Crime

50 Jahre Berliner SEK: Warum die Elite-Polizisten kaum schießen

Bei Geiselnahmen und Terror wird das Spezialeinsatzkommando der Polizei Berlin gerufen. Das waren seine spektakulärsten Einsätze.

Ein Berliner SEK-Beamter bewacht einen Terrorverdächtigen, der unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen zum Haftrichter gebracht wird.
Ein Berliner SEK-Beamter bewacht einen Terrorverdächtigen, der unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen zum Haftrichter gebracht wird.imago

Die Tür fliegt auf, eine Blendgranate explodiert, Handschellen klicken. Wenn in Berlin das Spezialeinsatzkommando (SEK) anrückt, wird es grob. Die Elitetruppe der Polizei ist dafür ausgebildet, besonders gefährliche Gewalttäter festzunehmen. Sie wird gerufen bei Geiselnahmen und Entführungen. Im Herbst dieses Jahres jährt sich die Gründung des Berliner SEK zum 50. Mal. Anlass für einen Rückblick auf einige der spektakulärsten Einsätze.

Terroranschläge oder Geiselnahmen waren in der alten Bundesrepublik lange unbekannt. Doch das änderte sich 1971. Am 4. August jenes Jahres ereignete sich die erste Geiselnahme im Nachkriegsdeutschland. Und sie endete blutig.

Hans Georg Rammelmayr und ein Komplize überfielen in München eine Bank und nahmen insgesamt 18 Kunden und Angestellte als Geiseln. Die Bankräuber verschanzten sich am Ende mit fünf Geiseln, verlangten zwei Millionen Mark und einen Fluchtwagen. Als sich Rammelmayr mit dem Lösegeld und einer Geisel in den bereitgestellten Fluchtwagen setzte, eröffnete die Polizei das Feuer. Rammelmayr schoss zurück und erschoss auch die Geisel. Die Polizisten erschossen ihn.

So ein Szenario wollte West-Berlins damaliger Polizeipräsident Klaus Hübner auf keinen Fall in seiner Stadt. Er ordnete 1972 an, zwei Einheiten aufzustellen: eine, die gut mit Gewehren schießen kann, und eine, die aus gut ausgebildeten und ausgestatteten Polizisten besteht und es direkt mit dem Gegner aufnehmen kann – das Spezialeinsatzkommando. Und so wurde am 1. November 1972 in Westberlin das SEK gegründet.

Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister von West-Berlin, lässt sich in den 80er Jahren von SEK-Männern die neueste Ausrüstung zeigen. Ganz rechts: Martin Textor.
Eberhard Diepgen, Regierender Bürgermeister von West-Berlin, lässt sich in den 80er Jahren von SEK-Männern die neueste Ausrüstung zeigen. Ganz rechts: Martin Textor.Repro: Privat

Eine ähnliche Elitetruppe stellte im selben Jahr auch der Bundesgrenzschutz auf: die GSG 9. Der Grund dafür war das Polizeidesaster bei den Olympischen Spielen in München, als palästinensische Terroristen elf israelische Sportler als Geiseln nahmen und töteten. Bei dem gescheiterten Befreiungsversuch starb auch ein Polizist. Unter dem Eindruck dieses Geschehens folgten auch die anderen Bundesländer dem Berliner Beispiel und stellten 1974 eigene Spezialeinsatzkommandos auf.

Niemand dachte daran, dass etwas passieren könnte

Es sind die tragischen Ereignisse, aus denen die Polizeibehörden lernen. Jene Wendungen, die niemand zuvor ahnte. „In München war überhaupt nicht daran zu denken, dass irgendwas passieren könnte“, erinnert sich der heute 77-jährige Martin Textor. Er war damals siebenundzwanzig und schon vier Jahre bei der Berliner Polizei, als in allen Bundesländern, auch West-Berlin, Polizisten für die Olympischen Spiele gesucht wurden. Die Spiele sollten ein anderes Deutschland zeigen als 1936: freundlich, weltoffen, zivil. Die Polizisten bekamen hellblaue Anzüge und wurden als Ordnungsdienst ohne Waffe eingeteilt. Textor, vom Dienstgrad Kommissar, waren 20 Mann zum Schutz der Ehrentribüne unterstellt. „Es war eine schöne Veranstaltung“, sagt er. „Was dann passierte, damit hat in Deutschland niemand, weder in der Politik noch in der Polizei, gerechnet.“

Als in Berlin für das SEK besonders sportliche Leute gesucht wurden, bewarb sich Textor. Offizieller Dienstbeginn für die neue Einheit war der 1. Februar 1973. Vier SEK- und vier Präzisionsschützen-Gruppen sollten rund um die Uhr bereitstehen.

