Steglitz, dort wurde der Charkiw-Park zu Ehren der Partnerstadt des Bezirks Steglitz-Zehlendorf eingeweiht.
Es hat eine Weile gedauert, bis das Ortschild für den Odesaplatz gefertigt und die Umbenennung feierlich bestätigt werden konnte. Etwa 150 Menschen – Lichtenberger und Ukrainer sowie Vertreter der ukrainischen Botschaft und der ukrainischen Zivilgesellschaft in Berlin – waren da, um die Enthüllung mitzuerleben. Neben einem Mikrofon wehten die Flaggen Deutschlands, der Ukraine und des Bezirks Lichtenberg leicht.
Der Bezirk habe Odesa als Namensgeber für den Platz gewählt, weil es wie kaum eine andere Stadt den europäischen Aufbruch der Ukraine symbolisiere, so Michael Grunst (Die Linke), Bezirksbürgermeister von Lichtenberg. „Odesa steht aber auch für den Überlebenskampf der gesamten Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg“, sagte er. Der prominente Standort des neuen Platzes an der verkehrsreichen Treskowallee werde hoffentlich allen Passanten „ins Auge fallen“, so Martin Schaefer (CDU), Lichtenberger Bezirksstadtrat für Öffentliche Ordnung, Umwelt und Verkehr. „Wir müssen uns nicht an diesen Krieg gewöhnen, in dem immer noch Menschen jeden Tag sterben.“
Als Vertreter der ukrainischen Botschaft war es Gesandter-Botschaftsrat Maksym Yemelianov, der das graue Tuch von dem neuen Ortschild zog, unter dem Beifall des Publikums. Im Namen des Regionalgouverneurs von Odesa, Maksym Martschenko, überreichte er Bezirksbürgermeister Grunst eine Einladung, die Stadt zu besuchen. „Neben der deutschen Unterstützung der Ukraine ist dieser Platz ein ganz wichtiges Zeichen der Solidarität“, sagte er – und lobte dem Bezirk auch dafür, dass er das nahe gelegene ehemals Deutsch-Russische Museum, Ort der nationalsozialistischen Kapitulation, nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine in Museum Berlin-Karlshorst umbenennen ließ.
Bemerkenswert an dem neuen Namen des Platzes ist nicht zuletzt, dass Odesa nur mit einem S geschrieben wird – statt mit zwei, wie es normalerweise im Deutschem der Fall ist. Das bezieht sich auf die ukrainische Schreibweise, die russische Variante mit zwei S wurde abgewählt. Auch das war von Anfang an wichtig, sagte Zhanna Mylogorodska der Berliner Zeitung. Zusammen mit anderen ukrainischen Aktivisten in Berlin schrieb sie dem Lichtenberger Bezirksrat im letzten Sommer, um darum zu bitten, den Platz nach der ukrainischen Schreibweise zu benennen.
„Wir wussten schon, dass das eine Ausnahme von der üblichen deutschen Orthografie wäre“, sagte sie. „Aber auch diese Schreibweise ist ein wichtiges Symbol. Man macht ja immer Ausnahmen – schau mal auf Kosovo.“ Eher unzufrieden war sie mit dem Text auf dem Ortsschild, in dem es heißt, Russland habe seinen Angriffskrieg gegen die Souveränität der Ukraine im Februar 2022 begonnen. Dies sei aber schon acht Jahre zuvor mit der russischen Annexion der Krim passiert, so Mylogorodska.
„Solche Menschen leben in einer anderen Realität“
Ein paar Meter hinter der Versammlung hat sich auch eine Gegendemonstration aufgestellt. Etwa zehn Menschen haben sich mit Plakaten aufgebaut, die „Frieden mit Russland“ fordern oder ein Ende des „von den USA unterstützten Krieges Kiews gegen den Donbass“. Sie werben zudem für die Deutsche Kommunistische Partei. „Kein Platz für Kriegsverbrecher!“, ruft einer der Demonstranten laut Richtung Odesaplatz, als die ukrainische DJ Mavka ihren ersten Song spielt. Es gibt eine Mahnung von den Polizisten, die am Rande des Platzes zwischen den zwei Gruppen stehen; es kommen keine weiteren Zwischenrufe.






