Armut in Berlin

„Bei den Ärmsten der Armen sparen“: Es fehlen mehr als 400 Schlafplätze für Obdachlose

Kältehilfe startet trotz milder Temperaturen. Helfende machen sich Sorgen: die Finanzierung ist in Gefahr, die Kapazitäten werden knapp. 

Am Stuttgarter Platz leben seit Jahren Menschen auf der Straße.
Am Stuttgarter Platz leben seit Jahren Menschen auf der Straße.Sabine Gudath

Noch sind die Tage spätsommerlich warm in der Hauptstadt und die Nächte sehr mild, doch das wird sich sicher bald ändern. Es ist Herbst, nun kommen die kälteren Jahreszeiten. Deshalb startet ab 1. Oktober wieder die Berliner Kältehilfe, um Menschen zu unterstützen, die auf der Straße leben.

In dieser Saison stehen bis Ende März kommenden Jahres 1000 Notübernachtungsplätze für bedürftige Menschen bereit. Knapp 700 Plätze sind dabei reine Kältehilfeplätze, die nur temporär angeboten werden.

Start zunächst mit 685 Übernachtungsplätzen

In der vergangenen Kältehilfesaison standen täglich 1043 Notübernachtungsplätze zur Verfügung. Die Auslastung war nach Angaben der sozialen Träger so hoch wie seit 2016 nicht mehr. Nun geht die Kältehilfe im Oktober zunächst mit 685 Plätzen an den Start und erweitert ihr Angebot dann nach und nach in den nächsten Wochen. Die Angebote sind sehr unterschiedlich. Ehrenamtliche kochen für obdachlose Menschen, schmieren Brote, geben Decken aus und sorgen für ein schützendes Dach über dem Kopf.

Vor 34 Jahren starteten Caritas, Diakonie, evangelische und katholische Kirchengemeinden erstmals die Berliner Kältehilfe. „Diese beispiellose ökumenische Hilfsaktion entwickelte sich im Laufe der Zeit zu einer Berliner Institution der Nächstenliebe“, sagt Caritas-Direktorin Ulrike Kostka. 

Finanziert wird das Hilfsangebot, ebenso wie die medizinische Versorgung von Obdachlosen, in hohem Maß durch Spenden. Zudem stellt der Berliner Senat drei Millionen Euro zur Verfügung.

Ursprünglich startete die Kältehilfe im November, doch Berlins damalige Sozialsenatorin Elke Breitenbach (Linke) hatte sich in ihrer Amtsperiode dafür eingesetzt, dass das Angebot erweitert wurde, da die Not der Wohnungslosen zugenommen hatte und die Nächte auch im Oktober schon sehr kalt sein können.

In diesem Jahr ist es zum Start der Kältehilfe noch ungewöhnlich warm. „Man kann nicht genau einschätzen, ab wann es kalt wird“, erklärt Caritas-Sprecher Thomas Gleißner. So ein großes System müsse langsam hochfahren. Es seien mehrere Hundert Ehrenamtliche beteiligt.

Diakonie-Direktorin: „Es fehlen mindestens 400 Schlafplätze“

Doch die Helfenden sind auch in Sorge. Denn es gibt immer mehr Obdachlose in der Stadt. Nach Angaben der Berliner Diakonie-Direktorin Ursula Schoen fehlen in dieser Saison mindestens 400 Plätze. Hauptgrund sei der angespannte Berliner Immobilienmarkt. Es sei kaum noch möglich, brauchbare Gebäude für die Einrichtung von Notübernachtungen zu bekommen. Die wenigen leer stehenden Gebäude, die der Kältehilfe-Koordinierungsstelle 2023 angeboten wurden, stünden überwiegend kurz vor dem Abriss und seien teilweise in absolut unbrauchbarem Zustand.

Bald werden die Kältebusse der Berliner Stadtmission wieder in den Straßen zu sehen sein.
Bald werden die Kältebusse der Berliner Stadtmission wieder in den Straßen zu sehen sein.dpa

„Wir erleben in nahezu allen Bereichen von Jugend- bis Eingliederungshilfe, dass der soziale Immobilienmarkt an die Grenzen stößt“, sagt Schoen. Damit funktioniere auch die klassische Vorstellung von Winternothilfe praktisch nicht mehr.

Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) dazu: „Für obdachlose Menschen kann die Berliner Kältehilfe überlebenswichtig sein. Sie schützt davor, in der Kälte draußen übernachten zu müssen.“ Doch es werde immer schwieriger, geeignete Unterkünfte zu finden. „Ich würde mich freuen, wenn wir noch mehr Angebote für Objekte bekommen würden, die für Notübernachtungen in der Kältehilfe geeignet sind.“

Auch bei der medizinischen Versorgung obdachloser Menschen schlägt die Caritas Alarm. Der Grund ist die wackelnde Finanzierung, entstanden durch Einsparmaßnahmen des Senats. In einem Arztmobil und der Ambulanz werden im Jahr fast 7000 Menschen ohne Krankenversicherung behandelt. In der Krankenwohnung können bis zu 20 kranke Wohnungslose wieder gesund werden. Hier sind auch fünf Betten mit Palliativversorgung für sterbende Menschen vorhanden. Sie alle werden rund um die Uhr von Pflegerinnen und ehrenamtlichen Ärzten betreut. Doch die Finanzierung ist in Gefahr.

„Es ist völlig unverständlich, dass der Senat im aktuellen Haushaltsentwurf bei der Krankenwohnung und der Ambulanz bei der Finanzierung sparen will“, erklärt Ulrike Kostka. „Es besteht eine Finanzierungslücke von insgesamt 750.000 Euro. Hier muss die Politik umsteuern und nicht bei den Ärmsten der Armen sparen.“