Großeinsatz 1998 am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg: Ein Mann hält einen neunjährigen Jungen stundenlang in seiner Gewalt.
Großeinsatz 1998 am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg: Ein Mann hält einen neunjährigen Jungen stundenlang in seiner Gewalt.Berliner Zeitung/Mike Fröhling

Doch zunächst mussten die Polizisten ausgebildet werden. Ihr Wissen bezogen sie aus Großbritannien und den USA, vom Special Air Service (SAS) und Einheiten wie den Navy Seals. Außerdem war eine Einheit der US-Specialforces – die Detachment A – in West-Berlin stationiert. Sie war auf geheime Einsätze hinter den Frontlinien spezialisiert.

Es gibt einen wesentlichen Unterschied: Das Ziel militärischer Spezialeinheiten ist die Vernichtung des Gegners. Polizeiliche Spezialeinheiten dagegen haben die Aufgabe, eine gefährliche Lage zu lösen und die Schusswaffe im Rahmen der Nothilfe nur dann einzusetzen, wenn es keine andere Möglichkeit mehr gibt.

Was wir nicht brauchen, sind Einzelkämpfer. Denn zur Wahrheit gehört, dass wir insbesondere im Team stark sind.

SEK-Chef Youssef El-Saghir

Bald genoss das SEK einen besonderen Ruf innerhalb der Polizei. „Der Teamgedanke stand im Vordergrund“, sagt Textor. „Und es war egal, ob du einen hohen Dienstgrad hattest oder nicht. Jede Idee wurde dankbar aufgegriffen und versucht umzusetzen: Idee – Versuch – Irrtum – oder Bestätigung. Zum Beispiel, wie man in die Wohnung eines Verdächtigen eindringt. Wer geht rein, wenn die Tür auffliegt? Wie wird er gesichert? Wie verteilen sich die SEK-Leute?“ Beim Kampf- und Festnahmetraining brachte damals jeder seine individuellen Kampfsport-Techniken ein.

Training beim britischen SAS

Ihre Einsatztaktiken trainierten die Männer unter anderem beim SAS in Großbritannien in nachgebauten Wohnungen. In der Bernauer Straße in Reinickendorf, auf einem Gelände der französischen Alliierten, bauten sie so eine Trainingsstätte nach. In das „Wohnzimmer“ stellte Textor seine ausrangierte Couch. Bis vor einigen Jahren trainierte das SEK noch an der Bernauer Straße. Heute passiert das in Trainingszentren wie etwa in Ruhleben.

SEK-Beamte zertrümmern im Jahr 2003 die Scheiben eines gekaperten BVG-Busses. Ein Bankräuber hat Geiseln genommen und hält sie in dem Bus gefangen.
SEK-Beamte zertrümmern im Jahr 2003 die Scheiben eines gekaperten BVG-Busses. Ein Bankräuber hat Geiseln genommen und hält sie in dem Bus gefangen.dpa

Ausgerüstet waren die Polizisten damals mit Helmen der Bundeswehr. Mit den Jahren verbesserten sich Ausrüstung und Taktik. Beim SEK bildete sich ein Zusammengehörigkeitsgefühl heraus, weil die Teams 24 Stunden zusammen waren und gemeinsam in gefährliche Situationen gerieten. Die gegenseitige Vertrautheit ist bis heute lebenswichtig. Und man kenne die Kollegen fast besser als die Ehefrau, sagt Martin Textor.

