Verkehr

Ohne Umsteigen zum See: Bahn-Plan beschert Berlin neue Verbindungen

Bedrohte Regionalbahnstrecken in der Prignitz sollen gerettet werden. Ein nun vorgestelltes Konzept sieht direkte Züge nach Plau und Krakow am See vor.

Einsteigen bitte! In Kyritz ist ein Dieseltriebwagen der Hanseatischen Eisenbahn aus Pritzwalk eingetroffen. Gleich geht es weiter nach Neustadt (Dosse) mit Anschluss nach Berlin.
Einsteigen bitte! In Kyritz ist ein Dieseltriebwagen der Hanseatischen Eisenbahn aus Pritzwalk eingetroffen. Gleich geht es weiter nach Neustadt (Dosse) mit Anschluss nach Berlin.Berliner Zeitung/Peter Neumann

Die Haltepunkte heißen Wutike, Rosenwinkel und Brügge. Hin und wieder erscheint ein Güterzug. Oder ein kleiner roter Triebwagen, aber die Zahl der Fahrgäste ist gering. Kein Wunder, dass die knapp 50 Kilometer lange Bahnstrecke, die nordwestlich von Berlin durch die Weiten der Prignitz führt, schon öfter ihren Personenverkehr verlieren sollte. Dabei schlummert in der Verbindung zwischen Kyritz, Pritzwalk und Meyenburg Potenzial, sagen das Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg und die Landräte der Region.

Am Montag stellten sie ein Konzept vor, das ab 2028 auch Berlinern neue Reisemöglichkeiten verschaffen könnte, etwa zur Mecklenburger Seenplatte mit Plau und Krakow am See. Die Strecke habe eine Zukunft – wenn die Politik will, hieß es. 

Es stimmt, gesteht Ralf Reinhardt ein. „In unserer Gegend leben wenige Menschen“, sagt der Landrat des Kreises Ostprignitz-Ruppin in der Brandenburger Landespressekonferenz. „Doch das hat unsere Urururgroßeltern einst nicht davon abgehalten, eine Bahnstrecke zu bauen“, so der SPD-Politiker.

Zwischen Pritzwalk und Meyenburg sind pro Tag nur 100 Fahrgäste unterwegs

Einst für den Transport landwirtschaftlicher Produkte geplant, gibt es heute immer noch Güterverkehr – etwa zum Container-Terminal in Falkenhagen. Andere Züge bedienen Industriebetriebe, die sich in der Gegend angesiedelt haben. Der Personenverkehr in dem dünn besiedelten Gebiet war schon immer gering. Nachdem das Angebot gekürzt worden ist, sind je nach Abschnitt pro Tag und Richtung drei bis fünf Fahrten übrig geblieben.

Auf dem Nordteil der Linie RB73 zwischen Kyritz und Pritzwalk werden die Triebwagen der Hanseatischen Eisenbahn im Schnitt von 20 Fahrgästen pro Tag genutzt, auf der Linie RB74 nach Meyenburg sind es 100, heißt es im Ministerium für Infrastruktur von Guido Beermann (CDU). Dafür zahlt die öffentliche Hand 2,3 Millionen Euro im Jahr – 200.000 Euro kommen vom Landkreis Prignitz, der Rest vom Land Brandenburg.

Die niedrigen Nutzerzahlen findet Landrat Reinhardt nicht verwunderlich. „Das ist kein zeitgemäßes Fahrplanangebot“, sagt Landrat Reinhardt. Zusammen mit seinem Prignitzer Kollegen Christian Müller (ebenfalls SPD) war er in Potsdam, um über eine Verbesserung zu sprechen. Es sah gut aus, ein Zwei-Stunden-Takt sei in Sicht gewesen. Doch dann kam Anfang dieses Jahres heraus, dass es der Nordteil der RB73 und die RB74 nicht in den Entwurf des neuen Brandenburger Landesnahverkehrsplans geschafft haben. Sie sollten keine Zukunft bekommen. „Das hat uns sehr enttäuscht“, sagt Müller.

„Verknüpfung und Durchbindung“ nach Mecklenburg-Vorpommern

Zwar zeichnet sich wie berichtet nach einem längeren Tauziehen ab, dass die Züge nach dem Fahrplanwechsel im Dezember nun doch erst mal weiterfahren werden. Finanzministerin Katrin Lange (SPD), deren Wahlkreis in der Prignitz liegt, hat dem Vernehmen nach signalisiert, dass es Geld für eine Weiterbestellung gäbe. Doch die Landräte wissen, dass die Strecke langfristig gesichert werden muss, damit nicht beim nächsten Finanzengpass wieder das Ende droht. Verbesserungen an der Strecke und beim Angebot seien nötig – und die Integration in eine überregionale Verbindung.

Ein Konzept, das nur auf lokale Bedürfnisse setze, wäre wenig sinnvoll, sagte Hans Leister vom Bündnis Schiene Berlin-Brandenburg am Montag in Potsdam. „Wir müssen die Strecke im Gesamtzusammenhang sehen“, gab der langjährige Brandenburger Konzernbevollmächtigte der Deutschen Bahn in Brandenburg, der in dieser Funktion einst durchaus die Abbestellung schwach genutzter Regionalbahnverbindungen befürwortet hatte, zu bedenken. Nötig sei eine „Verknüpfung und Durchbindung“.

Schließlich ende das Gleis nicht in Meyenburg. Es führe weiter ins Nachbarbundesland: zunächst zu touristisch interessanten Orte wie Plau am See und Krakow am See, dann nach Güstrow, wo Anschluss nach Rostock bestehe. „Damit liegt der Schlüssel in Mecklenburg-Vorpommern“, sagte Leister. Die Strecke könnte Teil einer zweiten Achse zwischen Berlin–Rostock werden, die den oft überlasteten Regionalexpress RE5 ergänzt.

