Theater

Das Nature Theater of Oklahoma im Hau: Zum Untergang im 3/4-Takt

Am Weltuntergang vorbeireiten: Das Nature Theater of Oklahoma kehrt mit der Country-Oper „Burt Turrido“ ins HAU2 zurück.

Das Nature Theater of Oklahoma mit „Burt Turrido“ im HAU
Das Nature Theater of Oklahoma mit „Burt Turrido“ im HAUJessica Schäfer

Vielleicht hat der ganze Schlamassel dieser Welt doch mehr mit unglücklicher Liebe zu tun, als man denkt. Nicht direkt kausal, versteht sich, aber schlicht als Folge heillos verstopfter Aufmerksamkeitsressourcen. Verstopft mit den brennenden Sehnsüchten, Machtspielen, Verletzungen und Unterwerfungen persönlicher Innenwelten, von denen sich Menschen tagein, tagaus lieber gefangen nehmen lassen, als den realen Bränden außerhalb nachzugehen.

Großes Gefühlsdrama jedenfalls hat Karen und Bob, Emily und Joseph immer schon stärker beschäftigt als der klimatisch und sozial kollabierende Lebensraum um sie herum, weshalb sie ihre Eheprobleme auch ausführlich weiter hin- und herschieben, als sie längst auf einer so vermüllten wie biologisch toten Insel hocken – dem Restland der ruinierten Erde. Doch was heißt hier „hocken“? Es ist der unermüdlich dahintrabende 3/4-Takt des Country-Sounds, in dem die vier an diesem Abend mal emotional auftrumpfend, mal erschöpft trottend, aber immer haarscharf und voller doppelbödiger Hanswurstigkeit am Weltuntergang vorbeireiten.

Das Nature Theater of Oklahoma hat mit „Burt Turrido“ eine neue Hybridtheatervariante nach Berlin gebracht und damit sein altes Erfolgsrezept neu aufgemöbelt. Verkappt schöne Alltagserzählungen aus leeren Sinnsprüchen und klugen Gedankenblitzen werden darin mit trashiger Western- und Barockopernparodie sowie Science-Fiction und Untergangskomödie kurzgeschlossen. Die wunderbaren Performer Anne Gridley, Robert M. Johanson und Gabel Eiben, die vor zwölf Jahren ihr legendäres „Life & Times“-Epos mit auf die Bühne turnten, sind auch jetzt wieder dabei. Sie spielen Karen und Bob, das erst despotische, dann absurd unterwürfige Herrscherpaar der Insel, an deren Strand eines Tages Burt Turrido gespült wird.

Raffiniert-naive Erzähloper aus Ernst und Witz, Weisheit und Nonsens

Strukturell also greift die raffiniert-naive Erzähloper aus Ernst und Witz, Weisheit und Nonsens auf Bekanntes zurück, nur geht es diesmal neben den Tausend Wendungen im Liebesalltag auch um Politisches: um egomanen Machtmissbrauch (Trump lässt grüßen), Ausbeutung der Natur und Kolonialismus aller Art. Nur rutscht all das eben immer wieder demonstrativ in hintere Gedankenreihen zurück, von wo aus es dann als Geister jener Menschen wieder auftaucht, die Karen und Bob auf ihrem Weg zur Macht einst abmurksen mussten. Aber auch diese Geister verstricken sich lieber in absurde Liebeshändel, als Unruhe zu stiften.

Vier Stunden lang rollt der unbeirrte Country-Singsang so durch aberwitzige Gefühlsabgründe, während die fünf fantastischen Sängertänzer dazu im streng durchgetakteten Line-Dance vordergründig auf Linie bleiben. Das könnte immer so weiter wippen, wenn nicht Bence Mezei und Kadence Neill bald mit immer spektakuläreren Unwetterfahnenparaden durch die Szenerie wirbelten und das Weltende herbeiwehten. Ein zäher und gerade deshalb ungemein bissiger Spaß.

HAU2 bis 5.11., 19 Uhr, Tel: 25900427