Der Leitende Polizeidirektor a.D. leitete 25 Jahre lang bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2005 die Berliner Spezialeinheiten – das SEK, das Präzisionsschützenkommando und das Mobile Einsatzkommando. In seine Zeit fallen einige spektakuläre Fälle:

27. Februar 1975: Mitglieder der linksterroristischen Bewegung „2. Juni“ entführen den Spitzenkandidaten der Berliner CDU, Peter Lorenz, an seinem Wohnhaus in Zehlendorf und halten ihn fünf Tage lang als Geisel fest.

Die Polizei erhält Hinweise, dass die Terroristen eine Garage in Tegel benutzen. Mehrere Tage lang legen sich die SEK-Beamten in einem nahegelegenen Abrisshaus rund um die Uhr auf die Lauer. Als irgendwann zwei Männer in die Garage gehen, legen die Beamten ihre Ausrüstung an, setzen die Helme auf und begeben sich unten in Position. Sie klopfen an das von innen verriegelte Tor: „Hier ist das SEK. Sie haben keine Chance!“ Nach einiger Zeit kommen die beiden Männer mit erhobenen Händen heraus. Im Gürtel haben sie scharfe, durchgeladene Pistolen. Der Rest der Terrorgruppe wird später verhaftet. Die Männer werden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

2003 wird der SEK-Mann Roland Krüger von dem Mitglied eines libanesischen Clans erschossen.
2003 wird der SEK-Mann Roland Krüger von dem Mitglied eines libanesischen Clans erschossen.Jörg Bergmann

27. Juni 1995: Vier Männer überfallen eine Commerzbank in Schlachtensee. Insgesamt 16 Kunden und Angestellte müssen sich auf den Boden legen und werden an den Händen gefesselt. Die Geiselnehmer, die mit Pistolen, Maschinenpistolen und Handgranaten bewaffnet sind, fordern 17 Millionen Mark, einen Fluchtwagen und einen Hubschrauber. Die Geiseln durchleben Stunden der Todesangst. Sie müssen enge Handfesseln tragen und stundenlang in unbequemer Haltung auf dem Boden liegen. Einem Bankkunden ziehen die Täter einen Sack über den Kopf und drücken ihm eine Pistole an die Schläfe. Ein Polizist, der nur in Badehose und Socken herankommen darf, deponiert vor der Bank Plastiktüten mit 5,6 Millionen Mark.

Am nächsten Morgen meldet sich telefonisch der stellvertretende Filialleiter bei der Polizei. Man habe die Geiselnehmer längere Zeit nicht mehr gesehenen. Die Gelegenheit zum Zugriff scheint günstig. Die SEK-Leute schießen mit einer Schrotflinte das Schloss aus der Tür. Beim Öffnen fällt eine Handgranate auf den Boden, die an der Tür deponiert ist. Alle gehen in Deckung – doch es gibt keine Explosion.

Als die SEK-Männer die Bank stürmen, sind die Täter weg. Sie haben sämtliche Schließfächer aufgebrochen und sind durch einen Tunnel entkommen, der in eine Garage führt. Später wird der erste Täter anhand eines winzigen Fingerabdrucks überführt. Er war auf einem Klebeband, das die Belüftungsrohre zusammenhielt. Weitere fünf Komplizen werden ermittelt. Sie werden zu Gefängnisstrafen zwischen sechs und 13 Jahren verurteilt.

26. Oktober 1998: Mittags am Kottbusser Tor in Kreuzberg entreißt ein Mann einer Mutter ihren dreijährigen Jungen. Stundenlang hält er dem Kind ein Messer an den Hals und droht, es zu töten. Im Namen der Islamischen Heilsfront fordert er die Freilassung aller politischen Gefangenen in Nordafrika. Und er sagt: Wenn um 17 Uhr sein Ultimatum ablaufe, werde er dem Jungen die Kehle durchschneiden.

