Terroranschlag-Großübung

20 Tote, 20 Verletzte: Die Berliner Polizei ist trotzdem zufrieden

Zahlreiche Behörden proben bis Donnerstag das Szenario eines Terroranschlags mit einer Biowaffe in Berlin. Auch das FBI kam als Zuschauer.

Der Ablageort für Verletzte.
Der Ablageort für Verletzte.Polizei

Ein voller Kinosaal in Berlin. Plötzlich eine Explosion. Ein Selbstmordattentäter hat sich in die Luft gesprengt. Als die Überlebenden in Panik flüchten, schießen zwei Attentäter in die Menge. Einer nimmt draußen eine Geisel, schießt auf Polizisten und wird vom Spezialeinsatzkommando überwältigt. Am Ende sind 20 Menschen tot und 20 verletzt. In einem kurz darauf im Internet veröffentlichten Bekennervideo heißt es, dass bei der Explosion auch das hochgiftige Gift Rizin freigesetzt wurde. Wie viele Menschen damit kontaminiert sind – niemand weiß es.

Zum Glück ist es nur ein Szenario, das da seit Dienstag auf einem Polizeigelände in Spandau geprobt wird. Polizei und Gesundheitsbehörden haben sich zu einer Großübung mit 1000 Mitwirkenden zusammengefunden, die noch bis Donnerstag dauert. 100 Beobachter aus ganz Deutschland und anderen Ländern sind angereist, darunter aus Japan, Israel. Auch US-Bundespolizisten vom FBI sind dabei.

Die Liste der beteiligten Institutionen ist lang: Robert-Koch-Institut (RKI), Charité, Bundeswehr, Bundeskriminalamt, Generalbundesanwalt, Generalstaatsanwaltschaft, Feuerwehr, Bundespolizei, Berliner Polizei. Vor allem geht es um die Zusammenarbeit von Institutionen, von denen normalerweise jede für sich wirkt. Keine hat alle Spezialisten, die man im Fall eines Biowaffen-Anschlags braucht.

Das Ziel: Die Fähigkeiten der unterschiedlichen Behörden bündeln

So hat das Berliner LKA die Analytische Task Force, eine Einheit, die rund um die Uhr einsatzbereit ist, um schnell Proben zu nehmen und Stoffe zu analysieren. Das RKI wiederum hat Labore von einer so hohen Sicherheitsklasse, wie es sie im Berliner LKA nicht gibt. Nachdem am Dienstag um 18.35 Uhr, die „Bombe“ detoniert ist, geht es darum, die Fähigkeiten der verschiedenen Einrichtungen zu bündeln – von BKA, LKA und auch RKI.

Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK), der Entschärfer und der Analytischen Task Force präsentieren sich bei einem Pressetermin auf einem Hof des Berliner Polizeipräsidiums.
Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK), der Entschärfer und der Analytischen Task Force präsentieren sich bei einem Pressetermin auf einem Hof des Berliner Polizeipräsidiums.Berliner Zeitung/Andreas Kopietz

Die verschiedenen Übungsorte befinden sich nicht in der Öffentlichkeit, und die meisten Teilnehmer der als Verschlusssache klassifizierten Übung sind vorher eingeweiht gewesen – aber nicht alle. Die zuerst eintreffenden Feuerwehrleute finden eine „unübersichtliche Lage“ vor, wie es im Polizeideutsch heißt. Dann geht es darum, Kräfte zu koordinieren, Absperrungen zu errichten, „Verletzte“ zu retten, die Transporte in Krankenhäuser zu veranlassen und die Fahndung nach dem flüchtigen „Täter“ einzuleiten.

Eine für Mittwoch vorgesehene Festnahme durch Spezialkräfte der Bundespolizei wird ebenfalls in einer Polizeidienststelle geprobt. Am Donnerstag folgt die kriminaltechnische Untersuchung einer Gartenlaube, die von den Tätern zur Herstellung der Biobombe genutzt wurde.

Kontaminierte Täter und kontaminierte Verletzte

Als – wie im Übungsszenario vorgesehen –  erst nach dem Anschlag festgestellt wird, dass die Täter biologischen Kampfstoff einsetzten, wird es komplex: Die Analytische Task Force und das RKI werden alarmiert. Denn chemische oder biologische Kampfstoffe lassen sich nicht so einfach wie Radioaktivität per Geigerzähler messen. Die Kriminaltechniker haben es nun mit kontaminierten Spuren zu tun.

Die Erkenntnis, dass Rizin eingesetzt wurde, hat zur Folge, dass tatsächlich oder möglicherweise kontaminierte Personen identifiziert werden müssen – bis hin zu Polizisten, die in ihre Wachen zurückgekehrt oder schon im Feierabend sind. Die Polizisten, die den Terroristen jagen, sind hinter einem kontaminierten Täter her, und die Feuerwehrleute müssen kontaminierte Patienten ins Virchow-Klinikum der Charité bringen.

Schon 2017 gab es in Berlin so eine Übung, bei der sich die verschiedenen Behörden auf einen Rizin-Anschlag vorbereiteten. Und tatsächlich entdeckte die Polizei im Juni des darauffolgenden Jahres in Köln-Chorweiler ein Bomben- und Giftlabor. Sie konnte einen Terroranschlag knapp verhindern. Eine Islamistin und ihr Ehemann wollten einen Sprengsatz zünden, der Rizin verteilen sollte. Beide wurden zu acht beziehungsweise zehn Jahren Haft verurteilt. „Wir konnten die Täter überführen aufgrund von Abläufen, die wir in der Übung 2017 gelernt haben“, sagt der RKI-Präsident Lothar Wieler nun bei der Pressekonferenz.

Diese Übung habe „eine unglaubliche Komplexität“, meint Karsten Göwecke, stellvertretender Feuerwehrchef. „Dass die zuerst eintreffenden Kräfte richtig reagiert haben, zeigt, dass wir in unserer Aus- und Fortbildung solche Szenarien verinnerlicht haben.“

Er bezieht dies auf die Alarmierung „Massenanfall von Verletzten“ bis hin zur Einberufung des Führungsstabes der Feuerwehr. „Vieles hat gut funktioniert“, so Göwecke. Aber nicht alles. Etwa die Dekontamination Schwerstverletzter. „Die Patienten können nicht wie im Tagesgeschäft in eine Klinik gebracht werden“, so der Vize-Chef. „Zudem braucht es eine Nachweismöglichkeit biologischer Stoffe für die zuerst eintreffenden Kräfte.“ Auch die Kommunikation zwischen allen Beteiligten sei eine extreme Herausforderung, „die wir ständig weiterüben müssen“.

Ergebnisse werden an alle Bundesländer und international weitergegeben

Überhaupt die Kommunikation, bei der jede Behörde ihr eigenes Fachchinesisch spricht: Schon bei der ersten Übung 2017 saß Susanne Bauer, Leiterin der Kriminaltechnik im LKA, in der Befehlsstelle und hatte eine, wie sie sagt, „bahnbrechende Erkenntnis“. Polizei, Feuerwehr und Gesundheitsdienst hatten jeweils ihre eigene Sprache. „Das war eine wichtige Erkenntnis“, berichtet Bauer. „Und wenn man sowas nicht übt und nur am grünen Tisch plant, bekommt man das nicht hin.“

Die Ergebnisse der Übung würden, wie schon 2017, in einem Handbuch zusammengefasst und allen Bundesländern zur Verfügung gestellt, so Bauer. Auch Länder wie die USA, Israel und Japan sollen die Erkenntnisse erhalten. Die FBI-Kollegen sollen jedenfalls begeistert sein.