Barbara Salesch war die TV-Richterin und prägte die Jugend mehrerer Generationen. Statt Hausaufgaben hieß es nach der Schule Urteilsverkündung, von 1999 an war die Juristin unter der Woche täglich bei Sat. 1 zu sehen. 2012 war dann Schluss, nun kehrt die 72-Jährige bei RTL im Mittagsprogramm zurück. Ab dem 5. September wird der Hammer wieder geschwungen und so manche Jugenderinnerung angefacht. Wir haben Barbara Salesch in Köln getroffen.
Frau Salesch, es heißt, Sie hätten nach Ihrer letzten Sendung für Sat.1 2012 die Kulissen mit Ihrem Team zersägt. Jetzt holt RTL Sie ins Fernsehen zurück. Muss der Gerichtssaal nun wieder mühsam zusammengebaut werden?
Nun, ich bin auch Künstlerin und das musste damals einfach ein ordentlicher Abgang sein. Das war die tollste Signierstunde, die wir jemals hatten. Aber ich bekomme natürlich ein ganz anderes, ein modernes und helles Gericht. Allerdings sollte ich so einen Abgang bei RTL nicht hinlegen – da kriege ich den Hintern voll. Denn denen gehört das Gericht und nicht meiner Produzentin, der Filmpool, wie damals. Da halte ich mich dann zurück.

Wie lange hat es gedauert, bis man Sie davon überzeugt hat, den Ruhestand zu beenden?
Ungefähr drei Monate. Ich wurde angerufen. Natürlich freut man sich darüber. Aber meine erste Antwort auf alles ist ohnehin immer Nein. Jede Anfrage bedeutet mehr Arbeit und die versuche ich zunächst, von mir fernzuhalten. Insofern hatte ich auf eine neue Show erst mal gar keine Lust. Aber dann bin ich doch ins Nachdenken gekommen. Die Sendung ist ja letztendlich fürs tägliche Mittagsprogramm und da dachte ich mir: Das ist das, was du perfekt kannst. Das war schon gut durchdacht. Zu einer halben Sache hätte ich nicht zugesagt.
Aber eigentlich schienen Sie doch glücklich mit Ihrer Kunst, mit der Malerei und Ihren Skulpturen zu sein. Jetzt stehen wieder große Veränderungen ins Haus.
Mit der Kunst bin ich auch weiterhin sehr glücklich. Die bekommt jetzt eben ein bisschen mehr Auszeiten. Wissen Sie, ich habe noch genügend Arbeiten in meinen Schubladen, die ich verkaufen kann. Jetzt können die Leute die Zeit, die ich im Fernsehen bin, nutzen, um an meine Schubladen zu kommen. Und zeichnen tue ich immer noch. Aber klar ist auch, dass ich mich umstellen muss. Mit Zeitmanagement hatte ich es in den letzten zehn Jahren nicht besonders. Alles war total entspannt und ich immer wuselig. Früher war ich auf einer Party die Erste, die kommt und die Letzte, die geht. Das wird so nicht mehr gehen.
Es war also nicht Langeweile, die Sie zu diesem Comeback bewegt hat. Sie können das, haben Sie gerade eben gesagt. Aber reicht das als Grund? Es muss doch noch etwas anderes sein, was Sie zu dieser Rückkehr bewegt, oder?
Ja, es ist eine Rückkehr. Das stimmt. Aber es ist auch etwas Neues. In der Rechtsprechung hat sich in den letzten zehn Jahren so unglaublich viel verändert. Allein das, was die Neuen Medien für Möglichkeiten eröffnet haben. Es gibt heute Beweismittel, von denen konnten wir früher nur träumen. Wenn man Glück hatte, dann gab es da vielleicht mal die Aufnahme einer Überwachungskamera auf irgendeinen Bahnhof. Bis man die allerdings auslesen konnte – da gab es schon Theater, ob man das nun darf, oder nicht.
Heute hat jeder mit dem Smartphone eine hochauflösende Kamera in der Hosentasche.
Eben. Geben Sie mir Ihr Handy, und ich sage Ihnen in etwa, was für ein Mensch Sie sind. Jeder filmt und fotografiert die ganze Zeit. Damit nehmen die Chancen, eine Aussage zu widerlegen, enorm zu, weil dann doch einer an einem Ort zu sehen ist, obwohl er abstreitet, jemals dort gewesen zu sein. Diese Veränderungen reizen mich ungemein. Es ist vielfältiger geworden.
Aber doch auch komplizierter, oder nicht? Denken Sie an den Fall der österreichischen Ärztin, die durch systematische Bedrohung im Internet in den Suizid getrieben wurde.
Eine ganz furchtbare Sache, in der Tat. Und da sprechen Sie etwas Wichtiges an. Eben solche Stalking-Fälle – im juristischen Kontext nennen wir das Nachstellung – werden wir auf jeden Fall aufgreifen. Das Internet wird eine große Rolle in der Sendung spielen. Es ist leider auch ein Tummelplatz für extreme Verhaltensweisen und verbrecherische Ideen.
