Zentral und seltsam versteckt zugleich – so könnte man die Lage des Instituts beschreiben, an dem die Berliner Quereinsteiger ausgebildet werden. Das sogenannte Steps, also das Studienzentrum für Erziehung, Pädagogik und Schule, liegt in der Georgenstraße 35, nicht weit vom S-Bahnhof Friedrichstraße. Um die Unterrichtsräume im 17. Stock zu finden, muss man aber zu den Eingeweihten gehören. Mit dem Fahrstuhl fährt man in den 16. Stock, geht dann eine Treppe hinauf und um drei Ecken, damit man dort ankommen kann, wo eine Klasse von Quereinsteigern gerade einer Lehrstunde in Didaktik lauscht.
Zentral ist auch die Frage, wie unsere Gesellschaft mit ihren Quereinsteigern umgeht. Und verborgen zugleich. Das Thema ist offenbar schambesetzt. Etliche der erwachsenen Schüler in dieser Klasse wollen nicht fotografiert werden. Und ihren richtigen Namen* wollen sie in der Zeitung auch nicht lesen. „Lieber nicht, meine Eltern wissen noch gar nicht, dass ich im Quereinstieg bin“, sagt eine junge Frau.
Hat man als Gast erst einmal auf einem der Stühle Platz genommen, fällt vor allem eines auf: Die Stimmung in der Klasse ist sehr gut, Witze fliegen hin und her. Alle Frauen und Männer, die der Zufall hier zusammengewürfelt hat, scheinen zu wissen, dass sie sich auf ihrem langen und steinigen Weg gegenseitig bei Laune halten müssen. Die Berufe, die sie hinter sich gelassen haben, könnten unterschiedlicher nicht sein: Da gibt es Biologen und Ökotrophologen, diverse Geisteswissenschaftler, eine Theologin, eine Lektorin, eine Musikerin. Die jüngste Teilnehmerin ist 34, die älteste 54 Jahre alt.
Für den Quereinstieg infrage kommen sie, weil sie mindestens ein Fach studiert haben, das in der Berliner Schule als Mangelfach ausgewiesen wird. Dieses Fach dürfen sie sofort unterrichten, während sie berufsbegleitend das zweite oder dritte Fach an diesem Zentrum nachstudieren. Pro Woche stehen dann 18 Stunden Unterricht auf dem Programm und zehn Stunden, die sie in ihr Studium investieren.
Für die Grundschule dauert das Nachstudieren von zwei Fächern genau zwei Jahre. Danach können die Quereinsteiger mit dem Vorbereitungsdienst beginnen, der nach 18 Monaten mit dem Zweiten Staatsexamen endet. Bis sie als vollwertige Mitglieder der Berliner Schulgemeinschaft anerkannt werden, vergehen oft drei oder viereinhalb anstrengende Jahre.
Was treibt die Männer und Frauen in dieser Klasse an, sich auf dieses Abenteuer und diese Strapazen einzulassen? Und wie erleben sie sie? Hier drei Antworten.
Oliver, Historiker
Erst mal waren es nicht idealistische Gründe, die mich für den Quereinstieg motiviert haben, mich hat da ganz stark die Sicherheit gelockt.
Ich bin promovierter Historiker und habe an der Universität Münster gearbeitet. Das Forschen und Lehren hat mir großen Spaß gemacht, aber eine Stelle als Professor in diesem Bereich zu finden, ist sehr schwer und in Berlin so gut wie aussichtslos. Meine Frau und meine kleine Tochter leben aber in Berlin. Ich bin sechs Jahre gependelt, und irgendwann wollte ich das nicht mehr.
In dieser Zeit habe ich Kollegen getroffen, die waren so 50, und mal wurde ihr Vertrag noch ein Jahr verlängert und mal nicht. Und ich dachte: Lieber sattele ich jetzt noch mal um, mit 40 kann man das noch leisten. Meine Frau ist Lehrerin an einer Schule in Wedding und so kamen wir auf die Idee mit dem Quereinstieg. Leider ist Geschichte kein Mangelfach, deshalb kam ich für das Programm erst einmal nicht infrage.
Wie das mit dem Seiteneinstieg funktioniert, das wusste ich nicht. Und das war krass: Auf den offiziellen Seiten der Senatsverwaltung gab es keine Informationen dazu. Auf einer Seite einer Lehrergewerkschaft bin ich dann fündig geworden. Nur wenn eine Schule individuellen Bedarf anmeldet, darf man als Seiteneinsteiger dort anfangen. Und nach einem Jahr, wenn man sich im Alltag bewährt hat, kann der Schulleiter beantragen: Bitte nehmen Sie Person X in das Quereinsteiger-Programm auf!