Maßvoller Ausbau - aber Geld vom Bund gibt es nicht

In seinem am Montag präsentierten „Impulspapier“ schlägt der Bahnexperte eine neue vertaktete durchgehende Verbindung vor, die zwischen Neustadt (Dosse), Kyritz, Pritzwalk, Meyenburg und Güstrow die Prignitz-Strecke nutzt. Seine Vorzugsvariante wäre es, wenn Züge auf der Hamburger Bahn einen durchgehenden batterieelektrischen Zugteil bekämen – damit Fahrgäste nicht umsteigen müssten. Für diese Züge müsste in Pritzwalk eine Oberleitungsinsel gebaut werden, damit die Batterien aufgeladen werden.

Nach Leisters Fahrplankonzept würde die Fahrt auf den 123 Kilometern von Neustadt bis Güstrow rund zwei Stunden dauern. Dafür sei es nötig, die Trasse auszubauen – aber „maßvoll“, Tempo 80 bis 120 reiche aus. „Eine Hochgeschwindigkeitsstrecke soll es nicht werden. Sie ist heute schon in einem passablen Zustand“, sagte er. Bahnübergänge müssten gesichert werden. Wusterhausen (Dosse) müsste wieder ein Kreuzungsbahnhof werden, in dem sich Züge begegnen könnten. Sinnvoll wäre es auch, die Strecke zwischen Neuruppin und Neustadt (Dosse) aus ihrem Dornröschenschlaf zu erwecken.

Wie viel Geld investiert werden müsste, konnte der Experte ebenfalls nicht sagen. „Erst mal muss die Politik wissen, was sie will“, so Leister. Weil die Strecke mit der Regio Infra Nordost einem privaten Infrastrukturbetreiber gehört, dürfte es schwierig werden, Bundesmittel zu bekommen. Doch wenn die beiden Bundesländer langfristig garantierten, dass sie Zugfahrten bestellen, erhöhe das die Chance auf einen Kredit.

In welchem Maße die Fahrgastzahlen steigen würden, vermochte Leister nicht zu sagen. Klar sei aber, dass auch auf dem Land die Nachfrage nach oben gehen wird, wenn es einen attraktiven Nachfolger für das 9-Euro-Ticket gäbe. Sicher sei aus seiner Sicht, dass die beteiligten Bundesländer und ihre Menschen profitierten. Nicht nur, dass große Teile Mecklenburg-Vorpommerns neue Verbindungen zu den ICE-Bahnhöfen in Berlin und Wittenberge bekämen, dass Brandenburger Pendler bequemer und auch schneller als derzeit in die Hauptstadt-Region reisen könnten – auch die Berliner hätten was davon. Sie könnten mit Plau am See und Krakow am See eine reizvolle touristische Region, die aus ihrer Sicht bisher im Abseits lag, erstmals direkt ohne Auto erreichen. Seit 2000 fahren auf dem Mecklenburger Abschnitt keine Personenzüge mehr.

Künftig auch am Wochenende im Stundentakt nach Kyritz an der Knatter

Im Brandenburger Infrastrukturministerium möchte man nun gemeinsam mit den Kollegen aus dem Nachbarbundesland die Chancen für diese Verbindung ausloten. Auf dem von täglich rund 400 Fahrgästen genutzten Südteil der RB73, der Neustadt (Dosse) sowie den Haltepunkt Am Bürgerpark in Kyritz miteinander verbindet und dessen Existenz nicht in Frage steht, sei der Verkehr ausgeschrieben worden, sagte Sprecherin Katharina Burkardt. „Hier soll das Angebot künftig auch am Wochenende auf einen Stundentakt erweitert werden.“ Für die RB74 nach Meyenburg liefen „Abstimmungsprozesse und Gespräche auf verschiedenen Ebenen, um eine nachhaltige und für die Erschließung der Region attraktive Lösung zu finden“, so die Sprecherin. „Gemeinsam mit dem Land Mecklenburg-Vorpommern soll zur RB 73/74 eine Nutzen-Kosten-Untersuchung durchgeführt werden“ – um die Wirtschaftlichkeit zu prüfen.

„Mit einem attraktiveren Angebot können mehr Fahrgäste gewonnen werden“, sagte Andreas Büttner, verkehrspolitischer Sprecher der Linken. Seine Fraktion hat einen Antrag in den Landtag eingebracht, der ebenfalls das Ziel hat, das überregionale Potenzial der Prignitz-Strecken zu nutzen.

„Es wird viel über die Verkehrswende gesprochen. Nun müssen Taten folgen“

Dass dort weiterhin Regionalbahnen fahren, sei auch aus einem anderen Grund wichtig, sagte Landrat Ralf Reinhardt. Die Entgelte, die für die Nutzung der Anlagen gezahlt werden, tragen dazu bei, die Trasse für den Güterverkehr zu sichern. Ohne diese Zahlungen drohe die Stilllegung, warnte der SPD-Politiker. „In der Prignitz dürfen wir nicht die Fehler machen, die anderswo gemacht wurden.“ Schienenwege tragen zur Standortqualität bei. Busse als adäquaten Ersatz für Bahnen zu bezeichnen, sei ein „altes Märchen“. „Die Erfahrung zeigt, dass sie von weniger Menschen genutzt werden“, so der Landkreispolitiker. Zwischen Neustadt (Dosse) und Rathenow mussten nach den Zügen auch die Busse eingestellt werden, weil sie kaum genutzt wurden. „Nun gibt es auf dieser Verbindung  gar kein Nahverkehrsangebot mehr“, sagte Reinhardt.

„Es wird viel über die Verkehrswende gesprochen. Nun müssen Taten folgen.“