Festakt in Kreuzberg

In Berlin werden nach 18 Jahren wieder Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet

Die Rückkehr zur Verbeamtung ist für die meisten jungen Absolventen ein Grund zur Freude. Doch was ist mit denen, die dafür nicht mehr infrage kommen?

07.07.2022, Berlin: Astrid-Sabine Busse, Franziska Giffey und Alexander Slotty (v. l.) bei der feierlichen Verbeamtung der jungen Lehrerinnen und Lehrer in Berlin.
07.07.2022, Berlin: Astrid-Sabine Busse, Franziska Giffey und Alexander Slotty (v. l.) bei der feierlichen Verbeamtung der jungen Lehrerinnen und Lehrer in Berlin.Berliner Zeitung/Markus Waechter

Es war schon ein denkwürdiges Ereignis: Seit 18 Jahren wurden am Donnerstag in Berlin erstmals wieder  Lehrerinnen und Lehrer verbeamtet. Es geschah in einem durchaus feierlichen Rahmen – mit Sekt, Reden und künstlerischen Darbietungen. 220 junge Lehrerinnen und Lehrer, die gerade mit ihrem Vorbereitungsdienst fertig geworden waren, kamen nach Kreuzberg und erhielten dort von Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse ihre Ernennungsurkunde.

Aus Sicht der Bildungsverwaltung hatte man mit der „Station Berlin“ eine ziemlich coole Location ausgesucht. Sonja Riemer, die ihr Studium im Jahr 2014 begonnen hat, ist glücklich, dass sie nun am Ende ihres langen Ausbildungswegs angekommen ist: „Ich freue mich, dass dieser Moment festlich begangen wird, man sich schön anziehen kann. Meinen Masterabschluss habe ich in der Corona-Zeit einfach per Post zugeschickt bekommen. Das war dann ein Tag wie jeder andere, was ich schade fand.“

Sie freut sich über die Verbeamtung und glaubt, dass sie ihrem Beruf trotz einer wachsenden Belastung treu bleiben wird. Manche ihrer Kollegen behaupten hingegen, dass die Verbeamtung ihnen gar nicht so viel bedeute: „Erst habe ich überlegt, ob ich das überhaupt machen soll. Aber dann dachte ich, das ist vielleicht wie das Sahnehäubchen auf dem abgeschlossenen Studium“, sagt ein junger Förderschullehrer.

Einige Verbeamtungen scheiterten an den ärztlichen Untersuchungen

Viele Gäste sagen, dass sie erst sehr kurzfristig erfahren haben, dass sie in diesem Jahr schon verbeamtet werden können – im Unterschied zu einigen Freunden, die die sehr strengen und zum Teil wohl auch als diskriminierend wahrgenommenen Amtsarztuntersuchungen nicht bestanden hatten.

Zwei junge Frauen schilderten, dass sie in den vergangenen Monaten von der Senatsverwaltung ziemlich unter Druck gesetzt wurden, damit sie die Fristen für den Einstellungsprozess auch wirklich einhielten. „Das sieht jetzt hier sehr gut aus in der Außendarstellung, aber dafür mussten wir in den letzten Monaten ziemlich leiden. Weil wir uns parallel zum Stress des zweiten Staatsexamens noch um die Formalitäten für die Einstellung kümmern mussten.“

Staatssekretär Alexander Slotty bei der Ernennung von Sonja Riemer.
Staatssekretär Alexander Slotty bei der Ernennung von Sonja Riemer.Berliner Zeitung/Markus Waechter

Franziska Giffey erzählte in ihrer Rede, dass Lehrerin immer ihr Traumberuf gewesen sei und sie diesen Traum nur wegen ihrer schwachen Stimmbänder aufgegeben habe. „Als Politikerin muss man zwar auch viel sprechen. Aber der Unterschied ist: Man hat ein Mikrofon und meistens ein aufmerksames Publikum“, sagte Giffey.

Auch sonst sah sie einige Parallelen zu ihrem früheren und ihren aktuellen Wunschberuf: „Man muss komplizierte Dinge einfach erklären und auf empathische Art Nein sagen können“, sagte die Regierende Bürgermeisterin.

Den Absolventen gratulierte sie zu der Wahl „dieses wundervollen Berufs, den man mit dem ganzen Herzen ausüben muss“ – und sagte, dass das Land Berlin sich anstrengen werde, für sie ein attraktiver Arbeitgeber zu sein. Ob sie die rot-weißen Kordeln in ihren Urkunden gesehen hätten?, fragte sie. „Das ist das Zeichen für die Lebenszeitverbeamtung, für den ruhigen Schlaf und die sichere Perspektive“, sagte sie.

Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse sprach von den schlechten Tagen des Berufs, an denen man sich nach drei Regenpausen frage, warum man sich das eigentlich antue – und von den guten Tagen, an denen man „geradezu durch die Schule schwebt“. Besonders gerührt war sie, dass eine frühere Schülerin von ihr unter den Lehrerinnen war, die an diesem Tag aus ihren Händen ihre Urkunden in Empfang nahmen.