Es ist wie eine Welt in der Welt, die kaum zu kontrollieren ist. Hätten Sie eine Idee, wie man diesem digitalen Wuchern des Verbrechens Einhalt gebieten könnte?
Wenn ich könnte, dann würde ich die Anonymität im Netz teilweise abschaffen. Es braucht eine bessere und effektive Nachverfolgbarkeit bei Straftaten. Dazu gehören auch Bedrohung und Beleidigung. Innerhalb dieser Anonymität scheint aktuell alles möglich und Äußerungen werden schnell vollkommen unverantwortlich. Folgen sind ja auch kaum zu befürchten.
Das wäre doch ein spannendes Thema für Ihre neue Show: Was machen die Möglichkeiten der Anonymität mit Menschen …

Also zunächst handelt es sich letztlich immer noch um die gleichen Delikte. Totschlag bleibt Totschlag. Auch die Motivlage ist gleich geblieben: Habgier, Neid, Eifersucht usw. Wir haben die sieben Todsünden und noch ein paar andere dazu. Damit hätten wir es weitestgehend abgedeckt. Aber sobald die Anonymität hinzukommt, wird es besonders perfide, und die Betroffenen können sich kaum wehren. Da bricht eine absolute Verantwortungslosigkeit durch. Darüber möchte ich gerne etwas machen. Wir werden es zumindest versuchen. Aber es ist natürlich nicht so leicht, weil die Fälle nicht zu abstrakt werden dürfen. Es soll ja unterhaltsam bleiben. Also nicht in dem Sinne, dass es dabei lustig zugehen würde. Es geht um Spannung. Spannend muss es sein, und das 45 Minuten lang. Wie behandelt man dann das Anonyme? Was könnte da passieren? Diese Fragen muss man sich schon stellen.
Mit Ihrem Vorschlag, die Anonymität abzuschaffen, da ist man ganz schnell bei der Frage der Nachverfolgbarkeit, bei Vorratsdatenspeicherung und solchen Themen. Das ist natürlich ein sehr umkämpftes Thema. Nicht wenige sähen da ihre digitale Freiheit bedroht.
Bei Straftaten abschaffen, wohlgemerkt, nicht im Alltag. Natürlich kommt da heftiger Gegenwind, auch, weil da sehr viel Geld im Spiel ist … Aber klar, es geht um Freiheiten, die hier zueinander ins Verhältnis gesetzt werden müssen. In meinen Augen stehen da die Verfechter der Anonymität mit ihrer Pseudofreiheit auf der einen und die Opfer von Straftaten auf der anderen. Letztere sagen selbstverständlich, dass es so nicht bleiben kann. Freiheit ist mir sehr wichtig. Aber ich muss den Freiheitsbegriff so verstehen, dass die Freiheit immer an der Unfreiheit des anderen endet.
Kant hat das schöner formuliert, aber im Grunde kann man auch das alte Sprichwort zitieren: Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem anderen zu. Wenn nun die Anonymität dazu führen würde, dass alle ganz wunderbar miteinander umgehen, dann wäre alles gut. Aber das Gegenteil ist der Fall: Die Sau wird rausgelassen, dass es einem graust. Und deshalb ist das so ein enorm großes Thema. Eine perfekte Lösung hab ich natürlich auch nicht und ich bin keine Politikerin. Letztlich biete ich mit meiner Sendung nur die Möglichkeit zu einer Diskussion an.
Gibt es auch Themen, die Sie nicht anpacken werden?
Was wir nicht behandeln, das sind Sexualdelikte an Kindern. Da tun sich online finsterste Abgründe auf. Wir laufen zur Mittagszeit und diese Themen gehen zu dieser Zeit nicht. Jugendschutz ist und bleibt Jugendschutz. Aber ich bin auch persönlich sehr froh darüber, dass ich mich damit nicht vor der Kamera auseinandersetzen muss. Was da passiert, ist sehr belastend, unerträglich und widerlich.
Bleiben wir beim Internet und den Neuen Medien. Man könnte auch sagen, dass Ihr Comeback ein Versuch des Senders ist, die Nostalgie abzuschöpfen. Die jüngere Generation ist weitgehend an TikTok, YouTube und Instagram verloren. Was bleibt da anderes übrig, als erneut auf die alte Zielgruppe von damals abzuzielen. Haben Sie keine Angst, in die Retro-Falle zu tappen?