An meiner Grundschule in Wedding sollte ich Geschichte, Politik und Geografie unterrichten in den fünften und sechsten Klassen. Inzwischen unterrichte ich vor allem Naturwissenschaften, Englisch und Kunst – und nur noch eine einzige Klasse in Geschichte. Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich an einer Schule gelandet bin, wo der Schulleiter sich morgens vor die Schule stellen und sagen könnte: Hier du – Raum 6, du Raum 7, mach einfach, egal was! Hauptsache, es steht jemand vor der Klasse!
Durch den Seiteneinstieg wurde ich überhaupt nicht vorbereitet. Man hat mir gesagt: Hier ist dein Stundenplan – nun los! Und da war keiner von der Schule, der sich mal reingesetzt hat, was okay für mich war. Ich habe überlebt.
Nun bin ich seit einem Jahr im Quereinsteiger-Programm und bin wirklich dankbar dafür, dass ich daran teilnehmen kann! Denn keiner braucht promovierte Historiker, und der Arbeitsmarkt interessiert sich nicht dafür, dass ich eine gut benotete Doktorarbeit über die Rolle des Schmalfilms in der DDR geschrieben habe. Deshalb bin ich froh, dass ich jetzt als Lehrer arbeiten kann. Ich verdiene gut, ich mache einen sinnvollen Job und bekomme viel Bestätigung. Jeder sagt: Oh, toll, dass du so etwas machst.
Wir haben im Steps acht Stunden pro Woche, davon vier in Didaktik. Und ich habe das Gefühl, dass ich aus diesen Stunden extrem viel mitnehme. Aber eine Sache stört mich schon: Es wird gar nicht thematisiert, dass wir alle an Brennpunktschulen arbeiten.

Die Hütte brennt, und wir bräuchten erst einmal einen Feuerlöscher. Hier wird uns aber eine idealisierte Didaktik beigebracht, die erst später relevant ist. Dann nämlich, wenn das Feuer gelöscht ist. Oder wenn man als Lehrer an einer hübschen kleinen Dorfschule in Brandenburg unterrichtet. Also, da fehlen mir die realistische Wahrnehmung für unsere Situation und die Tricks und Kniffe, die wir bräuchten, um unsere täglichen Probleme zu lösen.
Auch fürchte ich, dass die Quereinsteiger auf gewisse Weise verheizt werden. Wir sind eine große Schule mit 80 Kollegen, in der ein großes Kommen und Gehen herrscht. Viele Quereinsteiger denken: Alter, was ist das? Und verabschieden sich dann schnell wieder, weil sie einfach nicht begleitet werden. Und weil niemand fragt: Wie geht es dir? Und wie können wir dir helfen? Das kann sich das Berliner Schulsystem gar nicht leisten. Eigentlich müsste man den roten Teppich ausrollen für uns.
Juliane, Physiotherapeutin
Ich habe angewandte Sportwissenschaften studiert und nach meiner Dissertation an der Humboldt-Universität gearbeitet. Damals forschte ich zur neuromuskulären Rumpfkontrolle bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen.
Mein Mann und ich haben drei Kinder im Alter von zwölf, acht und sechs Jahren. Nach der Geburt meines zweiten Kindes bin ich dann weg von der Uni – war alles ein bisschen too much. Ich habe dann als Dozentin an einer Fachhochschule gearbeitet, auf Honorarbasis. Ich hatte viele Blockseminare von acht bis 18 Uhr, zwischendurch habe ich dann Milch abgepumpt, vollkommen absurd.
Das Unterrichten selbst hat mir großen Spaß gemacht und ich dachte: Wie finde ich eine Lehrtätigkeit mit einem geregelten Setting und einem unbefristeten Arbeitsvertrag? Wo kann ich mir wirklich erlauben, als Mutter in Teilzeit zu gehen, ohne ständig vor meinem Arbeitgeber begründen zu müssen, warum ich das mache und warum das keine schlimme Entscheidung für meine Karriere bedeutet?
In der Wissenschaft ist Teilzeit ein No-Go. Wer sich für Kinder entscheidet, der ist draußen. Früher war ich die Erste, die um 17.30 Uhr in die S-Bahn gestiegen ist. Mein Kind war trotzdem das letzte in der Kita, und nachts um halb zwei hab ich von meiner Teamkollegin die neuesten Zahlen bekommen. Denn die hatte keine Kinder und konnte durchziehen.
Auch ist das wissenschaftliche Arbeiten sehr ich-zentriert. Entweder war ich allein im Labor oder ich saß allein hinter dem Rechner. Manchmal bin ich mit anderen in die Mensa gegangen, aber danach saß ich dann wieder hinter dem Rechner. Es hieß zwar, wir seien ein großes Forscherteam, aber mir hat das soziale Miteinander gefehlt. An der Schule bist du immer im Austausch, wenn du die Türen aufmachst. Und die Kinder sagen dir ganz unverblümt, wie sie deinen Unterricht finden.