Eine schmerzhafte Geschichte

Berlin und die Verbeamtung seiner Lehrkräfte, das ist eine schmerzhafte Geschichte: 2004 wurde sie vom Kabinett Wowereit abgeschafft, weil Lehrer im Angestelltenverhältnis die öffentliche Hand weniger kosten. Die Entscheidung stand im Zusammenhang mit einer bundesweiten Debatte, ob das Unterrichten wirklich als „hoheitliche Tätigkeit“ einzuschätzen sei – ähnlich wie die Tätigkeit der Polizisten, der Richter und der Ministerialbeamten. Und wenn nein, warum man dann Lehrkräfte verbeamten sollte, Erzieherinnen und Sozialarbeiter aber nicht?

Auch fragte und fragt man sich bis heute, ob so nicht die falschen Anreize gesetzt werden, weil man durch Verbeamtung eher die risikoscheuen und wenig experimentierfreudigen  Menschen anzieht  und belegt ist, dass verbeamtete Lehrer sich schneller dauerhaft krank melden als ihre angestellten Kollegen.

Damals hofften viele, dass sich alle 16 Bundesländer die Verbeamtung  abschaffen würden – doch nur eine Minderheit hat das tatsächlich hat es getan. Und von dieser Minderheit kehrten bis auf Berlin alle mehr oder weniger rasch zur Verbeamtung zurück – zuletzt Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Und in Zeiten des wachsenden Lehrkräftemangels wurde das zu einem massiven Standortnachteil für die Hauptstadt – und jahrelang musste man hier mitansehen, wie die hier ausgebildeten Lehrkräfte ins nahgelegene Brandenburg abwanderten, so dass die neue Regierung nach der Wahl beschloss, zur Verbeamtung zurückzukehren.

Es besteht die Gefahr, dass eine frustrierte Generation entsteht

Mit der Wiederaufnahme der Verbeamtung sind die Probleme in der Berliner Schule aber nicht gelöst. Nach Kreuzberg kam am Donnerstag nur eine kleine Vorhut der neuen Laufbahnbeamten. Der große Rest – die 17.000 der sogenannten Bestandslehrkräfte – sollen in den nächsten Jahren folgen. Berlin hat deshalb temporär die Altersgrenze für die Verbeamtung auf 52 Jahre angehoben.

Um das aufwendige bürokratische Prozedere durchzuführen, wurden in der Personalabteilung der Senatsverwaltung 35 neue befristete Stellen geschaffen. Noch fehlt es allerdings an Amtsärzten, die die notwendigen Gesundheitschecks zügig durchführen. Hier müssen sich die Senatsverwaltung und das Landesamt für Gesundheit und Soziales noch etwas ausdenken, damit es nicht zu massiven Verzögerungen kommt.

Nun kommt es zum Schwur – und zur eigentlichen Vereidigung.
Nun kommt es zum Schwur – und zur eigentlichen Vereidigung.Berliner Zeitung/Markus Waechter

Noch größer ist jedoch die Frage, wie der Ausgleich für die erfahrenen Lehrkräfte aussehen könnte, die älter sind als 52 Jahre und oft zu den Leistungsträgern der Berliner Schule gehören, nun aber  an der Verbeamtung vorbeischrammen. Die Gefahr ist groß, dass hier eine „frustrierte Generation“ entsteht und   Motivation verloren geht.

Schlechte Chancen für eine Kompensation der älteren Lehrkräfte

Im Wahlkampf hatte die SPD davon gesprochen, dass man die älteren Lehrkräfte mit „Entlastungsstunden“ entschädigen wolle. Doch wie die Berliner Zeitung erfuhr, wird das wohl aus tarifrechtlichen Gründen nicht möglich sein. Zudem kommt es anscheinend auch nicht infrage, eine Sonderzulage zu zahlen, wenn keine zusätzlichen Aufgaben übernommen werden. Wahrscheinlich muss sich die Politik bald ehrlich machen und zugeben, dass der Ausgleich für die älteren Lehrkräfte nicht möglich ist.

Die verbeamteten Berufsanfänger werden zunächst geringer bezahlt als ihre frisch angestellten Kollegen, doch sind die Zuwächse größer, sodass sie über das gesamte Leben gerechnet an die 100.000 Euro mehr verdienen werden und außerdem große finanzielle Vorteile durch die Beamtenpension genießen, die dann der Landeshaushalt aufbringen muss. Die Verbeamtung ist auch eine Reaktion auf das Verhalten der anderen Bundesländer. Berlin war das letzte, das bis Donnerstag nicht mehr verbeamtet hat. Im Wettbewerb um Lehrkräfte war das ein echter Standortnachteil.

Die andere große Frage stellt sich im Blick auf die freien Schulen Berlins, die oft ein wichtiger Motor sind für pädagogische Innovationen und Garant für eine hohe Unterrichtsqualität. Nach einer finalisierten Verbeamtung werden viele nicht mehr konkurrenzfähig sein mit den staatlichen Schulen und  zusehen müssen, wie ihre besten Kräfte abgeworben werden. Es mag Menschen geben, die dies zunächst als Sieg empfinden. Doch ist es wohl nur das, was man in der Antike unter einem Pyrrhussieg verstand.