Unsere Sendung wird auch über Streaming zur Verfügung stehen. Das Fernsehen ist ja nicht mehr nur linear. Aber ob ich noch einmal eine solche Menge an jungen Leuten erreiche, wie das früher der Fall war? Das wird heute kaum noch gehen. Allein schon deshalb nicht, weil das Fernsehen nach der Schule nicht mehr selbstverständlich ist. Früher hat man nach der Schule eben lieber Salesch geschaut als Hausaufgaben zu machen. Heute gibt es unzählige andere Möglichkeiten der Unterhaltung. Aber ich glaube schon, dass da eine Chance besteht. Aber ein Fernsehprofi bin ich nicht. Außer „Kitchen Impossible“ schaue ich so gut wie nichts. Und selbst das nehme ich mir auf, damit es in meinen Zeitplan passt.
Also kommt es auf die alten Fans an?
Ich kann einfach nicht sagen, wie das Publikum mitgehen wird. Bisher sind die Reaktionen aus dem Umfeld alle sehr positiv. Das ist schon erstaunlich, was sich die Sendung für einen Kultstatus erhalten hat. Mir war das nie so bewusst. Ich habe mich 2012 zurückgezogen und damit hatte es sich. Alle Unterlagen habe ich weggeschmissen. Die Hamburger echten genauso wie die Kölner Fernsehsachen. Alle Ordner und alle Urteile – weg! Als Schluss war, da war ich mir sicher, dass ich damit nun nichts mehr zu tun haben würde.
Ihre Person war ein wesentlicher Grund für den Erfolg der Gerichtsshows. Sie waren von 1999 bis 2012 auf Sendung. Mit ihrem Rückzug war der Hype vorbei. Was war der Grund für dieses Ende des Erfolgs?
Es waren einfach zu viele Shows. So ist das immer beim Fernsehen. Sobald eine Sache durchstartet, wie meine Sendung im zweiten Jahr, dann weckt das sofort Begehrlichkeiten. Prompt gab es mit Richter Alexander Holt und dem Jugendgericht die ersten Kopien. Das machte erst mal nichts, die Sendungen waren weiter ungemein erfolgreich. Doch wurde immer weiter kopiert. Da hatte ich schnell kein gutes Gefühl mehr. Irgendwie ist es rückblickend ziemlich seltsam. Im Grunde gab es uns nur auf zwei Programmen zu sehen. Man konnte den Gerichtsshows also mit Leichtigkeit aus dem Weg gehen. Aber gefühlt hatte man es am Nachmittag nur noch mit Richterinnen und Richtern zu tun. Und dann war auch gut. Ich hatte keine Kraft mehr. Das kann sich keiner vorstellen, was es heißt, eine tägliche Sendung zu machen. Ich habe jedes Drehbuch eigenhändig überarbeitet. Das sind schon gute Bücher, aber ich muss noch meine Persönlichkeit da reinstecken, also das, was meine Sendung immer ausgezeichnet hat. Und bei den neuen ist es jetzt genauso.
Wie viel von der echten Barbara Salesch ist da im Fernsehen zu sehen? Sie sind studierte Juristin. Sie waren jahrelang Richterin in Hamburg. Dennoch spielen Sie in der Show eine Rolle. Das macht doch etwas mit einem.
Ich sage mal, zu 90 Prozent bin ich das. Viele Kollegen von früher meinten damals schon: Du bist so wie immer. Denn auch in Hamburg galt ich als „die Bunte“, weil ich diese spezielle Art habe, mit Menschen umzugehen. Es ist mir sehr wichtig, den Menschen offen zu begegnen – auch wenn ich sie am Ende meist verurteilen muss. Daran komme ich nicht vorbei. Aber ich verstecke mich nicht hinter einem Juristendeutsch. Die beherrsche ich schon, die juristische Sprache. Unter Fachkollegen kürzt man damit das Gespräch ab. Aber sie ist so speziell, dass der Laie sie nicht versteht und dann schnell „dichtmacht“. Ich formuliere alles so um, dass jeder einen „bedingten Vorsatz“ verstehen kann.
Da könnten Sie mich nun auch an der Nase herumführen. Also, was ist das, ein bedingter Vorsatz?
Sehen Sie, da haben wir es doch. Von einem bedingten Vorsatz sprechen wir, wenn Sie sagen: Ich wollte es eigentlich nicht, aber als sich die Situation dann so entwickelt hat, war es mir dann auch recht.
Wenn man Ihnen so gegenübersitzt und Ihre Energie spürt: Sie sind schon jemand, der immer eine neue Herausforderung sucht. War das damals auch der Grund, dass Sie vom Gericht ins Fernsehen gewechselt sind?
Ich war 20 Jahre in Amt und Würden. Ich war längst Vorsitzende … also ich meine, da wäre nicht mehr viel gekommen. Es wiederholt sich alles sehr schnell. Und mit Wiederholungen kann ich nur schlecht umgehen. Also, das stimmt schon mit den Herausforderungen: Ich will es irgendwie immer wissen. Die letzten zehn Jahre allerdings wollte ich das nicht. Das kann ich Ihnen versichern. Da war mehr Ruhe angesagt. Also, was ich darunter verstehe. Aber jetzt … ja. Nur mit 80 wird Schluss sein.






