Fast würde ich wetten, die Museologen und Zoologen im Stralsunder Ozenaneum haben seit Freitag einen ziemlich unruhigen Schlaf und, trotz Tüv und sonstigen Checks, ihre Riesen-Aquarien für Meeresbewohner mit Argusaugen im Blick.
Das Berliner Aquadom-Desaster ist wahrlich ein Grund, der noch so erprobten, spezialisierten, ausgefeilten Technik zu misstrauen, riesige Fische temperiert in einem eigenen Meerwasser-Ökosystem in noch gewaltigeren Acrylglas-Behältern garantiert sicher zu halten. „Glück und Glas, wie leicht bricht das“, weiß der Volksmund. Denn wenn der Supertechnik-Traum „Auch das Unmöglichste ist möglich“ versagt, wenn das 20 Zentimeter dicke Spezialglas doch zerspringt, weil Physik mit ihren gesetzmäßigen Prozessen eben wirkt, dann wird es bösartig. Egal, ob nun Materialermüdung, unsichtbare Haarrisse, Frosteinbruch oder poröse Klebenähte der Glasteile schuld sein könnten, wie bereits gemutmaßt wurde. Oder weil nach der Chaostheorie alles fatalerweise zusammentraf. Wer Freitag am Ort des Unglücks war, kennt die herbe Desillusion. Auch der menschliche Ingenieurs-Genius kapituliert bisweilen vor der Allmacht der Natur und deren unumgänglichen Gesetzen. Der Rest ist Risiko.
Es ist ein Albtraum von Aquariumsbesitzern: Das Becken könnte aus irgendeinem dummen Grund platzen. Und schlimmer noch als bei einer überlaufenen Badewanne, deren Inhalt sich über die Wohnungen darunter wohnender, garantiert erboster Nachbarn ergießt, lautet dann das Urteil: fahrlässige Tötung. Im Aquadom – die Attraktion mitten im Radisson-Hotel-Aquarée an der Karl-Liebknecht-Straße – müsste es heißen: fahrlässige Fisch-Massentötung.
Die Investmentgesellschaft Union Investment mit ihrer Sea-Life-Ausstellung machte den Gigantismus möglich. Ein Magnetismus, attraktiv nicht nur für die Hotelgäste, auch für Tagesbesucher, Schulklassen, Kindergarten- und Touristengruppen, gebaut von International Concept Management (ICM) aus Junction/Colorado, heute Sitz in Hongkong. ICM beglückte schon Hotels, Shoppingmalls, Nobelrestaurants in Dubai, China, Russland, Brasilien und Griechenland mit derartigen Groß-Aquarien. Das Dinieren neben Delphinen und Haifischen gilt als Highlight der Event-Gastronomie.
Das Radisson-Hotel ist nicht der Betreiber des Aquadoms, hat aber 18 Jahre lang von der Sea-Life-Gigantomanie profitiert. Nun ist der Schaden da: Gebäudeteile sind ruiniert, der Hotelbetrieb muss ruhen. Das Hotel konnte mit dem Aquarium-Spektakel werben, dem „größten freistehenden zylindrischen Aquarium der Welt“ das als unvergleichbar galt. Nun sollte statt eines neuen Riesenaquariums besser eine stromsparende LED-Lichtskulptur errichtet werden oder etwas, das zum Kuppeldach umweltfreundlich und nachhaltig wächst und grünt und möglichst wenig Energie verschlingt.
Übrigens stand zu DDR-Zeiten an dieser Stelle das Palasthotel, unter Honecker kostspielig mit raren Devisen von schwedischen Architekten gebaut – nur für mit harter Währung zahlende Gäste aus dem nichtsozialistischen Ausland. Hinter vorgehaltener Hand erzählte man sich damals, Diplomaten, Spione und Stasi gäben sich dort die Klinke in die Hand. In Thomas Brussigs Roman „Wie es leuchtet“, 2004, spielt das dubiose von Interhotel betriebene Palasthotel die zentrale Rolle. 2001, noch vor dem Schleifen des nahen Palastes der Republik, wurde es abgerissen. Auch damals gab es tagelang Aufregung. Die Bagger hatten unter dem zerhackten Betonfundament eine US-Fliegerbombe von 1945 freigelegt. Das Entschärfen gelang. Glück gehabt. Manche Orte haben es halt in sich.
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