Das Spezialeinsatzkommando stürmt 2005 in Berlin-Kreuzberg eine Wohnung. Ein Mann hatte sich zuvor telefonisch bei der Polizei gemeldet, und gedroht, die Wohnung in die Luft zu sprengen.
Das Spezialeinsatzkommando stürmt 2005 in Berlin-Kreuzberg eine Wohnung. Ein Mann hatte sich zuvor telefonisch bei der Polizei gemeldet, und gedroht, die Wohnung in die Luft zu sprengen.dpa/Peer Grimm

Einsatzleiter Martin Textor ordnet den „finalen Rettungsschuss“ an, obwohl es ihn in Berlin nicht gibt, weshalb jeder Beamte, der per scharfem Schuss Nothilfe leistet, dies auf eigene Verantwortung tun muss. Mit seiner Anordnung der „Nothilfesituation“ versucht Textor, die Verantwortung auf sich zu nehmen. Aber im Ernstfall wäre das juristisch nicht haltbar gewesen. Drei Präzisionsschützen haben die Läufe ihrer Waffen auf den Kopf des Mannes gerichtet. „Ich habe gesagt: Wenn irgendeiner von euch das Gefühl hat, dass er jetzt gegen das Kind vorgeht, wird geschossen“, erinnert sich Textor.

Doch es bietet sich eine günstige Gelegenheit für den Zugriff: Der Geiselnehmer nimmt das Messer in die andere Hand und greift nach einem Keks. In dem Moment nimmt ein SEK-Mann in Zivil Anlauf und tritt ihm gegen den Kopf. Der Junge wird befreit und die Tötung des Geiselnehmers vermieden. Bei der anschließenden Pressekonferenz sagt Martin Textor den ungewöhnlichen Satz: „Noch nie war ein Täter dem Tod so nah.“

Den „finalen Rettungsschuss“, bei dem die Verantwortung bei demjenigen liegt, der den gesamten Einsatz leitet, gibt es in Berlin bis heute nicht – als einzigem Bundesland. Grüne und Linke sind dagegen, ihn im Gesetz zu verankern. Würde es in Berlin eine Terrorlage wie 2015 in Paris geben, als islamistische Terroristen in Bars, Cafés und im Theater Bataclan zahlreiche Menschen erschossen, wäre die Berliner Polizei nicht handlungsfähig, meint Textor. „Weil nur der Polizeiführer, der den Überblick über die Gesamtlage hat, die Entscheidung treffen kann und nicht der Einzelne, der nur einen Teil der Situation erkennt. Deswegen muss bei einer so komplexen Lage die Verantwortung für den finalen Schuss beim Polizeiführer liegen und nicht bei dem einzelnen Polizisten.“

11. April 2003: Der bereits wegen mehrfachen Bankraubs vorbestrafte Dieter Wurm stürmt mit einem unbekannten Komplizen in eine Commerzbank-Filiale in Steglitz. Maskiert und mit scharfen Pistolen bewaffnet, bedrohen sie die Angestellten und erbeuten 6050 Euro Bargeld. Nach dem Überfall verschwindet Wurms Komplize im U-Bahnhof Schloßstraße.

Wurm selbst besteigt einen BVG-Bus, der gerade an der Haltestelle vor der Bank steht. Weil auch eine Polizistin mit einsteigt, nimmt der Bankräuber die Fahrgäste als Geiseln und zwingt den Busfahrer zu einer Irrfahrt durch Berlin. Sie endet am Schöneberger Sachsendamm. Alle Geiseln, bis auf die Polizistin und einen Hörfunkmitarbeiter, dürfen nach und nach aussteigen. Dann beginnen mehrstündige Verhandlungen. Einer der SEK-Männer verwickelt Wurm in ein Gespräch und schießt ihm schließlich zweimal in die Schulter. In der Sekunde stürmen die Beamten den Bus und befreien die Geiseln.

2007 nimmt ein Mann im Berliner Hauptbahnhof einen Kellner mehrere Stunden lang als Geisel. Das SEK beendet die Geiselnahme.
2007 nimmt ein Mann im Berliner Hauptbahnhof einen Kellner mehrere Stunden lang als Geisel. Das SEK beendet die Geiselnahme.AP/Michael Sohn

23. April 2003: In jenem Monat verändert sich für das Berliner SEK alles. 30 Jahre lang hatten die Beamten schwere und schwerste Einsätze, und nie ist einem von ihnen etwas Ernsthaftes passiert. „Wir haben gedacht, wir sind untötbar“, sagt Martin Textor.

