Theaterkritik

Hyäne Fischer: Das „totale Musical“ an der Berliner Volksbühne

Wer eine Helene-Fischer-Parodie will, ist hier falsch am Platz. Aber auch am selbstauferlegten politischen Anspruch scheitert dieser Abend. 

Silvia Rieger im Volksbühnen-Stück „Hyäne Fischer – Das totale Musical“
Silvia Rieger im Volksbühnen-Stück „Hyäne Fischer – Das totale Musical“dpa

Von der Decke hängt eine gigantomanische, kreisrunde Scheibe, die an eine Kamerablende erinnern könnte, aber auch an ein schwindelmachendes Vertigo-Treppenhaus, von oben betrachtet. Darunter: Ein Pappmaschee-Vulkan mit vulvaähnlicher Öffnung nach oben hin – und dem Potential zum Lava-Ejakulieren. Davor steht ein Chor aus fünf Kriegerinnen im Lara-Croft-Tomb-Raider-Look. „Siehst du den Nebel in den Bergen stehen?“, stimmen sie harmoniesüchtig miteinander an. „Spürst du den Sturm? / Er wird wieder vergehen.“ Poesiealbumpop von der Schlagerstange, flankiert mit Drums, E-Bass und Keyboards, aber auch Posaune, Horn, Trompete von der Live-Band im Orchestergraben der Volksbühne.

Lichtkegel über Vulkanen an der Volksbühne
Lichtkegel über Vulkanen an der VolksbühneElsa Okazaki

„Im Rausch der Zeit“ heißt dieser Eröffnungssong aus „Hyäne Fischer – Das totale Musical“. Er stammt schon aus dem Jahr 2018, lange vor dem Volksbühnen-Stück nun. Eigentlich wollte Hyäne Fischer mit dieser Nummer 2019 für Österreich beim Eurovision Song Contest in Israel antreten. Dass es so weit nicht kam, hatte vielleicht auch etwas damit zu tun, dass Hyäne Fischer im zugehörigen Videoclip (der mittlerweile über 300.000 Mal geklickt wurde) einen Obersalzberg-Eva-Braun-Gedächtnis-Look bemühte; vermutlich, um ihn und gefährliche Heimatgefühlsduseleien durch den Kakao zu ziehen, aber man weiß ja nie.

Wer genau diese Hyäne Fischer ist, das bleibt bis heute mysteriös. Österreichische Medien spekulierten damals, es handle sich um ein Satireprojekt rund um die Sängerin Gustav und auch die (in jedem Fall satirische) hardcore-feministische Burschenschaft Hysteria, zu der übrigens die Schriftstellerin Stefanie Sargnagel gehört – und deren Wappentier (es kann ja kaum noch Zufall sein) eine Hyäne ist. Eine der Forderungen von Hysteria: Männer auf ihren Platz zurück an den Herd verweisen.

Los geht’s am Donnerstagabend nach dem schon zitierten Song an der Volksbühne mit einer Hasstirade auf den Verzehr panierter Wiener Schnitzel: „Todeslappen aus Schlachtabfall“. Vorgetragen wird das Selbstgespräch von Marie Rosa Tietjen, es kommt einem in seiner Haudrauf-Österreich-Verachtung so vor, als hätten Elfriede Jelinek oder Peter Handke einen müden Krawallo-Clown gefrühstückt.

Wer, vom heiteren Stücktitel geködert, in die Volksbühne kam, um eine Helene-Fischer-Parodie-Show zu erleben, etwa im Stil von Carolin Kebekus’ Ironieversion von „Atemlos durch die Nacht“, wird überrascht sein: Das Stück (Text: Lydia Haider) ist eine schlecht geölte Monologmaschine. Jede der fünf partizipierenden Volksbühnen-Schauspielerinnen (Kathrin Angerer, Rosa Lembeck, Silvia Rieger, Marie Rosa Tietjen, Katharina Maria Trenk) darf ihr eigenes interaktionsloses Selbstgespräch aufsagen. Manche sind besser als andere: Silvia Rieger klingt in ihrer Dada-Feierlichkeit wie eine Anti-Antigone in einem Nonsense-Sophokles, das hat was.

Allerdings: Nichts verbindet all diese Monologe zu einer Handlung. Zusammengeklammert werden sie (aber auch das nur höchst kryptisch) dadurch, dass die fünf Frauen von unterschiedlichem Temperament wohl alle von Hyäne Fischer zum Kampf fürs Matriarchat rekrutiert werden – der sich auch antifaschistisch, aber keinesfalls gewaltfrei versteht: „Wir sind die Psychokiller / Wir sind die Faschoficker“, heißt es in einem der weiteren Songs. In einem anderen wird bei bodennahem Nebel die deutsche (oder deutsch-österreichische?) Waldverbundenheit zwischen Eichen und Buchen verhohnepipelt.

Vulkan mit Vulva-ähnlicher Öffnung an der Volksbühne
Vulkan mit Vulva-ähnlicher Öffnung an der VolksbühneElsa Okazaki

Nichts gegen Feminismus oder Antifaschismus. Aber: originell ist hier nichts, eher brachial brechstangig. Wenn Theaterleute argumentieren, wie systemrelevant sie seien für den gesellschaftlichen Diskurs im Lande, sollten sie „Hyäne Fischer – Das totale Musical“ besser unter den Teppich kehren oder mittels Hebebühne in den Keller versenken. Gutes Eskapismus-Entertainment ist das eigentlich auch nicht. Doch das Premierenpublikum ist ausgesprochen leicht zu erheitern: Kaum erklingen Begriffe wie „zugeschissener Arsch“, „Lulufressen“ oder ist die Rede davon, dass das Glas nicht halb voll, sondern schmutzig sei, wird in den Sitzreihen brav gekichert.

Traurige Blumenkohlpenisse

Highlight des Abends: Kathrin Angerers Interpretation von „Hodenlos an die Macht“ auf die Melodie (mehr oder weniger) von Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“. Zwar mit etwas dünnem Sound und enger an Marianne Rosenberg als an Helene Fischer – aber immerhin mit einem Ansatz von Anspruch. Auch bei dieser Nummer kann der wirklich starke Frauenchor punkten, der übrigens nicht rein cis-weiblich ist. Die „echte“ Hyäne Fischer, die an diesem Abend erst zum Schlussapplaus auf die Bühne steigt, hatte den Song übrigens vor einem Monat schon herausgebracht, sozusagen als Vorab-Single zur Volksbühnen-Premiere.

Hyäne Fischer und Kurdwin Ayub
Hyäne Fischer und Kurdwin AyubElsa Okazaki

„Hyäne-Fischer“ ist ein Anti-Musical. Eine schöne Überraschung sind die dekonstruierten Noise-Tracks, etwa beim Nazis-mit-Äxten-Vermöbeln. Die fünf Kriegerinnen, später in Future-Renaissance-Outfits vor einem floralen Hirn oder Botticelli-Venusmuscheln, sollen uns offenbar (Konzept & künstlerische Leitung: Marlene Engel) für die letzten Tage des Patriarchats vorglühen. Am Bühnenrand stehen Ornamente, die an einbrechende Wellen, aber auch an einknickende Penisse mit Blumenkohl-Eicheln erinnern. Die Posaune tutet schon apokalyptisch. Vielleicht ahnt sie, dass das Ende des Abends getrübt sein wird durch viele Buh-Rufe.

Hyäne Fischer – Das totale Musical. 12., 14. November, 3., 16., 28., 31. Dezember in der Volksbühne, Karten unter Tel.: 24065777 oder www.volksbuehne.berlin