Dann stehen sie zuerst mal reglos da. Zehn Schauspieler, die zuvor ganz langsam in einer archaischen Zeremonie zu Hörnerkrächzen und in dampfender Dunkelheit vom Zuschauerraum auf die Bühne des Hebbel-Theaters gestiegen sind und von dort aus nun kalt und starr zurückblicken. Verteilt im Raum schieben sie sich dann einzeln von einer Position zur anderen, den Blick unbeirrt am Publikum klebend, als wollten sie es auf die Probe stellen. Auch reizen: Bis wohin folgt ihr uns? Was seht ihr überhaupt in uns?
Und sie haben ja recht mit dieser kleinen, meditativen Blickprovokation. Denn trotz der martialischen Aufmachung sehen wir zuerst doch nur sehr unkonventionelle Körper in ihnen, die zu groß oder zu schmal sind, die keine durchtrainierte Geschmeidigkeit zeigen und sich nur kantig oder zuckend bewegen. Wir sehen Körper, die vor allem sie selbst zu sein scheinen, nichts repräsentieren – angeblich. Aber dann ist es auch schon vorbei mit dem Anflug von Freak-Schau, die an das legendäre „Desabled Theater“ erinnert, mit dem Jérome Bel und das Theater Hora vor zehn Jahren am selben Ort all diese Fehl- und Vorurteile über Theater von und mit behinderten Schauspielern spektakulär in Szene setzte.
Die zehn hier nun spielen keineswegs mehr nur sich selbst und ihre Handicaps aus, sie kehren die Perspektive um und treten in einer Doppeldramaturgie aus leuchtschriftlicher Erzählung und orgiastischer Darstellung all jene Subtexte parodistisch breit, die bei manchen immer noch mitschwingen mögen, wenn sie behinderte Spieler sehen: gönnerhaftes Wohlwollen, Mitleid, auch wohlige Abscheu im Gewand des sozialen Voyeurismus.
All das ruft „Das Narrenschiff“, das die Truppe Monster Truck zusammen mit der inklusiven „Platform-K“ aus Gent entwickelt haben, blitzartig auf und verwirft es zugleich. Denn kein Schiff geistert hier herum, eine höllische Tafel steht da, an der die Performer bald eine Ess-, dann eine Kotz- und schließlich eine Sexorgie simulieren. In jedem Fall das, was sich der politisch korrekten Labelung „inklusiver“ Bravheit entzieht. Und mit genau diesem Willen zu ästhetischer Unberechenbarkeit und Radikalität feierte das No-Limits-Festival am Mittwoch eine programmatisch starke Eröffnung.
Schönster Vorgeschmack auf Kommendes
Es ist die zehnte Ausgabe des bedeutendsten internationalen Festivals dieser Art, das immer freier, selbstbewusster, auch ästhetisch ausgefeilter wird und mit seinen knapp 25 Gastspielen aus zehn Ländern, verteilt auf fünf Bühnen eine Konzentration experimentellen Theaters nach Berlin bringt, die den konventionellen Betrieb nur beleben kann.
Noch mehr als für das „Narrenschiff“ gilt das für die zweite Premiere des Abends „No Gambling“, das die Tänzerin Simone Aughterlony zusammen mit der Hora-Spielerin Julia Häusermann um ein wunderlich sich drehendes Riesenmobile aus Leitern, Federwedeln, Bildschirmen und Käschern entworfen hat. Sie ertanzen sich das Terrain des Glücksspiels. Auch das lebt von der disparaten Kraft aus Erwartungen und ihre Durchkreuzung, Poesie, Tragik und Satire. Tücher knoten Dinge und Menschen aneinander, rollende Kisten lösen alles auf. Die athletische Tänzerin dreht sich als Spielfigur im Kreis und die verschmitzte Julia spielt böses Schicksal mit dem Publikum. Ein Denkstück voller Sinnlichkeit und Humor und schönster Vorgeschmack auf Kommendes.