Doch bei einem alltäglichen Einsatz passiert es. Gegen Yassin A., Mitglied eines berüchtigten libanesischen Clans, besteht Haftbefehl, weil er vor einer Diskothek ein Mitglied der libanesischen Großfamilie al-Zein niedergestochen haben soll. Unauffällig und in Zivil fahren die SEK-Leute zu dem Haus im Neuköllner Rollbergviertel, wo die Familie des Beschuldigten wohnt. Sie legen die Ausrüstung an, Schutzwesten, Handschuhe, Helme, und laufen durch den Hausflur zu der Erdgeschoss-Wohnung.

Der Schildträger hat Probleme und sagt zu seinem Kollegen, dem 37-jährigen Roland Krüger: „Dicker, mach du mal.“ Krüger nimmt den Schutzschild und rammt damit die Tür ein. Er braucht zwei Schläge. Seinen Helm hat er auf. Doch wenn man das Visier herunterklappt, steht es zu weit vor und Krüger hätte den 35 Kilo schweren Schild weiter vom Körper weg halten müssen. Also bleibt ein winziger Zwischenraum zwischen Schild und Helm. Und genau dort fliegt das Projektil hindurch, das Yassin A. abfeuert, als die Polizisten in die Wohnung eindringen. Ein Zufall, wie ihn niemand für möglich gehalten hätte. Krüger wird im Auge getroffen. Vier Tage später stirbt er.

„Dieser kleine Routineeinsatz war ein riesiger Einschnitt“, sagt Martin Textor. Seine Stimme stockt auch heute noch, wenn er darüber sprechen muss. Wenn er sich daran erinnert, wie er Krügers Lebensgefährtin und der Mutter die Todesnachricht überbrachte. Der Teamführer litt an einem posttraumatischen Belastungssyndrom. Es wurde aber nicht als Folge eines Dienstunfalls anerkannt.

Yassin A. zeugte im Gefängnis bei Familienzusammenkünften im „Begegnungsraum“ vier Kinder, die jetzt die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Deshalb kann er nicht mehr in den Libanon abgeschoben werden, wie es eigentlich angeordnet war. Mit der Klientel um Yassin A. und Clankriminalität hat es das Spezialeinsatzkommando bis heute zu tun. Im Treppenhaus der Dienststelle am Augustaplatz, wo das SEK von Anbeginn seinen Sitz hat, hängt eine Gedenktafel für Roland Krüger.

Mehr Einsätze wegen Messertätern

Immer wenn gefährliche Straftäter festgenommen werden müssen, wenn Waffen im Spiel sind, wenn die Polizei mit heftiger Gegenwehr rechnen muss, wird das SEK gerufen. Das können Fälle von Schwerkriminalität sein, aber auch Nachbarschaftsstreitigkeiten oder ein eskalierender Streit um Schulden. Oder Bedrohungslagen im sozialen Umfeld, wenn ein Mann seine Frau in einer Wohnung festhält und damit droht, sie umzubringen.

Ausschau nach möglichen Attentätern: Manchmal unternehmen die Männer vom Berliner SEK auch eine Bootstour durchs Regierungsviertel - wie 2015 beim Besuch von Queen Elizabeth.
Ausschau nach möglichen Attentätern: Manchmal unternehmen die Männer vom Berliner SEK auch eine Bootstour durchs Regierungsviertel - wie 2015 beim Besuch von Queen Elizabeth.imago/Olaf Wagner

Derzeit hat das Berliner SEK, zu dem etwa 100 Beamte gehören, durchschnittlich 500 Einsätze im Jahr. Die Zahl ist in den letzten Jahren leicht gestiegen, was unter anderem an der Überarbeitung der Kriterien für SEK-Einsätze, vor allem in Bezug auf Messertäter, liegt. Hier gelte es nach Möglichkeit, taktische Alternativen zum Schusswaffeneinsatz zu finden, sagt SEK-Chef Youssef El-Saghir. „Wir haben die Voraussetzungen für SEK-Einsätze entschärft und die anfordernden Dienststellen darüber informiert.“

Von den sechs Teams steht eines rund um die Uhr in der Dienststelle bereit. Sie verbringen die Nacht in der Dienststelle am Augustaplatz in Vier-Bett-Zimmern. Weitere Beamte sind in Rufbereitschaft. Ihre Erschwerniszulage: rund 480 Euro im Monat.