Unser Programm wird in den anderen Bundesländern angeblich sehr gefeiert. Weil die inzwischen auch so viele Quereinsteiger brauchen wie Berlin, aber noch keine Institution haben, die sich um die Ausbildung kümmert. Also schauen sie hierher, weil die Berliner da sechs Jahre Vorsprung haben.
Mein Eindruck ist aber, dass man die Quereinsteiger ein bisschen mundtot macht. Nach dem Motto: Ihr verdient doch ordentlich, also beschwert euch mal nicht! Ich finde aber, dass man uns etwas zu viel zumutet – und nicht genug auf die Einhaltung der Regeln pocht. Etwa die Hälfte von meinen Mitschülern musste schon eine Klassenleitung übernehmen, obwohl alle wissen, dass das nicht erlaubt ist. Und viele Schulen nehmen zwar das Geld für die Mentoren-Stunden, sorgen dann aber nicht dafür, dass diese Stunden wirklich stattfinden. Klar, die Personalnot ist groß, aber Ausbeutung ist nun mal das Gegenteil von nachhaltig.
Im Moment muss ich abends viel arbeiten, vor allem wegen dieser ganzen Prüfungen. Ich hangele mich so durch, aber noch mal zwei solcher Jahre würde ich nicht hinlegen können. Das ist schon ein Wahnsinnsprogramm, wenn man Familie hat, und das haben hier 90 Prozent der angehenden Lehrer.
Alissa, Bildhauerin
Ich habe bildende Kunst studiert und als Bildhauerin schon 20 Jahre mit Kindern gearbeitet. Ich hatte immer einen guten Draht zu Kindern. Aber irgendwann hatte ich es satt, immer Projekte zu schreiben und Gelder zu akquirieren. Und mit 52 Jahren habe ich gedacht: Ja, ich traue mir den Quereinstieg zu.
Bei der Senatsverwaltung hat man mich gefragt: Was haben Sie studiert? Kunst? Nein, das brauchen wir nicht. Aber ich habe mich nicht abschrecken lassen. Und durch die Hilfe eines netten Schulrats bin ich schließlich doch im Quereinstieg gelandet – Kunst wurde mir als studiertes Fach anerkannt. Und jetzt studiere ich berufsbegleitend noch Deutsch und Sonderpädagogik für die Grundschule. Mit zwei neuen Fächern dauert mein Studium noch zwei Jahre, dann beginnt das Referendariat.
Ich wünschte mir jetzt schon die Unterstützung, die ich wahrscheinlich erst im Referendariat bekomme. Ich kämpfe mich durch, studiere ein bisschen und hoffe, dass ich mir nicht die falschen Dinge überhelfe, die ich mir dann wieder abtrainieren muss. Weil ich zu spät erfahre, wie es richtig geht.
Immerhin hatte ich in den ersten zwei Monaten eine Patin an meiner Seite, eine hochkompetente Person und frühere Schulleiterin. Sie hat sich manchmal in meinen Unterricht gesetzt, und wir haben einmal in der Woche miteinander gesprochen. Aber das hörte dann auf, und seitdem bin ich auf mich gestellt. Was ich ganz gut kann, weil ich als Freischaffende immer auf mich gestellt war.

Meine Mentorin hat inzwischen aufgegeben. Das müssen Sie sich mal vorstellen! Ich mach weiter und meine Mentorin gibt auf! Sie zieht um und ist heilfroh, ihre schwierige Klasse loszuwerden. Wir sind in Tempelhof und die Kinder sind schon sehr anstrengend, ein täglicher Kampf. Ich habe einen gewissen Anspruch und kann ihm nicht gerecht werden, weil ich ständig aufpassen muss, dass der eine Junge den anderen nicht haut.
Dieser Personalmangel ist schlimm. An meiner Schule werde ich wohl nie als Sonderpädagogin arbeiten können, weil man mich immer für den Unterricht brauchen wird. Und weil man es sich im Moment nicht leisten kann, dass sich eine Sonderpädagogin nur mit ein oder zwei Kindern beschäftigt.
Aber ich muss mal eine Lanze brechen für die tolle Truppe, mit der ich hier am Steps zusammen lerne. Sehr engagierte Leute, die aus den unterschiedlichsten Berufen aufgebrochen sind und viel menschliche Substanz mitbringen – für die Schulen einfach nur gut!
Die allermeisten sind sehr geeignet für den Lehrerberuf, gestandene Frauen und Männer, die auch das nötige Selbstbewusstsein haben. Manche verzichten auf ein größeres Einkommen, weil sie die Arbeit als Lehrerin sinnvoller finden. Mit Menschen zusammenarbeiten, vonnöten sein, helfen können, das ist sehr erfüllend.