Mit Samurai-Schwert Passanten und Polizisten bedroht

Die Einsätze bleiben gefährlich. So wie etwa die Festnahme eines Mannes, der in Wilmersdorf mit einem Samurai-Schwert Passanten und Polizisten bedrohte. Als die SEK-Beamten seine Tür öffneten, stürmten sie in eine völlig vermüllte Wohnung. Es war dunkel und der Täter nicht zu sehen. „Der Zugriff war schwierig“, sagt El-Saghirs Stellvertreter Timo Klös. Der Täter konnte schließlich festgenommen werden.

Einen spektakulären Einsatz gab es im Oktober 2020 im Forum Köpenick, als ein Mann in einer Bank eine Angestellte in seine Gewalt brachte und 20.000 Euro forderte. Das gesamte Einkaufszentrum wurde abgeriegelt. Letztlich konnte die Geisel befreit und der Täter überwältigt werden.

Nicht immer rücken die Beamten mit ihren Dienstwagen an. Im Juni vergangenen Jahres fuhren sie an einem Hotel in Charlottenburg mit einem BVG-Bus vor – zur Tarnung. Sie durchsuchten 160 Zimmer wegen des Verdachts des illegalen Glückspiels. Bei dem Großeinsatz fand die Polizei gefälschte Ausweise, Drogen und illegale Glücksspielgeräte.

Viel Kriminalität spielt sich inzwischen im Verborgenen ab

Gleichwohl sind die Einsätze nicht mehr so öffentlichkeitswirksam wie zu Martin Textors Zeiten. „Viel Kriminalität spielt sich inzwischen im Verborgenen, digital ab“, sagt Klös. Er nennt den Fall eines international agierenden Kriminellen, der vor einigen Jahren über das Internet Krankenkassen erpresste und schließlich in Berlin-Mitte vom SEK festgenommen wurde.

Bei der Geiselnahme im Forum Köpenick 2020 kamen die Beamten des Berliner Spezialeinsatzkommandos (SEK) nicht nur im Auto zum Einsatzort.
Bei der Geiselnahme im Forum Köpenick 2020 kamen die Beamten des Berliner Spezialeinsatzkommandos (SEK) nicht nur im Auto zum Einsatzort.imago/Olaf Wagner

Klös und seine Beamten sind stolz darauf, dass sie wegen ihres guten Trainings trotz der vielen Einsätze bislang nur einmal gezwungen waren, einen bewaffneten Täter zu erschießen. Das war 2001. Aber die Welt hat sich geändert. Die islamistischen Terroranschläge in Mumbay 2008 und die Anschläge in Paris 2015, bei denen die Täter Kriegswaffen verwendeten, führten zu der Einsicht, dass auch die Polizei ihr SEK aufrüsten müsse, mit schweren Schutzwesten und neuen Waffen. Youssef El-Saghir sagt: „Mit dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz haben wir unsere Konzeptionen auf den Prüfstand gestellt und unsere taktische Reaktionsfähigkeit angepasst. Das Ziel besteht darin, agieren zu können und nicht nur reagieren zu müssen.“ 

Viele Berufsbranchen klagen über Nachwuchsmangel. El-Saghir spürt davon nichts. „Die Anzahl der Bewerber ist so groß, dass wir auf unseren Bedarf kommen.“ Ein unmittelbarer Einstieg beim SEK ist nach einer Ausbildung oder einem Studium nicht möglich. Erst müssen Berufserfahrungen gesammelt werden. Wer nach der Polizeischule sein Interesse anmeldet, bekommt auch einen Termin für ein erstes Kennenlernen. Dann folgen anstrengende Prozeduren: Situationstraining, Psychologietests, Sporttests, bei denen die Kandidaten ausgesiebt werden. „Was wir nicht brauchen, sind Einzelkämpfer“, sagt El-Saghir. „Denn zur Wahrheit gehört, dass wir insbesondere im Team stark sind.“